Bringt das neue Jahr endlich die Waffen zum Schweigen im Gazastreifen? Und wie könnte ein Frieden aussehen? Berichten zufolge soll eine sich offenbar anbahnende Einigung zwischen Israel und der Hamas mehrere Phasen umfassen: Die Überlebenden der 101 verbliebenen israelischen Geiseln sollen schrittweise freigelassen werden, im Austausch für die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Israels Armee, die IDF, soll Truppen aus palästinensischen Bevölkerungszentren abziehen. Die letzte Phase des Deals würde eine langfristige Waffenruhe einleiten.
Für die 2,2 Millionen Menschen in Gaza kann das Ende des Krieges, den die Hamas mit ihrem Massaker vom 7. Oktober 2023 ausgelöst hatte, nicht schnell genug kommen. Das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig, in vielen Ortschaften hat Israels Luftwaffe ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gebombt. Die IDF verweist zur Verteidigung ihres Vorgehens darauf, dass die Hamas militärische Einrichtungen bewusst inmitten ziviler Gebiete eingerichtet hat. Doch mit jedem Bericht von getroffenen Schulen, Flüchtlingslagern oder Kliniken verliert das Argument in den Augen internationaler Beobachter an Kraft.
Selbst moderate Palästinenser mit Wurzeln in Gaza wie Ahmed Fouad Alkhatib von der US-Denkfabrik Atlantik Council, der Empathie für beide Seiten zum Ausdruck bringt, kritisieren Israel scharf. „Die täglichen Massaker an Zivilisten durch die gnadenlose Kriegsmaschinerie der israelischen Streitkräfte im gesamten Gazastreifen sind wirklich entsetzlich“, schrieb Alkhatib auf der Plattform X. Zugleich rief er die Hamas zur Freilassung der Geiseln auf.
Der Tod in Gaza hat viele Gesichter
Der Tod in Gaza hat viele Gesichter. Er kommt nicht nur in Form von Explosionen, Luftangriffen, Artilleriefeuer. Schon im Frühling warnten internationale Helfer, dass Kinder an den Folgen von Unterernährung zu sterben drohten. Seitdem hat sich die Lage noch verschärft. „Derzeit können über 96 Prozent der Frauen und Kinder in Gaza ihren Grundbedarf an Nahrungsmitteln nicht decken“, warnt Unicef-Sprecherin Rosalia Bollen. Auch Georgios Petropoulos, bei den UN zuständig für die Koordinierung der Gaza-Hilfen, schlägt dramatische Töne an. „Als humanitärer Helfer in Gaza muss man schreckliche Entscheidungen treffen“, berichtet er. „Soll ich zulassen, dass Menschen verhungern oder erfrieren? Bringen wir mehr Nahrungsmittel, um den Hunger zu lindern, oder mehr Plastikplanen zum Schutz vor dem Regen in der Nacht?“
Wie viele andere humanitäre Helfer erhebt Petropoulos gegenüber Israel heftige Vorwürfe. „Das Ausmaß, zu dem die israelischen Autoritäten unsere Arbeit unterstützen, liegt beinahe bei null.“ Immer wieder würden Hilfskonvois die Einreise verweigert, und selbst diejenigen, die es bis nach Gaza schaffen, würden häufig von Truppen aufgehalten. Zudem komme es immer wieder vor, dass Kriminelle die LKWs überfielen.
Israels Behörden beteuern, sie würden Hilfen ermöglichen
Die israelische Behörde, die für zivile Angelegenheiten in den Palästinensergebieten zuständig ist, beteuert hingegen immer wieder, humanitäre Organisationen bei der Versorgung der Zivilbevölkerung in Gaza zu unterstützen. Am Freitag etwa seien 5000 Liter Treibstoff und „Hunderte Essenspakete“ allein an das Kamal-Adwan-Krankenhaus in Beit Lahiya im Norden Gazas geliefert worden. Außerdem habe man 87 Patienten und Pflegekräfte in andere Kliniken verlegt.
In der Nacht auf Sonntag aber meldete sich der Direktor des Krankenhauses, Hussam Abu Safiya, mit einer Videobotschaft ganz anderer Art zu Wort. „Ohne jegliche Vorwarnung werden wir jetzt direkt bombardiert“, sagte er mit tiefen Ringen unter den müden Augen. Er habe zudem eine Nachricht erhalten, dass das Krankenhaus, in dem sich noch 66 Patienten befänden, in den nächsten Stunden evakuiert werden solle. „Das ist ein Desaster“, warnte er.
Das Abkommen über eine Waffenruhe, das derzeit verhandelt wird, sieht vor, die Einfuhr humanitärer Hilfen nach Gaza massiv zu erhöhen. Außerdem soll Israel zumindest einem Teil der Binnenflüchtlinge die Rückkehr in deren Heimatorte ermöglichen; rund 90 Prozent aller Menschen in Gaza haben UN-Angaben zufolge ihre Häuser verlassen müssen.
Zwei Drittel der Gebäude in Gaza sind zumindest beschädigt
Doch selbst, wenn ihnen die Rückkehr erlaubt wird, dürften viele von ihnen kein Zuhause mehr haben: Nach Schätzungen, die auf Satellitenbildern basieren, sind mehr als zwei Drittel aller Gebäude in Gaza beschädigt oder zerstört. Bilder aus einem Flüchtlingslager bei Gaza Stadt zeigen lange Reihen weißgrauer Zelte, die kaum in der Lage sein dürften, die Winterkälte fernzuhalten. Für Hunderttausende Menschen dürften sie noch viele Monate das einzige Zuhause bleiben.
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