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Horst Köhler: Ein Präsident, der Afrika nie sich selbst überließ

Nachruf

„Offen will ich sein – und notfalls unbequem“: Trauer um Horst Köhler

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    Altbundespräsident Horst Köhler ist im Alter von 81 Jahren gestorben.
    Altbundespräsident Horst Köhler ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Foto: dpa

    Die Geschichte mit dem Becher begleitet Horst Köhler wie ein Leibwächter einen Spitzenpolitiker. Bei einer seiner vielen Afrika-Reisen schenkt eine Frau in Mali dem späteren Bundespräsidenten einen Becher aus Plastik, so breit wie eine Untertasse und vielleicht 20 Zentimeter hoch. Er enthält die Wochenration Hirse, die in einem Zentrum für schwangere Frauen an jede Bewohnerin verteilt wird. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Wieder zu Hause stellt Köhler den Becher auf seinen Schreibtisch – als ständige Mahnung, Afrika nicht sich selbst zu überlassen. 

    An einem Abend im Januar 2009 sitzt Köhler, der am Samstag im Alter von 81 Jahren gestorben ist, mit ein paar Journalisten im Garten seines Hotels in Accra zusammen, der Hauptstadt Ghanas. Er erzählt die Geschichte mit dem Becher Hirse und von den vielen Gesprächen, die er tagsüber geführt hat, und von denen sich fast alle um den wachsenden Einfluss Chinas in Afrika drehen. „Wir im Norden“, sagt Köhler dann, „müssen unser Verhalten ändern.“ Für ihn heißt das: Afrika nicht nur als Elendsquartier der Welt zu betrachten, in das man pflichtschuldig Entwicklungshilfe pumpt, sondern als Partner, für den man seine Märkte öffnet und Zölle senkt. 

    Afrika war das Lebensthema für Horst Köhler

    Afrika ist Köhlers Lebensthema Köhler – vor seiner Zeit als Bundespräsident, während seiner Amtszeit und auch danach noch, als er lange im Westsahara-Konflikt zwischen Marokko und Mauretanien vermittelt, ehe ihn seine etwas angeschlagene Gesundheit zum Aufhören zwingt. Schon als junger Mann hat er zu Hause in Ludwigsburg, wo seine Familie nach dem Krieg eine neue Heimat gefunden hat, mit Freunden einen Dritte-Welt-Laden gegründet. Als Staatsoberhaupt startet er die „Partnerschaft für Afrika“, ein Forum, das einen engeren Austausch zwischen den Kontinenten anstrebt und weit über das rein Politische hinausgeht. Einmal ist der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka mit dabei, in Ghana begleiten ihn der Schriftsteller Henning Mankell, der in Mosambik lebt, der frühere Fußballprofi Anthony Baffoe und der Sänger Wolfgang Niedecken, der ebenfalls ein großes Herz für Afrika hat.

    Köhler ist ein politischer Präsident: direkter, konfrontativer, entschlossener als die Republik es bis dahin von ihren Staatsoberhäuptern gewohnt ist. Der 1943 im heutigen Polen geborene Bauernsohn beschränkt sich nicht auf das rein Repräsentative, sondern mischt sich beherzt in Debatten um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die Schuldenwirtschaft oder die grassierende Subventionitis ein. Zweimal weigert er sich sogar, Gesetze auszufertigen, weil er sie für verfassungswidrig hält. Und er warnt zur Empörung von halb Ostdeutschland davor, mit aller Kraft gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland schaffen zu wollen. Wer die Unterschiede zwischen den Regionen mit Milliarden an Steuergeld einebnen wolle, fürchtet er, bürdet den nächsten Generationen eine untragbare Schuldenlast auf. „Meinen Amtseid“, hat er nach seiner Vereidigung gesagt, „verstehe ich als Verpflichtung, zur Erneuerung Deutschlands beizutragen.“ 

    Köhler war der erste Bundespräsident ohne Parteikarriere

    Der promovierte Ökonom Köhler hat bereits eine lange Karriere als Ministerialbeamter hinter sich, ehe er Staatssekretär beim damaligen Finanzminister Theo Waigel wird und für ihn unter anderem den Maastricht-Vertrag mit aushandelt, der das Fundament für die Europäische Währungsunion legt. Anschließend wechselt er ins Bankfach, zunächst als Präsident des Sparkassenverbandes, dann als Präsident der Osteuropabank in London und schließlich als Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington. Als klar ist, dass der damalige Bundespräsident Johannes Rau keine zweite Amtszeit mehr anstrebt, haben Angela Merkel und Edmund Stoiber sich eigentlich schon auf Wolfgang Schäuble als Kandidaten der Union geeinigt, der aber ist der FDP zu konservativ, die für eine Mehrheit in der Bundesversammlung gebraucht wird.

    So kommt plötzlich der weithin unbekannte Köhler ins Spiel – und setzt sich knapp gegen die SPD-Frau Gesine Schwan durch. „Horst ... wer?“ fragt die Bild-Zeitung, als er nominiert wird. Er ist der erste Nicht-Parteipolitiker im höchsten Staatsamt – das macht ihn freier in seinen Entscheidungen und unabhängiger in dem, was er sagt. Frank-Walter Steinmeier, der amtierende Bundespräsident, formuliert es so: „Es waren auch seine oft klaren und längst nicht immer bequemen Mahnungen und Ansprachen, die ihm Anerkennung brachten.“ Draußen, im Land, wird er dafür geschätzt. Drinnen, im Raumschiff der Politik, aber hoffen viele, dass der Präsident es nach vier Jahren auch gut sein lässt. Zu sperrig ist er dem Parteien-Establishment. Unter anderem durchkreuzt er durch einen geschickt lancierten Brief die Pläne des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, den Tag der Deutschen Einheit immer auf den ersten Sonntag im Oktober zu legen, um einen Feiertag einzusparen

    Horst Köhler tritt mit einem Paukenschlag als Bundespräsident zurück

    Anders als Rau aber kandidiert Köhler noch einmal, gewinnt noch einmal gegen Gesine Schwan, tritt aber ein Jahr später mit einem Paukenschlag zurück. Nach einem Besuch in Afghanistan hat er auf dem Rückflug in einem Interview eher beiläufig erwähnt, dass Deutschland strategische Interessen wie freie Handelswege im Notfall auch militärisch wahren müsse, was zu Hause einen Sturm der Entrüstung auslöst. Der Spiegel hat einen Bericht gar mit „Horst Lübke“ überschrieben und Köhler damit in eine Reihe mit dem vielleicht peinlichsten Präsidenten der deutschen Nachkriegsgeschichte gestellt. Temperamentvoll, wie er ist, fackelt der so Geschmähte nicht lange – und geht. Ihm vorzuwerfen, er rede Wirtschaftskriegen das Wort, findet Köhler ungeheuerlich. Seine Äußerungen, sagt er später, seien bewusst missverstanden und parteipolitisch instrumentalisiert worden.

    Als er zurücktritt, hat er Tränen in den Augen. „Offen will ich sein – und notfalls unbequem“, hat er Jahre zuvor einmal gesagt. Das ist ihm gelungen.

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