Herr Habeck, mit ihrem Vorstoß, auch auf Kapitalerträge Sozialbeiträge zu erheben, haben Sie für viel Wirbel gesorgt. Selbst die wirtschaftspolitische Beraterin Ihrer eigenen Regierung übt massive Kritik, ganz zu schweigen von vielen Sparern. Ihre Diagnose, dass die Kranken- und Pflegekassen ein Problem haben, ist unstrittig, an ihrer Medizin aber gibt es Zweifel….
ROBERT HABECK: Die Beiträge zu den Kranken- und Pflegekassen steigen immer weiter. Wir sind inzwischen so weit, dass Lohnzuwächse davon aufgefressen werden. Das haben wir im Januar mit den starken Beitragserhöhungen gesehen. Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeit wieder attraktiver wird – das ist wichtig für die Menschen und die Wirtschaft. Deshalb brauchen wir eine Lösung. Ich habe eine Möglichkeit in den Raum gestellt. Von SPD und CDU höre ich dazu nichts.
Viele Menschen haben Angst, dass ihnen der Staat noch mehr Geld nimmt.
HABECK: Meine Botschaft ist für die Menschen der arbeitenden Mitte eindeutig eine Entlastungsbotschaft. Sie sollen am Monatsende nicht weniger, sondern mehr Geld haben! Ich habe zur Kenntnis genommen, dass einige Mitbewerber die Dinge sofort ins Gegenteil verkehrt haben. Und es war vielsagend, dass diejenigen, die das getan haben, selbst keinen einzigen Vorschlag machen. Ich bin offen für konstruktive Ideen aus Union, SPD und FDP. Wer die nicht macht, nimmt hin, dass die Beiträge immer weiter steigen – und das ist keine akzeptable Antwort.

Die Debatte wäre womöglich weniger hitzig, wenn Sie und Ihre Partei mehr Details liefern könnten, etwa Vorstellungen, wie Freibeträge neu aufgestellt werden können.
HABECK: Die Leute, die arbeiten, sollen am Ende mehr Geld haben – darum geht es. Wir erheben in diesem Land die Beiträge für das Gesundheits- und Pflegesystem vor allem auf erarbeitetes Einkommen. Superreiche, die von ihren Dividenden leben, tragen weniger und oft sogar gar nichts zur solidarischen Finanzierung bei. Klar ist, dass mein Vorschlag im Kontext einer komplexen Reform steht, die die Finanzierung des Gesundheitssystems insgesamt effizienter und solidarischer macht.
Ihr Appell an die Menschen ist, keine Angst vor Veränderung zu haben. Aber solche überfallartigen Ideen machen genau das. Uns erinnert das ein wenig an das Heizungsgesetz oder an das abrupte Ende der E-Auto-Förderung.
HABECK: Das, was Sie aufzählen, sind doch sehr unterschiedliche Komplexe. Dass die Möglichkeit, Förderanträge für E-Autos zu stellen, so plötzlich ausgelaufen ist, hatte einen einfachen Grund: Uns fehlte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schlicht Geld. Der Klimafonds war dafür nicht mehr nutzbar. Aber es war doch nicht das Ziel von Olaf Scholz, Christian Lindner und mir, die Menschen mal so richtig zu ärgern.
Und beim Heizungsgesetz?
HABECK: Putin hatte 2022 die Gaslieferungen gestoppt, die Preise für fossile Energien stiegen ins Exorbitante und wir taten alles, um Gas und Energie zu sparen. Wir kamen also Anfang 2023 aus einem Winter, in dem die Innenstädte nachts spärlich beleuchtet waren, in dem öffentliche Gebäude nur noch auf 18 Grad beheizt wurden und vor allem in Süddeutschland gab es die Sorge vor einer Gasmangellage. Diese Probleme sollten nicht noch verstärkt werden, indem unverdrossen weiter Gasheizungen eingebaut werden. Deshalb hatten wir den Umstieg auf klimafreundliches Heizen, der ja Teil des Koalitionsvertrags war, vorgezogen. Schon 2022 hatten wir für das Konzept die Verbände, Bundesländer beteiligt. Als die Gesetzesänderungen öffentlich wurden, hatten wir den Winter gut überstanden, und das Land war ermüdet. Das verstehe ich, aber irgendwann muss man auch anfangen. Je länger man wartet, desto größer werden doch die Probleme.
War vielleicht sogar das Heizungsgesetz für manche Menschen ein Grund, mit dem Klimaschutz abzuschließen?
HABECK: Die Änderungen des Gesetzes hat sicher keine Popularitätswelle für den Klimaschutz ausgelöst. Aber die Stimmung hat sich beruhigt. Es kommt immer stärker an, dass Wärmepumpen im Betrieb deutlich günstiger sind und dass die Förderung, wie wir sie aufgesetzt haben, gut funktioniert. Mein Eindruck ist, dass die Menschen inzwischen eine ganz andere Sorge haben: Die Union will das Gesetz ganz abschaffen. Auch die Förderung für Wärmepumpen hat Jens Spahn schon zum Abschuss freigegeben. Gleichzeitig sollen die CO2-Preise auf fossile Energieträger steigen. Da kann ich nur sagen: Das wird eine teure Tasse Tee.
Sie gehören einerseits zu den beliebtesten Politikern, andererseits auch zu den am meisten gehassten. Vor fast genau einem Jahr wurden Sie und ihre Familie bedrängt, als sie aus dem Urlaub auf der Hallig Hooge kamen. Wie blicken Sie heute auf diesen Vorfall?
HABECK: Was die Situation am Fähranleger Schlüttsiel für mich so besonders gemacht hat, war, dass es in das Private eingedrungen ist. Ich bin Vizekanzler und der Staat beschützt mich gut. Tausende Menschen, die sich politisch engagieren, haben dieses Privileg nicht, obwohl sie bepöbelt und angespuckt werden. Ich halte das aus – aber meine Familie soll da bitte außen vor bleiben. Meine Frau und meine Söhne sind nicht Teil meines öffentlichen Lebens. Deshalb habe ich nach diesem Vorfall überlegt, ob es das alles noch wert ist.
Wie war ihre innere Antwort?
HABECK: Ich habe mit meiner Familie darüber gesprochen. Aber auch sie hat gesagt: Jetzt erst recht. Der Zorn darf nicht gewinnen. Und man muss sich immer wieder bewusst machen: Eine Ursache dieses Zorns ist, dass der Populismus den Ausgleich nicht erträgt. Den Populisten geht es nur darum, die Leute meschugge zu machen, die Demokratie als dysfunktional darzustellen, um selbst für eine vermeintliche Ordnung zu sorgen, die weniger Freiheit für uns alle bedeutet.
Nicht jeder will das ertragen. Mehrere Bundestagsabgeordnete werden nicht wieder zur Wahl antreten - darunter der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz - weil die Angriffe so massiv geworden sind.
HABECK: Wir stehen an der Kante. Viel mehr an schlechter Stimmung, Aggression, Schlechtreden hält unser System nicht aus. Die nächsten vier Jahre der Legislaturperiode können nicht so laufen wie die letzten drei Jahre in der Ampel gelaufen sind.
Tatsächlich warnen Experten vor einem Kipppunkt, an dem die Populisten und Rechtsextremisten nicht mehr zurückgedrängt werden können. Die nächsten Jahre könnten entscheidend sein. Oder haben wir bald eine Kanzlerin Alice Weidel?
HABECK: Österreich ist nicht so fern von uns, genauso Frankreich, wo Marine Le Pen nach der nächsten Wahl Präsidentin werden könnte. Ich rate allen, die sich für liberale Demokraten halten, sich nicht unbesiegbar zu fühlen, nur weil sie gerade die höheren Umfragewerte haben. Ich nehme das Thema sehr, sehr ernst. Nehmen wir an, die FDP fliegt aus dem Bundestag, alle demokratischen Parteien müssten nach der Bundestagswahl eine Regierung bilden. Die einzigen Oppositionsparteien wären BSW und AfD. Das wäre alles andere als einfach. Für so einen Fall mache ich mir echte Sorgen um die Wahl 2029. Was uns helfen kann, ist, dass wir die wirtschaftliche Schwäche überwinden. Leider verbindet sich technologischer Fortschritt derzeit mit autoritären Gesellschaftsbildern, das ist ein Problem.
Wie sieht dieses Problem aus?
HABECK: Wenn sich der Glaube in Deutschland und Europa durchsetzt, dass wir eine autoritäre Staatsform brauchen, um ökonomischen Erfolg zu haben, dann geraten wir in eine Schieflage. Wir müssen aus unseren liberalen und demokratischen Werten heraus genauso erfolgreich sein wie die anderen – mit einem „European way of life.“ Deshalb müssen wir jetzt einen eigenen, mutigen Weg der Innovation gehen. Wir müssen infrage stellen, ob die restriktive Schuldenbremse passt, ob Europa gut genug aufgestellt ist. Wir sollten diese Herausforderung ernst nehmen.
Sie sagen zu Recht, dass ein entscheidender Faktor die Wirtschaft ist. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg könnte es in Deutschland zu drei Rezessionsjahren in Folge kommen. Was daran ist Ihr Anteil als Wirtschaftsminister?
HABECK: Wir hätten direkt nach dem Angriff Putins auf die Ukraine schon mit einem großen Konjunkturpaket reagieren müssen, weil absehbar war, dass Preise steigen und der Druck enorm wird. Mir ist es in der Koalition nicht gelungen, eine solche Antwort durchzusetzen. Ja, wir haben erfolgreich Putins Angriff auf die Energieversorgung abgewehrt. Wir haben die Energiewende auf Kurs gebracht, sind den Fachkräftemangel angegangen, haben den Abbau von Bürokratie auf die Tagesordnung gehoben. Das ist viel – und vieles wird auch noch Wirkung zeigen. Aber es reicht nicht. Unser Land befindet sich in einer strukturellen Krise, wir haben seit 2018 kein echtes Wachstum mehr in Deutschland. Wir haben einen dramatischen Stau an Investitionen in der Infrastruktur. Man kann doch dann nicht ernsthaft glauben, dass man mit den Regeln der vergangenen 40 Jahre weiter kommt.
Wenn Sie wieder Teil einer Regierung sein wollen, würde das eine Koalition mit der Union bedeuten. Welche Kompromisse würden Sie dafür eingehen?
HABECK: Jetzt im Wahlkampf geht es darum, das eigene Angebot herauszustellen. Und dann werden wir sehen, wer mit wem Koalitionsverhandlungen führt und wo Kompromisslinien liegen. Aber mir macht da etwas anderes Sorgen. Wenn man aus der Ampel eine Lehre ziehen kann, auf die sich alle einigen können, dann die: Dieser fürchterliche Streit hat das Vertrauen in die Politik massiv geschwächt. Mein Wunsch ist, dass die nächste Regierung keine streitbehaftete Koalition ist. Aber wenn sich CDU und CSU jetzt schon streiten wie die Kesselflicker, aus München ständig Blutgrätschen in die Beine des Kanzlerkandidaten kommen, wie soll das denn bitte werden, wenn noch ein Koalitionspartner dazukommt? Das ist doch schon die gelebte Regierungsunfähigkeit, ehe man überhaupt in der Regierung ist.
Am Montag kommt Donald Trump zurück ins Weiße Haus zurück. Sind wir ihm in Wahrheit hilflos ausgeliefert?
HABECK: Wenn Europa gespalten ist, sind wir Donald Trump hilflos ausgeliefert, das müssen wir uns ehrlich eingestehen. Wenn wir aber geschlossen agieren, können wir ihm mit der Macht Europas im Rücken begegnen. Europa steht aber nur dann stark und geschlossen da, wenn jede deutsche Bundesregierung sich dafür einsetzt. Wir müssen immer Teil der Lösung sein. Deshalb ist es schlecht, wenn sich Politiker über europarechtliche Regeln hinwegsetzen und tönen, dass sie die Grenzen einfach dicht machen für Migranten. Deutschland darf sich nicht wie Ungarn benehmen. Es gibt einen europäischen Imperativ für die nächste Bundesregierung. Wir müssen gemeinsam unsere Werte verteidigen. Und wir müssen den Amerikanern sagen, dass es dumm ist, einen Handelskrieg zu führen. Wenn sie das nicht wollen, hat die EU Gegenmaßnahmen in der Schublade, die die US-Wirtschaft treffen werden, vor allem in den Trump-Staaten. Die falscheste Antwort wäre, sich in den Staub zu werfen vor Donald Trump und seinen Leuten.
Sie sind Schriftsteller, die haben das Privileg, sich ein Happy End auszudenken. Wie sähe ihr Happy End für unsere Zeit aus?
HABECK: Ich lese gerade das Buch „Nexus“ von Noval Yuval Harari, dem israelischen Philosophen und Historiker. Das machte mir noch mal klar, dass es ganz entscheidend ist, welche Geschichten wir über uns als Gesellschaft erzählen. Wenn wir wissen, woher wir kommen, können wir auch entscheiden, wohin wir gehen wollen. Nur über Excel-Tabellen können wir nicht kommunizieren. Ich selbst denke gern an Jürgen Klinsmann. Der sagte mal, er gewinne lieber 5 zu 4 als 1 zu 0. Wir müssen bereit sein, ins Risiko zu gehen und auf Sieg zu spielen. Nicht verlieren zu wollen, reicht nicht mehr aus. Playing to win, not playing not to lose, darum geht es jetzt.
Zur Person
Robert Habeck, 55, ist stellvertretender Bundeskanzler und Minister für Wirtschaft und Klima. Er geht für die Grünen als Kanzlerkandidat ins Rennen für die Bundestagswahl. Habeck wuchs in Kiel auf, er steht für den pragmatischen Flügel innerhalb seiner Partei.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden