Auf den ersten Blick liest sich die Nachricht positiv. Bis 2030 wird Deutschland seine Treibhausgas-Ziele einhalten. Emissionstechnisch ist das Land auf Kurs, die neue Bundesregierung muss nicht nachbessern. Das erklärte am Donnerstag der Expertenrat für Klimafragen – ein fünfköpfiges Gremium, das die Klimapolitik der Bundesregierung bewertet. In seinem Bericht hatte es die entsprechenden Zahlen, die das Umweltbundesamt bereits im März veröffentlicht hatte, überprüft.
Auf den zweiten Blick liest sich die Nachricht nicht mehr ganz so positiv. Das hat drei Gründe.
Klimaschutz und Wirtschaftswachstum: Geht das zusammen?
Erstens erreicht Deutschland seine Emissionsziele nicht wegen seiner ehrgeizigen Klimapolitik. Im Gegenteil. Dass die Vorgaben eingehalten werden, ist eine Nebenwirkung der schwächelnden Wirtschaft und der Pandemie.
Die Ziele sind im Klimaschutzgesetz festgelegt. Geregelt ist dort, wie viele Treibhausgase Deutschland zwischen 2020 und 2030 maximal produzieren darf. Weil während Corona weniger ausgestoßen wurde und außerdem die Wirtschaftskraft zuletzt zurückging, hat Deutschland in den vergangenen Jahren weniger ausgestoßen und sich einen „Puffer“ für die kommenden fünf Jahre erarbeitet, sagte der Vorsitzende des Klimarats, Hans-Martin Henning. Ohne diesen Puffer wäre „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine doch merkliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen“.
Nun haben Union und SPD angekündigt, die Wirtschaft wieder in Schwung bringen zu wollen. Wenn aber schwächelnde Wirtschaft gleich gute Emissionsbilanz bedeutet, hieße das im Umkehrschluss auch: starke Wirtschaft gleich schlechte Emissionsbilanz in den kommenden Jahren? Nicht unbedingt, meint der Klimarat. „Es ist klar, dass tendenziell Wirtschaftswachstum natürlich eher emissionssteigernd wirkt“, sagte Barbara Schlomann, Mitglied des Klimarats. Gleichzeitig sorge Wirtschaftswachstum auch dafür, dass „die finanziellen Möglichkeiten für Investitionen in den Klimaschutz wiederum gesteigert werden können.“ Wenn das zusätzliche Geld richtig ausgegeben wird, ist also durchaus beides möglich – Klimaschutz und Wirtschaftswachstum.
Die zweite negative Nachricht aus dem Bericht: Zwar hält Deutschland die Emissionsziele von 2020 bis 2030 ein. Das übergeordnete Ziel aber, bis 2030 mindestens 65 Prozent weniger Treibhausgas zu produzieren als 1990, wird Deutschland wohl nicht erreichen. Nach aktuellen Projektionen liegt die Minderung nur bei 63 Prozent. Vor allem in den Sektoren Verkehr und Gebäude wird weiterhin zu viel ausgestoßen, hieß es.
Und dann ist da noch die dritte schlechte Nachricht, nämlich die Zeit nach 2030. Seine langfristigen Ziele wird Deutschland nicht einhalten. Bis 2045 soll das Land klimaneutral sein, dazu hat sich auch die neue Regierung bekannt. Den Experten zufolge wird Deutschland dieses Ziel verfehlen - und anders als die 65-Prozent-Marke sogar relativ deutlich. Deshalb sei es jetzt Zeit zu handeln, heißt es vom Klimarat. „2045 ist aus Klimasicht letztlich heute“, sagte Brigitte Knopf, Mitglied des Rats. „Wenn wir da heute nicht investieren und etwas tun, dann werden wir 2045 nicht klimaneutral.“
Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits heute deutlich zu spüren. So war der Frühling in diesem Jahr ungewöhnlich trocken. Die Donau bewegt sich nur knapp über Niedrigwasser. Der Deutsche Wetterdienst rechnet außerdem mit einem außergewöhnlich warmen Sommer.
Bis März kommenden Jahres muss die Regierung jedoch ein Klimaschutzprogramm ausarbeiten und konkreter werden
Damit kommen einige Aufgaben auf die neue Bundesregierung zu. Die Vorhaben des Koalitionsvertrags sind in den Prognosen des Rats noch nicht beinhaltet. Berechnungen zufolge würden sie die Emissionen immerhin nur leicht steigern. Positiv wirke sich beispielsweise die Fortführung des Deutschlandtickets aus. Gleichzeitig gehe vom Koalitionsvertrag „letztlich kein nennenswerter positiver Impuls“ für den Klimaschutz aus, sagte Knopf. Bei genauerer Analyse falle auf, „dass im Koalitionsvertrag bisher viele Sachen vage bleiben.“
Bis März kommenden Jahres muss die Regierung jedoch ein Klimaschutzprogramm ausarbeiten und konkreter werden. Das ist gesetzlich geregelt. Darin muss sie darlegen, wie die Klimaziele bis 2040 eingehalten werden sollen. Der Ausstoß müsste dann um 88 Prozent gegenüber 1990 gesunken sein. Nach aktuellen Berechnungen erreicht Deutschland dieses Ziel nicht. Der Klimarat forderte die Bundesregierung auf, ihr Programm nicht nur bis 2040 auszuarbeiten, sondern gleich darzulegen, wie man bis 2045 klimaneutral werden könne.
Kritik an den konkreten Vorhaben der Koalition kommt von den Grünen. „Zentraler Konflikt ist für mich die Gas-Renaissance“, sagt Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Fraktion. „Frau Reiche will unzählige neue Gaskraftwerke bauen, statt auf Wasserstoff umzustellen.“ Das schaffe neue Abhängigkeiten. „Gefährlich finde ich auch den Kampfbegriff der Technolgieoffenheit“, sagt Badum. „Das ist vor allem ein Geschenk an die Automobil-Industrie, um zum Beispiel Flottengrenzwerte zu verhindern.“
Erreicht Deutschland seine Emissionsziele nicht, könnte das teuer werden. Denn dann muss die Bundesrepublik Rechte zum CO2-Ausstoß von anderen europäischen Staaten kaufen. Wieviel das Deutschland kosten wird, ist noch nicht abzusehen. Es wird mit zweistelligen Milliardenbeträgen gerechnet.
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