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Merz' Fehltritt belebt Scholz im Wahlkampf

Regensburg

Nach AfD-Debakel: Merz' Niederlage verleiht Scholz neue Energie im Wahlkampf

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    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im Veranstaltungszentrum Marinaforum in Regensburg.
    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im Veranstaltungszentrum Marinaforum in Regensburg. Foto: Armin Weigel, dpa

    Ein Bürgerdialog soll es sein, ein Townhall-Treffen, wie die lokale Bundestagsabgeordnete ankündigt, als Olaf Scholz mit forschem Schritt die Bühne betritt. Doch der Kanzler muss jetzt erst einmal eine Botschaft loswerden, bevor der Bürger fragen darf – seine Botschaft. Olaf Scholz ist aus Berlin nach Regensburg geeilt, den ganzen Nachmittag haben die Genossen in der Oberpfalz gebibbert, ob es überhaupt was wird mit dem Termin. Denn in der Hauptstadt, im Bundestag, da tobte die Debatte darüber, ob Union und FDP gemeinsam mit der AfD erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein Gesetz beschließen würden.

    Die Verhandlungen zogen sich, bis Friedrich Merz dann viertel nach fünf mit dem Versuch scheiterte, seinem Tabubruch vom Mittwoch einen noch schwereren Fehler hinzuzufügen. Der Kanzler sah dem Treiben in Berlin regungslos von der Regierungsbank aus zu, während SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hinter den Kulissen Regie führte und Merz dann in aller Öffentlichkeit mit alttestamentarischer Wucht („Tor zur Hölle“) geißelte. Jetzt aber, mit 90 Minuten Verspätung im Regensburger Marinaforum nahe der Donau, jetzt hat auch Olaf Scholz Redebedarf.

    Scholz: „Herr Merz hat sich verzockt“

    Bildschirme tauchen die Bühne in rotes Licht, und Scholz, schwarzer Anzug, weißes Hemd ohne Krawatte, wie immer also, zeigt schon mit seinen ersten Sätzen, wie er das Chaos zu nutzen gedenkt, in das Oppositionsführer Merz die Union und womöglich auch die deutsche Demokratie geführt hat: „Herr Merz hat sich verzockt. Aber das ist gar nicht das Schlimmste. Das Schlimme ist, dass er gezockt hat. Er hat Unfrieden und Unsicherheit in unserem Land gestiftet – für nichts“.

    So legt Scholz los. „Heute hätte man schon am Anfang des Tages sagen können, das ist ein Gesetzesantrag, der kriegt im Bundesrat gar keine Mehrheit. Also: Warum?“ Scholz erinnerte an das Versprechen von Merz vor wenigen Monaten, mit der AfD im Parlament keine gemeinsame Sache zu machen. „Ich glaube, die Deutschen haben jetzt gelernt: Dieser Versicherung von Friedrich Merz kann man nicht trauen.“

    Das ist der Sound, der nun den SPD-Wahlkampf bis zum 23. Februar prägen wird. Es ist ja nicht nur so, dass Merz der AfD in dieser Woche gleich zwei billige Siege geschenkt hat. Darüber hinaus hat er auch der darbenden Regierungspartei mit ihrem unbeliebten, ja eigentlich schon abgeschriebenen Kanzler einen neuen Energieschub verpasst. Sogar die New York Times in den fernen USA ordnet den gescheiterten Migrations-Befreiungsschlag des Unions-Kanzlerkandidaten fürs internationale Publikum derart kritisch ein.

    Die Strategie der SPD für die Bundestagswahl ist klar

    Sicher, es muss sich erst noch zeigen, ob die Umfragen in den nächsten Tagen den Genossen einen Aufwärtstrend bescheren. Doch wer Scholz in Regensburg hört, der erkennt immerhin die Strategie, mit der die SPD das erreichen will. Kein Wunder, dass die SPD Merz im Bundestag nicht aus seiner selbstgewählten Sackgasse herausgeholfen hat. Aus Sicht der Sozialdemokraten soll er da bis zum Wahlabend schmoren.

    „Nicht richtig ist, was der Kanzlerkandidat der Union gemacht hat“, fährt Scholz fort. „Er hat ein Tabu gebrochen. ein Tabu, das unser Land in den letzten Jahrzehnten immer gemeinsam vereint hat, etwas, was klar war: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten in Deutschland.“

    Donnernder Applaus, immer wieder. Die Bürgerinnen und Bürger sind bis aus dem Schwarzwald an die Donau gekommen und aus Sachsen. Ihre Fragen, dann, im Bürgergespräch, drehen sich um Merz´Tabubruch, aber auch um Long Covid, die Bedrohung durch Putin, die Zukunft der Rente. Ein Professor für Künstliche Intelligenz gibt Scholz die Gelegenheit, über Donald Trumps KI-Initiative zu plaudern. „Hallo, Herr Bundeskanzler“, reden sie Scholz an, oder „lieber Genosse Olaf Scholz“. Kritische Themen wie die vernichtende Wirtschaftsbilanz der Ampel oder der Dauerstreit von Rotgrüngelb kommen eher nicht zur Sprache. Ihr hattet ja eine schwere Zeit in der Regierung, sagt stattdessen einer verständnisvoll, „all-inclusive“. Das ist ja mal was Nettes, sagt Olaf Scholz.

    Scholz warnt in Regensburg vor einem konservativen Rollback

    Was Scholz immer behauptet, dass er bei den „echten Menschen“ weit besser ankäme als bei den Journalisten in Berlin - so ganz falsch scheint das nicht zu sein. Womöglich liegt das aber auch daran, dass die Auswahl der Besucher durch die Bayern-SPD nicht ganz so zufällig erfolgte, wie eingangs behauptet wird. Die Wartezeit auf den verspäteten Kanzler konnte man sich am Tresen mit naturtrüber Apfelschorle und Bio-Tee vertreiben. Sie hätten auch Bier, sagt die freundliche Servicekraft, aber das habe der Veranstalter leider nicht bestellt. Bei der Bayern-SPD ist jeden Monat „dry January“. Kein Wunder, dass zweistellige SPD-Ergebnisse in Bayern so selten geworden sind wie Tore des 1. FC Nürnberg.

    Einen Gewinner aber hat der Abend, den von vielen längst abgeschriebenen Kanzler eben. Ein örtlicher Aktivist, der mit vereinzeltem Applaus begrüßt wird, will wissen, ob es mit der Union ein Rollback bei queerer Politik geben wird, beispielsweise bei den neuen Regeln, wonach jüngere Menschen ihr Geschlecht im Pass weitgehend ohne ihre Eltern bestimmen können. Da wird Scholz wieder grundsätzlich. Schon immer, so sagt der Kanzler, sei es seine Partei gewesen, die gesellschaftlichen Fortschritt erkämpft habe. Aber wenn die Konservativen dann an die Macht gekommen wären, dann hätten sie das zumindest nicht zurückgedreht. Scholz nennt die Ostverträge Willy Brandts als Beispiel. „So sind die heute nicht mehr“, sagt Scholz. Er warnt vor Rückschritt, vor einem konservativen Rollback. Friedrich Merz, ein deutscher Donald Trump: rücksichtslos, irrlichternd, gefährlich. Das sagt Scholz nicht, aber das soll mitschwingen. Jeder versteht es.

    Olaf Scholz: Man kann Friedrich Merz nicht mehr trauen

    Fast schon folgerichtig ist die nächste Eskalationsstufe im Scholz'schen Wahlkampf-Endspurt. Keineswegs sei es ausgeschlossen, so sagt der Noch-Kanzler, dass Merz auch nach der Wahl gemeinsame Sache mit der AfD machen und sich etwa mit den Stimmen von Rechtsextremisten zum Kanzler wählen lassen könnte. „Unsere Eltern und Großeltern haben immer gesagt, wer einmal nicht die Wahrheit spricht… Merz hat gesagt, er werde nicht abstimmen mit der AfD, und deshalb kann man ihm nicht mehr trauen, wenn er Aussagen darüber macht, was er nicht mit der AfD zusammen machen wird“, sagt Scholz nach dem Bürgergespräch und dutzenden Selfies mit den Genossen in die Kameras der wartenden Journalisten. „Das ist leider die bittere und traurige Wahrheit. Ich hätte das vor zwei Wochen anders beantwortet, aber das muss hier klar so gesagt werden.“

    Seine Wahlempfehlung an die Genossen im Saal war übrigens so erwartbar wie klar: „Ich empfehle mich“.

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