Es ist eine Eskalation mit Ansage: Die Situation in der Pflege spitzt sich weiter zu – und das auf vielen Ebenen. Während die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland seit Jahren steigt, wird die Suche nach Fachkräften für deren Versorgung immer schwieriger. „Schon heute würde die Pflegebranche ohne ausländische Pflegekräfte kollabieren, denn fast jede vierte Pflegekraft im Altenheim hat eine andere Staatsangehörigkeit“, sagt Vanessa Ahuja, Vorständin Internationales der Bundesagentur für Arbeit, anlässlich des Tages der Pflege am 12. Mai.
Eine Studie der DAK zeigte kürzlich, dass in Bayern schon im Jahr 2029 ein personeller Kipppunkt droht. Zu diesem Zeitpunkt könnten Berechnungen zufolge deutlich mehr Pflegerinnen und Pfleger in den Ruhestand gehen als Nachwuchskräfte in den Beruf einsteigen. Zwar ist die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich in den vergangenen Jahren um 22 Prozent gewachsen - auf insgesamt 1,72 Millionen. Doch laut Arbeitsagentur wird das Wachstum nun seit drei Jahren in Folge ausschließlich von ausländischen Pflegekräften getragen. Mittlerweile liege ihr Anteil am Personal in Pflegeberufen bei 18 Prozent. In Bayern liegt der Anteil ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege sogar über 41 Prozent, in der Gesundheits- und Krankenpflege bei 21 Prozent.
Immer mehr Pflegekräfte aus dem nichteuropäischen Ausland
Aus der EU und der Schweiz kommen inzwischen weniger Kräfte nach Deutschland. Dafür hat sich seit 2015 die Zahl der in der Pflege Beschäftigten aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Serbien und Nordmazedonien auf 51.000 beinahe verfünffacht. Auch aus Indien und den Philippinen kommen vermehrt Pflegekräfte nach Deutschland. Doch selbst durch Zuzug aus dem Ausland können nicht alle offenen Stellen besetzt werden. 2024 kamen in Bayern auf 3.347 freie Stellen nur 1.136 arbeitslose Pflegefachkräfte.
Gleichzeitig geraten nicht nur die Pflegekassen, sondern auch immer häufiger Heime in finanzielle Schieflage. So wurden seit Anfang vergangenen Jahres nach einer Erhebung des Arbeitgeberverbands Pflege bei 1.264 Pflege-Einrichtungen Insolvenzen oder Schließungen bekannt. Gründe seien unter anderem steigende Betriebskosten, aber auch die mangelnde Zahlungsmoral vieler Kassen. Die Finanzlage in der gesetzlichen Pflegeversicherung ist seit Jahren defizitär.
Bundesregierung plant „große Pflegereform“
Angesichts der Vielzahl an Problemen hatte Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Pflegereform angekündigt. Auf den Weg kamen Verbesserungen vor dem Bruch der Ampel-Koalition aber nicht mehr. Nun hat die neue Regierung eine „große Pflegereform“ angekündigt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll noch in diesem Jahr Vorschläge erarbeiten. Auch deshalb mahnt Verena Bentele, Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands, dem VdK, zum raschen Handeln. Schwarz-Rot hat in seinem Koalitionsvertrag Verbesserungen versprochen, zum Beispiel die Zusammenführung des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes – beide helfen, wenn sich Beschäftigte für die Pflege von Angehörigen von der Arbeit freistellen lassen. Das sei, so Bentele, ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibe noch viel zu tun. „Auch das Familienpflegegeld wird derzeit nur geprüft, aber wir können uns keine Verzögerungen mehr leisten“, sagt die VdK-Chefin. „Wer Versprechen macht, muss sie auch einlösen – für alle, die tagtäglich Pflegearbeit leisten.“
Auch die Caritas macht Druck. „Wir können beim so dringend Notwendigen nicht auf die im Koalitionsvertrag angekündigten Kommissionen warten“, sagt Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. Sie drängt vor allem eine einheitliche Ausbildungsstruktur. Das erleichtere auch den Einstieg von ausländischen Kräften. „Die Einführung einer bundesweit einheitlichen Pflegefachassistenz liegt seit letztem Jahr in der Schublade“, so der Caritas-Verband. Aber auch die Bündelung von verschiedenen finanziellen Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige sei wichtig.
Auf diese Gruppe lenkt auch der VdK den Blick. Am Tag der Pflegenden würden nicht nur Pflegekräfte in Einrichtungen mehr Anerkennung verdienen. „Wir müssen die Millionen pflegenden Angehörigen stärker in den Fokus rücken“, betont Bentele. Rund 86 Prozent der Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt. „Die Angehörigen leisten den Löwenanteil der Pflege – unbezahlt und oft über ihre Belastungsgrenze hinaus“, sagt sie. Dem Bayerischen Landesamt für Statistik zufolge erhalten derzeit mehr als 631.273 Menschen im Freistaat Leistungen aus Pflegeversicherung, das heißt, sie gelten als pflegebedürftig. 110.844 davon werden vollstationär in einem Pflegeheim betreut.
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