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Sicherheitspolitik: Boris Pistorius und die Wehrpflicht: Im Modus des Einzelkämpfers

Sicherheitspolitik

Boris Pistorius und die Wehrpflicht: Im Modus des Einzelkämpfers

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    Bei der Armee entscheidet einer an der Spitze, im Parlament braucht es eine Mehrheit: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sorgt in der schwarz-roten Koalition für Ärger um die Wehrpflicht.
    Bei der Armee entscheidet einer an der Spitze, im Parlament braucht es eine Mehrheit: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sorgt in der schwarz-roten Koalition für Ärger um die Wehrpflicht. Foto: Imago

    Die SPD-Abgeordnete Siemtje Möller kennt Boris Pistorius gut. Vier Jahre lang diente sie dem Verteidigungsminister als Staatssekretärin. Möller macht Sicherheitspolitik und hat sich in dieser Männerdomäne behauptet. Am Dienstag verlässt sie überstürzt die SPD-Fraktionssitzung, sie hat Tränen in den Augen. Möller wurde von Pistorius ausgebremst, der die fertig ausgehandelte Einigung mit CDU und CSU zum Wehrdienst rabiat stoppte.

    Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende hatte wochenlang mit den Konservativen hinter verschlossenen Türen diskutiert. Die Bundeswehr braucht in den nächsten Jahren mehr Rekruten, um Nato-Verpflichtungen zu erfüllen und Russland abzuschrecken. Während die SPD auf Freiwillige setzt, will die Union notfalls junge Männer zum Pflichtdienst einziehen. Möller war weit gekommen mit dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der das Thema für CDU und CSU verhandelte. Journalisten wurden zu einer Pressekonferenz eingeladen, eine Pressemitteilung war vorbereitet.  

    Pistorius lehnt faulen Kompromiss ab

    Doch dann kam Pistorius und legte sein Veto ein, nannte die erreichte Verständigung „einen faulen Kompromiss“. Möller weinte, der Koalitionspartner tobte. „Ich habe es in über 30 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag noch nie erlebt, dass ein Bundesminister in seinem eigenen Verantwortungsbereich ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren frontal torpediert und die eigene Fraktion ins Chaos stürzt“, beklagte Röttgen in der Süddeutschen Zeitung.

    Die SPD-Sicherheitsexpertin Siemtje Möller diente Pistorius vier Jahre lang als Staatsseketrärin. Jetzt wurde sie von ihm in der Fraktion gedemütigt.
    Die SPD-Sicherheitsexpertin Siemtje Möller diente Pistorius vier Jahre lang als Staatsseketrärin. Jetzt wurde sie von ihm in der Fraktion gedemütigt. Foto: Dieter Obermayer, dpa

    Mittwochfrüh versuchte Pistorius, seinen einsamen Entschluss einzuordnen. „Am Montagabend haben wir zusammengesessen. Ich habe meine Bedenken an einigen Punkten nicht zum ersten Mal artikuliert“, sagte der 65-Jährige. Siemtje Möller könne nicht überrascht gewesen sein. „Ich finde das alles weit weniger dramatisch, als es gerade gemacht wird“, meinte Pistorius mit Blick auf die Differenzen in der Sache. Er stört sich vor allem daran, dass ab 2027 nicht alle jungen Männer ab 18 Jahren verpflichtend gemustert werden. Das stand noch so in seinem Gesetzentwurf, den das Kabinett Ende August beschlossen hatte.

    Stattdessen findet sich im Kompromiss von Möller und Röttgen lediglich, dass alle Männer einen Fragebogen ausfüllen müssen, ob sie fit sind und sich grundsätzlich vorstellen könnten, Dienst an der Waffe zu leisten. In ihren Augen dürfte der Fragebogen genügen, um Werbung für die Truppe zu machen und ausreichend Freiwillige zu finden. Pistorius ist das zu wenig, er fordert genaue Informationen über die Tauglichkeit eines ganzen Jahrgangs. Er denkt also weiter als an die bloße Erfassung, sondern will einen Überblick haben, wen er notfalls an die Front schicken kann.

    Ist die Musterung per Los gerecht?

    Zweiter Streitpunkt ist ein Losverfahren, auf das sich die Fraktionen von Union und SPD verständigt hatten. Demnach sollten nicht alle jungen Männer gemustert, sondern ein Teil per Zufall ausgewählt werden. Kommt die ausreichende Zahl von Freiwilligen nicht zustande, könnten aus diesem Kontingent Rekruten zwangseingezogen werden.

    Die Union hat zur Rechtmäßigkeit eigens ein Gutachten des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio anfertigen lassen, denn wenn nicht alle in die Kasernen einrücken müssen, produziert das eine Ungerechtigkeit. „Ein ordnungsgemäßes Losverfahren stellt keine Ausformung von Willkür, sondern unter der Verwendung bestimmter Variablen und Verfahrensgrundsätze die Gewährleistung eines gerechten Zufallsverfahrens dar“, erklärt der Staatsrechtler in seinem Papier.  

    Trotz der lauten Misstöne im Regierungslager soll der Bundestag an diesem Donnerstag in erster Lesung über das Wehrdienstgesetz beraten, allerdings in der alten Fassung. Kurios: Das Parlament diskutiert also einen Stand, für den es bei Schwarz-Rot keinen Rückhalt gibt. „Dass der Bundesverteidigungsminister hier nach der Vereinbarung zwischen den Koalitionspartnern interveniert und Bedenken äußert, war anders signalisiert und daher zunächst unerwartet“, sagte der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Dorn unserer Redaktion. Sicherheitspolitik brauche vor allem Verlässlichkeit.

    Pistorius hat es also nicht vermocht, in den Gesprächen hinter den Kulissen einen zentralen Punkt durchzubringen. In seiner Partei ist die Begeisterung für Pflicht und Zwang bei der Wehrtüchtigkeit sehr begrenzt. Auch sein Bonus als beliebtestes Politiker Deutschlands konnte das Blatt nicht wenden. Der lähmende Apparat frisst den Reformer. „Ich kann Ihnen sagen, das ist ein Riesenladen, dieses Ministerium, und nicht jede Entscheidung, die Sie treffen, funktioniert wie das angeschaltete Licht“, sagte er zu seiner Verteidigung.   

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