Der Mann mit dem weißen Hemd und dem blauen Sakko war nach Augenzeugenberichten schon eine Weile vor dem Jüdischen Museum in der Innenstadt von Washington auf- und abgegangen. Als gegen 21 Uhr eine Gruppe von vier Personen das rote Backsteingebäude verließ, trat er auf sie zu und erschoss zwei von ihnen aus nächster Nähe. Anschließend stellte sich der Täter im Museum der Polizei. Videoaufnahmen zeigen, wie er bei seiner Festnahme mehrmals „Free, free Palestine!“ ruft.
Noch ist wenig über die Hintergründe des Attentats vom Mittwochabend bekannt. Der mutmaßliche Täter, ein 30 Jahre alter Mann aus Chicago, soll keine Vorstrafen haben. Die Bundespolizei FBI, deren lokales Hauptquartier unmittelbar gegenüber dem Tatort liegt, untersucht den Fall als mögliches Hassverbrechen. Die Opfer sind nämlich zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in der amerikanischen Hauptstadt: Die 26-jährige Amerikanerin Sarah Lynn Milgrim und der 30-jährige Yaron Lischinsky, der neben dem israelischen auch einen deutschen Pass besaß, hatten an einem Empfang des American Jewish Committee für junge Diplomaten teilgenommen. In der nächsten Woche wollten sie sich verloben. Lischinsky ist in Nürnberg aufgewachsen, bevor er nach Israel ausgewandert ist.
Tödliche Attacke auf israelische Botschaftsmitarbeiter: Debatte in den USA ist vergiftet
Die öffentlichen Reaktionen sind von Entsetzen, Abscheu und Anteilnahme gezeichnet. Schon ist absehbar, dass die Bluttat das innenpolitische Klima in den USA weiter vergiften wird. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel und der anschließenden israelischen Offensive im Gazastreifen haben neben pro-palästinensischen Protesten auch antisemitische Übergriffe in Amerika stark zugenommen. Nach Angaben der Anti-Defamation League (ADL) ist ihre Zahl mit 9354 auf einen beunruhigenden Rekordstand geklettert. So wurde im August 2024 in Brooklyn ein Mann schwer durch Messerstiche verletzt, während der Täter „Free Palestine“ rief. Im Oktober des vergangenen Jahres wurde in Chicago ein Mann auf dem Weg zur Synagoge angeschossen. Erst vor einem Monat gab es während des Pessach-Festes einen Brandanschlag auf die Residenz des jüdischen Gouverneurs von Pennsylvania, Josh Shapiro..
Beobachter befürchten statt eines kollektiven Innehaltens eher eine baldige politische Instrumentalisierung des Attentats von Washington. Der mutmaßliche Täter stammt aus Chicago und hat einen hispanischen Nachnamen. Über Verbindungen zu Terrororganisationen ist nichts bekannt. Gleichwohl erregen sich ultrarechte Aktivisten wie Laura Loomer, die einen engen Draht zum Präsidenten hat, bereits über einen „islamistischen Terrorakt“ und fordern eine Neuauflage des Einreiseverbots für Menschen aus muslimischen Staaten.
Israel will unterdessen seine Vertretungen weltweit nach der Tat stärker sichern. Das ordnete Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Angaben seines Büros an. Der Regierungschef sei „erschüttert über den grausamen antisemitischen Mord“ in der US-Hauptstadt. „Wir erleben den schrecklichen Preis, den Antisemitismus und grassierende Hetze gegen den Staat Israel fordern“, sagte Netanjahu.
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