Für wenige Augenblicke hat Jenny Harß die Schmerzen vergessen. Jene Schmerzen, die ihr das gerissene Kreuzband im linken Knie verursacht. Auf der Couch hat die 30-Jährige das dramatische Eishockey-Viertelfinale der deutschen Auswahl bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang verfolgt. „Wenn man so sehr mitfiebert, kann man selbst das für ein paar Momente vergessen“, sagt sie. Selbst das.

Denn ein Kreuzband- und ein Innenbandriss setzen die Torhüterin des ERC Sonthofen und der Deutschen Frauen-Nationalmannschaft für mehrere Monate, allemal bis zum Ende der laufenden Saison, außer Gefecht. Wie berichtet, zog sich Harß die Verletzung beim Vier-Nationen-Turnier in Klagenfurt zu, an dem das DEB-Team gegen Österreich, Tschechien und die Slowakei antritt. Nach nur drei Minuten im Auftaktspiel kam es zur folgenschweren Kollision. „Eine Spielerin ist mir in das linke Knie gefahren, und wir sind in das Tor gerutscht, das sich leider nicht bewegt hat“, sagt Harß. Allzu gut könne sie sich an den Schreckmoment erinnern: „Ich hatte so extreme Schmerzen. Man hofft in den Sekunden-Bruchteilen, dass es vielleicht doch nicht so wild ist. Aber tief in mir wusste ich, dass Schlimmes passiert ist.“
Es wird sicher ein Comeback geben. Das wird nicht mein letztes Spiel gewesen sein.Jenny Harß
Den ersten Schock verdaut
Immerhin konnte die Füssenerin nicht ohne Hilfe aufstehen, wurde gestützt und hernach ins Krankenhaus in Klagenfurt gebracht. Ein MRT am Morgen darauf bestätigte die Befürchtungen. „Mir geht es soweit wieder ganz gut“, sagt Harß. „Ab jetzt muss ich Geduld haben. Den ersten Schock habe ich verdaut. Natürlich ist das eine krasse Diagnose, aber jetzt ist alles darauf ausgelegt, welche Schritte nun anstehen.“ Wann Harß’ linkes Knie in Augsburg letztlich operiert wird, entscheidet sich dieser Tage. Je nach Schwellung steht der Eingriff schon am kommenden Montag an – eventuell aber erst Anfang März. So oder so: Harß steht vor der wohl schwersten Phase ihrer Laufbahn.
„Eine Verletzung von dieser Größenordnung hatte ich noch nie“, sagt Harß. Vergleichsweise harmlose Wehwehchen in der Vergangenheit habe sie freilich gehabt – bis zum November 2016. In Bad Tölz war ihr ein Teamkollege mit voller Wucht an den Kopf geprallt – Harß erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und fehlte fast zwei Monate. Umso schöner sind die Erinnerungen an ihr Comeback, als sie gegen Deggendorf 34 von 34 Schüssen parierte und den 3:0-Sieg der Bulls sicherte. Nicht zuletzt Momente wie diese treiben die Nummer 30 der Bulls an, zurückzukommen.
Ich werde zum Beispiel sicher wieder Zeit haben, mehr zu häkeln. Das lenkt mich ab.Jenny über ihre Pläne in der Verletzungspause
Denn allen möglichen Spekulationen zuvorkommend, sagt die 30-Jährige angriffslustig: „Aber es ist nicht das Ende, das weiß ich. Es wird sicher ein Comeback geben. Das wird nicht mein letztes Spiel gewesen sein.“ Heißt: Die Sportsoldatin will um jeden Preis wieder aufs Eis – am besten für die Bulls.
Bis dahin erwartet die gebürtige Füssenerin allerdings ein langer Weg – angefangen von der OP, über die Reha, bis hin zum Aufbautraining. „Ich bin kämpferisch, immer. Warum soll das nun anders sein?“, sagt Harß: „Ich weiß, dass schwere Phasen kommen werden – aber das Wichtigste ist, dass ich geduldig bleibe. Ich habe jetzt Zeit, das zu lernen.“ Viel Zeit, in der die 185-malige Nationalspielerin auch die heiße Phase der Play-offs verpasst. „Das tut sicher weh. Auch wenn man daran denkt, wie erfolgreich wir 2017 waren“, sagt Harß. Geduld muss zu ihrer Tugend werden. „Ich werde zum Beispiel sicher wieder Zeit haben, mehr zu häkeln“, sagt die 30-Jährige: „Das lenkt mich ab.“