Zwei Tage nach dem großen Triumph lief für Tristan Schwandke auf den ersten Blick alles seinen gewohnten Gang. Ganz normaler Alltag. Am Montag schon war er wieder arbeiten im Forschungszentrum der Hochschule Kempten. Der Tag des Maschinenbau-Ingenieurs drehte sich um die Wissenschaft, um Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren. Erst Job, dann Training.
Emotional war der 27-jährige Hindelanger aber noch ziemlich aufgewühlt. Im Berliner Olympiastadion hat Schwandke am vergangenen Samstag zum ersten Mal die deutsche Meisterschaft der Hammerwerfer gewonnen und mit einer Bestweite von 73 Metern die Konkurrenz deutlich distanziert.
Tolle Kulisse in Berlin
Fünf seiner sechs Versuche landeten jenseits der 70-Meter-Markierung, der Münchner Simon Lang auf Rang zwei warf fünf Meter kürzer als der Allgäuer. „15 Jahre lang habe ich auf diesen Moment hingearbeitet und dabei viel Durchhaltevermögen gebraucht. Das ist das Größte, was man auf nationaler Ebene als Sportler erreichen kann. Vor dieser grandiosen Kulisse den Titel mit nach Hause zu nehmen, das habe ich mir immer gewünscht“, erzählt Schwandke und spricht von seinem „persönlichen Sommermärchen“.
15 Jahre lang habe ich auf diesen Moment hingearbeitet und dabei viel Durchhaltevermögen gebraucht.Tristan Schwandke
Schon in den vergangenen Wochen hatte sich dieser Erfolg abgezeichnet. Schwandke reiste als Nummer eins der deutschen Jahresbestenliste nach Berlin und hatte seinen persönlichen Rekord im Vorfeld gleich mehrfach verbessert. Inzwischen liegt seine Bestweite bei 74,03 Metern. So weit schleuderte er die 7,26 Kilogramm schwere Metallkugel Mitte Juli beim Weltklasse-Meeting in Luzern/Schweiz. „Dadurch war der Druck enorm. Ich war der große Favorit bei der deutschen Meisterschaft. Nach dem Wettkampf ist all die Last von mir abgefallen, und ich war erst einmal ziemlich müde“, erzählt er.
Keine große Party trotz "persönlichen Sommermärchens"
Die große Titel-Sause in der Hauptstadt blieb daher auch aus. Schwandke feierte im kleinen Kreis zusammen mit Trainern, Familie und Freunden abends bei einem Essen.
Seit jeher ist Schwandke auf der Suche nach Konstanz, ein Tüftler im System. Den Ursprung seiner starken Entwicklung in den vergangenen Monaten sieht der Hindelanger im Trainerwechsel 2016. Seitdem arbeitet er mit den Schweizern Wolfgang und Björn Kötteritzsch zusammen. Man habe versucht, ein technisches System zu finden, das zu den körperlichen Fähigkeiten passt. Leistungsspitzen sollten reproduzierbar gemacht werden. „Ich habe schon bald gemerkt, dass es funktioniert. Letztlich hat dieser Prozess aber doch zwei bis drei Jahre gedauert. Derzeit fühle ich mich in der Form meines Lebens“, sagt Schwandke.
Derzeit fühle ich mich in der Form meines Lebens.Tristan Schwandke
Nur 13 Zentimeter ist er noch vom mittlerweile 23 Jahre alten bayerischen Rekord entfernt, den Alexander Sporrer (Erlangen) mit 74,16 Metern hält.
Bereits am kommenden Wochenende vertritt Schwandke die deutschen Farben bei der Team-Europameisterschaft in Bydgoszcz/Polen. Ob es allerdings in naher Zukunft schon für die ganz große internationale Bühne reicht, für die Leichtathletik-WM Ende September in Katar oder gar für die Olympischen Sommerspiele kommendes Jahr in Tokio, steht derzeit noch in den Sternen. Die Qualifikationskriterien sind streng. Zur Teilnahme an der Weltmeisterschaft fehlt ihm noch ein Wurf über 76 Meter, mit seiner persönlichen Bestweite von knapp 74 Metern hat der Hindelanger zumindest die halbe Norm bereits geschafft. „Natürlich wäre es toll, wenn ich zur WM dürfte. Aber ich wäre auch nicht superenttäuscht, wenn es nicht klappt“, meint er.
Für die Olympischen Spiele ist sogar noch ein bisschen mehr nötig: Die internationale Norm liegt bei 77 Metern. Der 27-Jährige sagt: „Das Potenzial sehe ich bei mir schon. Aber das ist eine richtig brutale Weite. Das schaffen nur wenige Athleten auf der Welt.“