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Endlich mal am großen Rad drehen

Rad-Tipps für Sportliche

Endlich mal am großen Rad drehen

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    Sonne, Berge... und ab geht's: Das Allgäu bietet für Rennradler fast schon paradiesische Zustände.
    Sonne, Berge... und ab geht's: Das Allgäu bietet für Rennradler fast schon paradiesische Zustände. Foto: Hermann Ernst

    Sollen wir uns jetzt über die Kuh freuen oder auf sie schimpfen? Mitten auf der Straße ist sie stehen geblieben, hat ihren Kopf zu uns gedreht und genau beobachtet, wie wir jetzt wohl reagieren. Natürlich müssen wir anhalten und dich aus dem Weg schieben, du blöde …

    Es ist ausgerechnet das steilste Stück bei der Auffahrt zur Hirschalpe (1493 Meter) oberhalb von Bad Hindelang. Wir waren einigermaßen im Tritt und kommen jetzt mit unseren Klickschuhen nicht mehr in die Pedale. Auf der anderen Seite: Eine kurze Pause tut gut, denn Rennradfahren im Allgäu ist extrem anstrengend. Wir haben uns als Ziel gesetzt, die höchsten Routen und Pässe zu fahren und die schönsten Almen zu erkunden, die hier in der Region Alpen heißen. Denn im Allgäu kann man im Sommer auf asphaltierten Straßen rund 20 Berg- und Alphütten per Rennrad erreichen. Vorausgesetzt, es steht keine Kuh im Weg und der Radfahrer bringt die richtige Fitness mit.

    Geht auch mal an ruhigen Tagen: Nebeneinander fahren.
    Geht auch mal an ruhigen Tagen: Nebeneinander fahren. Foto: Hermann Ernst

    Deswegen blicken wir an dieser Stelle zurück: Wir mussten ja bereits vor Wochen an unserer Form arbeiten. Da kann man sich theoretisch im Fitnessstudio quälen oder ins Trainingslager nach Mallorca fliegen. Aber das Schöne am Allgäu ist, dass es auch flache Regionen gibt, wo der Schnee früh im Jahr wegtaut und die Temperaturen halbwegs radsportfreundlich sind. Ideale Voraussetzungen also, um sich die nötige Grundlagenausdauer zu holen. So haben wir unser persönliches Trainings-Dreieck kreiert. Zwischen Memmingen im Norden, Leutkirch im Westen und Kaufbeuren im Osten gibt es ausreichend Straßenkilometer, bei denen man das Ziel der Saison stets vor Augen hat: die Berge im Süden. Das ist die perfekte Motivation, wenn beim sturen Bolzen das Hinterteil schmerzt, weil es noch nicht an den Sattel gewöhnt ist, die Beine müde sind oder Kopf und Füße nicht mehr wollen. Man kennt das in der Vorbereitung: Ausfall-Erscheinungen und Ausreden gibt es zuhauf.

    Das ist aber alles Schnee von gestern, denn die Hirschalpe rückt immer näher. Wir haben die Kuh von der Straße getrieben, das letzte Problem ist der finale Anstieg mit 20 Prozent Steigung. Wir können nur noch im Stehen fahren, unsere Gesichtsfarbe gleicht bereits dem grellen Rot der Trikots. Auf den letzten Metern kassieren wir noch zwei Mountainbiker und entsprechend erboste Blicke. Nach einer Erholungspause, die so aussieht, dass wir das Rennrad als Stützhilfe verwenden, mit tief gebeugtem Oberkörper über der Stange hängen und minutenlang hecheln, schleichen wir zur Terrasse und genehmigen uns ein alkoholfreies Bier. Wir würden gerne länger bleiben, den Ausblick, die Ruhe, das Allgäu genießen. Aber unser Rennrad-Almtag ist noch nicht abgeschlossen.

    Genug Schaulustige finden sich an der Strecke immer.
    Genug Schaulustige finden sich an der Strecke immer. Foto: Hermann Ernst

    Die Abfahrt ist ein wahres Vergnügen. Keine Kuh, keine Mountainbiker – nur die Straße und wir. Unten fädeln wir wieder auf die Jochtalstraße ein, die kurvenreichste Höhenstraße im Allgäu, die Oberjoch und Bad Hindelang miteinander verbindet. Die Fahrt geht weiter ins Hintersteiner Tal, wo knallharte Anstiege zur Alpe Laubichel beginnen. Dort haben wir uns mit den Allgäuer Kühen versöhnt, schließlich geben sie ihre beste Milch für uns, die dort zu leckerem Käse wird. Ein großer Kanten für unterwegs wandert in die Rückentasche. Jetzt noch schnell die Trinkflaschen auffüllen und schon düsen wir bergab.

    Highlight der Tour

    Mit dieser Taktik rollen wir auch die nächsten Tage durchs Allgäu, vorbei an Forggensee, Füssen und Schloss Neuschwanstein. Ein kleiner Abstecher führt unsere Rennrad-Gruppe nach Österreich, über den Gaichtpass, durchs Tannheimer Tal und wieder zurück ins Allgäu, wo bald der Riedbergpass wartet. Er ist das Highlight der Tour, schließlich darf er sich als einzig echter Pass in Deutschland fühlen. Wir gehen ihn frühmorgens an. Das Gemeine ist, dass es gleich voll losgeht. Kein sanfter Anstieg, sondern rein in die Vollen. 14, 15, 16 Prozent, enge Kurven, weite Blicke, langer Anstieg. Am Scheitelpunkt fährt man fast vorbei.

    Ein paar vorwitzige Tannen versuchen das braune Schild, das uns die 1420 Meter über dem Meeresspiegel symbolisiert, zu verdecken. Wir stoppen kurz, machen das obligatorische Foto und treffen schon wieder auf Kühe. Aber diesmal sind sie hinter einem Zaun, schieben ihren neugierigen Kopf durch und busseln mit ihrer feucht-kalten Schnauze unsere Räder ab. Während wir noch ein paar Bilder machen, zieht eine Trainingsgruppe mit Frauen an uns vorbei. Wir nehmen die Verfolgung auf, haben allerdings keine Chance gegen die Truppe. (Renn-)Radfahren gehört auch bei weiblicher Allgäuer Bevölkerung zum guten Ton. Man denke nur an Sarah Düster aus Wangen, die jahrelang zur Weltspitze zählte, und Lisa Brennauer (Kempten), Weltmeisterin im Zeitfahren 2014. Wir stellen uns einfach vor, dass das Duo dabei war. So lässt sich die kleine Demütigung besser bewältigen.

    Wenig später treffen wir, wie verabredet, auf eine andere spezielle Rennrad-Klientel: Politiker. Eine Handvoll Bürgermeister hat sich an das Hinterrad des Unterallgäuer Landrats Hans Weirather geheftet. Jedes Jahr machen sie eine Tour: Mal nach Frankreich, mal nach Italien. Diesmal quer durch die Heimat. Wir dürfen sie ein Stück durchs Westallgäu begleiten und staunen über die perfekte Organisation. Die Helfer des Begleitfahrzeugs weisen den Weg, bauen am Straßenrand kleine und große Buffets auf, versorgen die Sportler jederzeit mit Wasser und „wichtigen isotonischen Getränken“, wie ein Teilnehmer augenzwinkernd sagt.

    Die Gruppe macht Tempo und ordentlich Kilometer. Wenn sie aber ein angenehmes Plätzchen findet, kann die Pause schon mal zwei Stunden dauern. Sightseeing kommt natürlich auch nicht zu kurz. Kleine Brauereien werden ebenso besichtigt wie schnuckelige Stadtzentren mit barocken Zwiebeltürmen. Daran merkt man, dass wir mittlerweile im württembergischen Allgäu sind. Es wird wieder flacher, Rennrad-Alphütten gibt es jetzt auch keine mehr. Nur Kühe – die trifft man eben überall im Allgäu. Manches Mal gehört ihnen die komplette Straße, wie wir am Ende unserer Tour feststellen. Aber diesmal lassen wir uns nicht beeindrucken und biegen gleich ab – in einen kleinen Biergarten.

    5 schöne Hütten für Rennradfahrer

    • Untere Wengenalpe (1273 m)
      Knapp 20 Kilometer und 500 Höhenmeter ab Bad Hindelang.
      Route: Hinterstein – Giebelhaus (1085 m).
      Steigungen bis zu 15 Prozent.
    • Bei den Ställen (1128 m)
      Etwa 10 Kilometer (300 Höhenmeter) ab Bad Hindelang.
      Route: Bad Oberdorf – Ostrachbrücke –
      Hammerschmiede – Retterschwanger Tal.
      Steigungen: 10 Prozent.
      Hochalpine Landschaft mit Blick auf „Großen Daumen“ und ­Nebelhorn. Variante: Weiter auf dem kleinen Sträßchen (asphaltiert, manchmal Rollsplit) zur Hinteren Entschenalpe (1451 m).
      Bis zu 15 Prozent, zusätzlich 3 Kilometer und 350 Höhenmeter.
    • Höllritzer Alpe (1445 m)
      Rund 14 Kilometer (730 Höhenmeter) ab Blaichach.
      Route: Gunzesried – Gunzesrieder Säge.
      Finaler Almweg mit bis zu 15 Prozent, unterbrochen
      von kurzen Flachstücken.
      Variante: von Gunzesried zum Hotel „Allgäuer Berghof“
      und zurück (zusätzlich 6 Kilometer und 300 Höhenmeter).
    • Alpe Schnitzlertal (1440 m)
      Gut 16 Kilometer und 750 Höhenmeter ab Agathazell.
      Route: Alpenblick-Höhe – Dreiangelhütte.
      Keine Kehren bis zur Alp, deswegen sehr steil, bis zu 15 Prozent.
    • Stuibensennalpe (1400 m)
      Nur 3 Kilometer ab Schattwald (Tannheimer Tal),
      aber 320 Höhenmeter, bis zu 13 Prozent.
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