Herr Augenthaler, in Ihrer Biografie „Immer nur rot-weiß gedacht“ (Arete Verlag, 20 Euro) schreiben Sie, dass Sie in der Jugend lieber Eishockey als Fußball gespielt haben. Wie kam das?
KLAUS AUGENTHALER: Im Sommer haben wir natürlich Fußball gespielt, es gab ja nichts anderes. Aber die Vils war bei mir in Vilshofen direkt vor der Tür – und sie war jeden Winter zugefroren. Sobald das der Fall war, gab es nach den Hausaufgaben nur eines: Eishockey spielen.
Der EV Landshut war ihr Traumverein…
AUGENTHALER: Ja, ich hatte familiäre Verbindungen dorthin und bin so an den EVL geraten. Selbst in meinem ersten Jahr bei Bayern, als ich schon in München wohnte, bin ich auf dem Weg in die alte Heimat immer über Landshut gefahren und habe geschaut, dass ich das mit einem Spiel verbinde. Erich Kühnhackl war mein Held. Wenn von Landshut ein Angebot gekommen wäre, hätte ich das sicher gemacht.
Es kam aber eines von den Bayern – und das, obwohl Sie in Ihrer Jugend mit Borussia Dortmund sympathisiert haben. Wie denn das?
AUGENTHALER: Ich habe immer mit meinem Nachbarsjungen gespielt. Der sah aus wie Lothar Emmerich und ich wie Siggi Held, wegen der Frisur. Fanden wir zumindest. Und das waren eben die BVB-Stars zu der Zeit.
Dazu waren Sie auch nie als Fan im Olympiastadion, oder?
AUGENTHALER: Nein, nie. Ich war als Bayern-Spieler das erste Mal dort. Als wir mit dem FC Vilshofen um die bayerische Jugendmeisterschaft gespielt haben, sollten wir unser Finale gegen Nürnberg eigentlich im Olympiastadion spielen. Wir mussten dann auf einen anderen Platz ausweichen. Zwei Wochen nach dem verlorenen Finale hatte ich eine Einladung zum Probetraining bei Bayern.
Mit den Bayern wurden Sie sieben Mal Meister, dreimal Pokalsieger. Sie sind einer der erfolgreichsten Spieler der Liga-Geschichte – nur den Europacup der Landesmeister, den Vorläufer der Champions League, gewannen Sie nie. Tut Ihnen das noch weh?
AUGENTHALER: Es wäre schön, wenn dieser Pokal auch in meiner Vita stehen würde, und es war ja oft ganz knapp. Etwa gegen Aston Villa. In dem Finale hatte ich zwei Riesenchancen, war aber auch beim Gegentor beteiligt. Ich habe versucht, das schnell abzuhaken.
Das hört sich leichter an, als es ist.
AUGENTHALER: Es gehört einfach zu meinem Leben. Ich habe mir meinen Traum erfüllt, den ich mit 15 oder 16 Jahren hatte. Der lautete: Bundesliga-Profi werden.
Nach Ihrem größten Erfolg, dem WM-Titel 1990, hingen Sie lange in der Dopingkontrolle fest – und lösten das Problem mit einem Trikot.
AUGENTHALER: Es wollte einfach nichts kommen. Und nach einer ewigen Wartezeit habe ich dem Kontrolleur mein Trikot geschenkt. Das war dann okay für uns Beide und er hat mich gehen lassen. Bis dahin waren alle schon am Feiern. Aber schon der Weg zur WM war nicht leicht. Ich hatte damals ein kleines Kind mit acht Monaten. Das allein wäre schon ein Grund gewesen, abzusagen. Dann hatte ich die ganze Zeit Leisten- und Achillessehnenbeschwerden, es war eine einzige Qual. Aber Franz Beckenbauer hat mich überredet. Die ersten zwei Wochen war ich mehr auf der Massagebank als auf dem Platz. Aber es sollte sich auszahlen.
Nach einem Foul an dem damaligen Bremer Rudi Völler mussten Sie Polizeischutz in Anspruch nehmen. Es war der Höhepunkt der Rivalität zwischen Werder und Bayern, und Sie waren zum Feindbild geworden. Wie froh sind Sie rückblickend, dass es damals noch kein Social Media gab?
AUGENTHALER: Dann hätten sie mich wohl komplett zerlegt, das war so schon anstrengend genug. Ich war für viele der Buhmann, der Mörder. Dabei wollte ich den Ball spielen und habe Rudi unglücklich im Vollsprint erwischt. Ich habe dann erst in Bremen, als wir gegen Werder gespielt haben, gemerkt, dass ich Polizeischutz hatte. Ab und zu ist länger mal ein Auto hinter mir gefahren. Die Polizei hat mir geraten, nach Spielen nicht direkt nach Hause zu fahren, sondern einen Umweg zu nehmen.
Sind Sie in dieser Zeit auch direkt bedroht worden?
AUGENTHALER: Ja, einmal sogar direkt vor meinem Haus. Zwei kräftige junge Kerle haben mich abgepasst und mir gedroht, nachdem ich mein Auto abgestellt hatte. Die hatten mich offenbar bis nach Hause verfolgt und mich dann angesprochen. Ich habe mir das Kennzeichen notiert und der Polizei gemeldet, aber nie wieder was davon gehört.
Wie haben Sie das in dieser Zeit ausgehalten?
AUGENTHALER: Ich habe es verdrängt, mit Fußball. Es gab ja immer ein Spiel, das gespielt werden musste, oder ein Training.
Wie schmerzhaft war der Abschied von den Bayern? Ihr Vertrag als Co-Trainer wurde 1997 nicht mehr verlängert.
AUGENTHALER: Sehr schmerzhaft. Es hat mir lange Zeit noch wehgetan und ich habe lange gebraucht, bis ich das verdaut hatte. Ich bin mit Bayern groß geworden und dachte, ich bleibe bis zur Rente dort.
Stattdessen ging es als Trainer weiter. Leverkusen haben Sie vor dem Abstieg gerettet, die Bayern geschlagen und waren auch nicht um einen Spruch verlegen. Über ihren Spieler Roque Junior sagten Sie mal: „Heute hat er gespielt wie ein Roque Senior“. Das würde heute andere Wellen schlagen, oder?
AUGENTHALER: Ja, aber deswegen, weil heute alles aufgebauscht wird. Damals war das der Spruch der Woche, alle hatten was zu schmunzeln und danach war die Sache geregelt. Mit Roque Junior hatte ich das damals übrigens schnell geklärt.
Ein anderes Beispiel war die legendäre Pressekonferenz in Wolfsburg mit vier Fragen und vier Antworten, die Sie selbst stellten. Nach 44 Sekunden war die Veranstaltung vorbei. Was war damals der Grund dafür?
AUGENTHALER: Ich hatte mit den Journalisten damals einen guten Draht und habe ihnen immer wieder die Taktik erklärt. Aber die Fragen danach sind immer wieder gekommen, ich konnte es nicht mehr hören. Dazu war die sportliche Situation angespannt. Es waren immer dieselben drei, vier Fragen – und dann habe ich die eben selbst gestellt. Ein Journalist hat mich danach noch auf dem Parkplatz getroffen und gesagt: „Herr Augenthaler, da haben Sie uns ganz schön vor den Kopf gestoßen. Aber ich finde es auch gut, was Sie gemacht haben.“
Der VfL Wolfsburg, ihr damaliger Arbeitgeber, fand es nicht so lustig.
AUGENTHALER: Nicht wirklich. Mir wurde danach ein Zettel ausgehändigt, in dem ich meine Demission vorlesen sollte. Es war sowieso damals die Abschiedszeit.
Zugleich sei jede Entlassung als Trainer eine persönliche Kränkung gewesen, wie Sie schreiben. Dass Sie als vermeintlich abgebrühter Bayern-Spieler das persönlich nehmen, überrascht doch etwas.
AUGENTHALER: Es ist halt menschlich. Ich wollte immer über vier oder fünf Jahre Trainer eines Vereins sein, etwas aufbauen. Dazu ist es leider nie gekommen.
Zugleich haben Sie, wie Sie schreiben, ein Angebot des TSV 1860 München abgelehnt, Trainer zu werden. Das wäre ja mal interessant gewesen.
AUGENTHALER: Das war 2003, nach meiner Zeit in Leverkusen. Karl-Heinz Wildmoser, der damalige Präsident der Löwen, saß bei mir im Wohnzimmer und wollte mich verpflichten. Sechzig war damals noch Bundesligist. Und am Anfang fand ich die Idee auch gut. Ich dachte mir: Super, jetzt bist du wieder zuhause in München. Aber je länger ich darüber nachgedacht habe, desto sicherer war ich mir: Ich kann es nicht machen. Wie ist das, die Bayern zu schlagen – als Blauer? Das wäre nicht gegangen, nicht nach 17 Jahren bei den Bayern. Da hätte man mich gelyncht (lacht).
In ihrem einzigen Bayern-Spiel als Trainer sorgten Sie, als Sie 1996 den erkrankten Giovanni Trapattoni vertraten, für ein Novum und wechselten viermal aus. Heute ist das möglich, damals waren nur drei Wechsel erlaubt. Wie kam das zustande?
AUGENTHALER: Ach, es gab ständig Veränderungen zu dieser Zeit, es ging viel um die Anzahl der EU- und nicht EU-Ausländer zum Beispiel. Ich habe nicht groß darüber nachgedacht und zur Pause viermal gewechselt. Es hatte aber keinen Einfluss auf das Spiel gegen Düsseldorf, das 2:2 ausgegangen war. Es war das letzte Saisonspiel, für keinen ging es noch um was, und die Fortuna hat auf einen Einspruch verzichtet.
Was sagen Sie zum heutigen Bayern-Spiel unter Vincent Kompany?
AUGENTHALER: Ich trainiere beim FC Bayern die internationalen Nachwuchsmannschaften und habe mir an der Säbener Straße einige Trainingseinheiten von ihm angesehen. Die fand ich beeindruckend: Da waren Stimmung, Power und Zug drin. Man muss ihm Zeit geben, auch wenn noch nicht alle Ergebnisse so sind, wie man sie sich wünscht. Aber die zählen am Ende. Bayern hat den besten Kader der Liga und Kompany wird es schaffen, dass auch die Ergebnisse stimmen.
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