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Hier wird der Traum vom Fliegen wahr

Die Oberstdorfer Schanzen

Hier wird der Traum vom Fliegen wahr

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    Skispringer und Nordische Kombinierer aus der ganzen Welt schwärmen von den Schanzen in Oberstdorf.
    Skispringer und Nordische Kombinierer aus der ganzen Welt schwärmen von den Schanzen in Oberstdorf. Foto: Ralf Lienert

    Stufe drei draußen auf der zugigen Plattform: Der bange Blick wandert nach unten in eine Tiefe, die erst nach knapp 70 Metern endet. Der Wind pfeift einem um die Ohren, sodass nicht einmal das Stirnband wärmenden Schutz bietet. Man ist sich nicht ganz sicher, wie es um die eigenen Gefühle bestellt ist, hier oben auf dem beinahe höchsten Punkt der Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf.

    Einerseits möchte man so schnell wie möglich rein ins Warme und den Lift nehmen, der den Gast in Sekundenschnelle nach unten bringt und ihm wieder Boden unter den Füßen garantiert. Andererseits ist das hier oben eine Aussicht, die man nicht mehr so schnell geboten bekommt in seinem Leben. Einzigartig, atemberaubend, phänomenal. Und immerhin: Diese Schanze in einem abgelegenen Seitental der südlichsten Gemeinde Deutschlands, heißt es, solle die schönste und sicherste Skiflugschanze sein. Nicht Deutschlands oder Europas, sondern die schönste Anlage der Welt. Sagt man in Wintersportkreisen.

    Mythos Vierschanzentournee: Das Auftaktspringen in Oberstdorf garantiert spektakuläre Bilder.
    Mythos Vierschanzentournee: Das Auftaktspringen in Oberstdorf garantiert spektakuläre Bilder. Foto: Ralf Lienert

    Aufzug zum Himmel

    Also beißen wir auf die Zähne, bedanken uns insgeheim für das überraschende Angebot des Oberstdorfer Pressechefs an diesem Nachmittag, den Aufzug zum Himmel nehmen zu dürfen, und bleiben noch einen Augenblick. Der Blick wandert über Landschaft, Berge und Wälder. Was schon jetzt feststeht: Wir werden bei den nächsten Skiflug- und Skisprungwettbewerben die Sportler mit anderen Augen sehen, sie bewundern und als jene Heroen einstufen, die absolut Außergewöhnliches leisten.

    Neben der Heini-Klopfer-Skiflugschanze, auf der die Skiflug-Wettbewerbe stattfinden und die Sportler bei schier unvorstellbaren Weiten von über 220 Metern auf dem Schneeboden aufsetzen, ragt in Oberstdorf vor allem die große Schanze der Erdinger Arena in die Höhe. Sie ist nur unweit vom Ortszentrum entfernt. Auf dem Fußweg dorthin kommt man unter anderem an der Bergbahn vorbei, die die Urlauber hoch hinauf zum Nebelhorn bringt. Auf der großen Skisprung-Schanze der Erdinger Arena fällt jedes Jahr Ende Dezember der Startschuss zur Vierschanzentournee, und es ist längst eine Selbstverständlichkeit, dass am Tag der Entscheidung das Stadion mit weit über 20.000 Zuschauern voll besetzt ist.

    Bevor sich allerdings im Dezember die besten Skispringer der Welt mit ihren Trainern und Betreuerteams auf den Weg ins Allgäu machen, nehmen ganz andere Leute die Erdinger Arena in Beschlag. Zum Beispiel das frischgebackene Ehepaar Schattenberg, das sich im Stadion am Oberstdorfer Schattenberg das Ja-Wort gibt. Eine Hochzeit am namensgleichen Ort und im gläsernen Schanzenturm in ähnlich luftiger Höhe wie oben auf der Heini-Klopfer-Skiflugschanze: Für einen wie den jungen Polizei-Kommissar Tobias Schattenberg aus Westdeutschland ist an diesem Tag ein Traum in Erfüllung gegangen. Außerdem ist ihm schon sehr früh in seiner Ehe eine gewaltige Überraschung gelungen.

    Die Fans ziehen voll mit: Beim Auftaktspringen 2015/2016 feierten sie den Sieg von Severin Freund.
    Die Fans ziehen voll mit: Beim Auftaktspringen 2015/2016 feierten sie den Sieg von Severin Freund. Foto: Ralf Lienert

    Jedenfalls hat seine künftige Frau Yvonne riesengroße Augen und rote Wangen vor Aufregung bekommen, als sie in letzter Sekunde vom Ort ihrer Hochzeit erfahren hat. Bis kurz vorm entscheidenden Ja-Wort hatte der Polizeibeamte geschwiegen.

    Handschellen und ein Sack voller Geschenke

    Was diesem besonderen Tag an besonderem Ort noch eines oben drauf setzte: Nachdem das Paar der Standesbeamtin Winfriede Helm mit einem deutlichen Ja versichert hatte, sich künftig die Treue zu halten, fielen zwei wilde Klausen-Bärbele, zwei typische Allgäuer Brauchtumsfiguren, über die Schattenbergs her – mit Handschellen, aber auch mit einem Sack voller Geschenke.

    Die Schanzen gehören zu Oberstdorf wie die Kirche oder das Rathaus. Wer sich im südlichen Oberallgäu mit Ski-Experten der ersten Stunde unterhält, muss viel Zeit mitbringen. Die Geschichten, die erzählt werden, sind lang und prickelnd. Den ersten Sprung von der Schattenbergschanze wagte ein Sportler am 27. Dezember 1925. Der erste Allgäuer Rekordhalter hieß Franz Thannheimer, ein Olympiateilnehmer, der bei der 46-Meter-Marke sicher zum Stehen kam.

    Höher, weiter, schneller: Was im Sport im Allgemeinen als Ziel ausgegeben wird, gilt natürlich auch für die Skispringer. Sie geben sich mit kaum einer Weite zufrieden. So wurde 1930 die Schanze für deutsche Meisterschaften vergrößert und 1936 nochmals wegen des Qualifikationsspringens für die Olympischen Spiele. Ein lokaler Held zeichnete damals für die neue Bestmarke verantwortlich: Heini Klopfer sprang unter dem Jubel von 7000 Zuschauern 59 Meter weit. Eine Sensation.

    "Flieger, grüß mir die Sonne": In Oberstdorf begann schon so mancher Höhenflug.
    "Flieger, grüß mir die Sonne": In Oberstdorf begann schon so mancher Höhenflug. Foto: Hermann Ernst

    Die Zeiten ändern sich. Die Schattenbergschanze heißt seit­ ­einigen Jahren Erdinger Arena, die weltbesten Springer landen inzwischen bei über 130 Metern - und die Sportler müssen nicht mehr mit ihren Skiern über der Schulter hinaufstapfen zum Anlauf, sondern können einen Aufzug nehmen, der pro Fahrt bis zu 40 Personen in den Schanzenhimmel katapultiert. In diesem Aufzug sind auch die neu verheirateten Schattenbergs ganz nach oben gekommen. Im Gegensatz zu den Skispringern haben sie ihn auch wieder beim Hinunterkommen in Anspruch genommen.

    Action in der Erdinger Arena: Skywalk Park, Hochseilgarten und mehr an den Skisprungschanzen: Im Winter lockt das Schanzen-Tubing. Auf großen Reifen sitzend, geht es hinunter in die Ausläufe der drei Jugendschanzen. Zwischen Mai und September können Kinder, Jugendliche und Erwachsene jeweils samstags knifflige Aufgaben zwischen Himmel und Erde meistern – und zudem den Blick aufs Alpenpanorama genießen. Die Besucher erwartet ein Boden-Parcours zum Üben sowie ein Himmel-Parcours. Zum Abschluss kann man sich den finalen Kick beim Skisprung-Bungee geben.

    www.erdinger-arena.de


    Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "Griaß di' Allgäu", Ausgabe Winter 2015/16. Alle Informationen zur aktuellen Ausgabe findest Du auf www.griassdi-allgaeu.d

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