Herzlich willkommen zurück im Allgäu, Frau Harß. Nach zuletzt zwei Jahren beim EHC Königsbrunn zieht es sie wieder in die Heimat. Warum ausgerechnet zum ESC Kempten?
Jennifer Harß (32 Jahre): Weil sich der Verein in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt hat. Beim ESC wird professionell gearbeitet. Ich wohne in der Nähe von Füssen und da hat sich das ergeben. Außerdem ist die Eishockey-Welt ziemlich klein (lacht). Man kennt sich und steht regelmäßig in Kontakt. Ende der vergangenen Saison habe ich mir auch eines der Aufstiegsspiele im Stadion angeschaut. Da war eine super Atmosphäre.
Seit Kurzem trainieren Sie mit ihren neuen Mannschaftskollegen zusammen. Was haben Sie für einen Eindruck von Ihrem neuen Umfeld?
Harß: Ich wurde bestens aufgenommen und bin bislang begeistert. Wir machen gerade Trockentraining in kleinen Gruppen. Da geht’s vor allem um die Kraft- und Grundlagenausdauer.
Olympia-Qualifikation mit den Frauen verschoben
Was steht mit der Nationalmannschaft auf dem Programm?
Harß: Ich war vor ein paar Tagen zur Leistungsdiagnostik am Olympiastützpunkt in München, unser Sommer-Lehrgang hingegen wurde schon abgesagt. Und auch die Olympia-Qualifikation, die eigentlich Anfang 2021 in Füssen geplant war, wurde auf August 2021 verschoben.
Die vergangenen Wochen und Monate waren schwer gezeichnet von der Corona-Pandemie. Wie haben Sie diese Zeit empfunden?
Harß: Es war in der Tat alles sehr gewöhnungsbedürftig. Ich war viel in der Natur, entweder zum Wandern in den Bergen oder mit dem Fahrrad unterwegs. Und ich habe vor einiger Zeit Yoga für mich entdeckt. Als perfekten Ausgleich.
Beim Frauen-Eishockey ist "noch deutlich Luft nach oben"
Sie stehen im Tor der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, waren im Liga-Spielbetrieb bislang aber überwiegend in Männer-Teams aktiv. Da gibt’s ja jede Menge Klischees ...
Harß: ... die ich inzwischen schon alle nicht mehr hören kann. Diese Klischees sind genauso alt wie der Eishockey-Sport selbst.
Warum hat Frauen-Eishockey in Deutschland noch immer einen, sagen wir mal, mittelmäßigen Ruf?
Harß: Frauen-Eishockey in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren gut weiterentwickelt. Da hat sich einiges getan. Aber es ist immer noch deutlich Luft nach oben. Der Deutsche Eishockey-Bund ist sehr bemüht, Eishockey auch für Mädchen und Frauen attraktiv zu machen und den Sport in der Öffentlichkeit zu pushen. Die Mädchen, die in den Nachwuchsklassen mit den Jungs zusammen spielen, müssten aber zum Beispiel noch mehr Eiszeit in ihren Klubs bekommen.
"Ich sehe mich eher als Ruhepol"
Wie ist das bei Ihnen? Sind Sie mit Ihren Einsatzzeiten bei den Männern zufrieden?
Harß: Absolut. Ich habe in der vergangenen Saison in Königsbrunn knapp 65 Prozent aller Spiele bestritten. Ich kann also nicht klagen.
Sie kennen die Bayernliga bereits. Was ist für den ESC Kempten in dieser Spielklasse möglich?
Harß: Das ist momentan noch sehr, sehr schwer einzuschätzen. Ich habe mit Königsbrunn vergangenes Jahr in der Vorbereitung gegen Kempten gespielt. Da hat man schon erahnen können, wohin die Reise für dieses Team geht. Ich glaube, zwischen den Top-Teams der Landesliga und den Bayernligisten ist gar nicht so viel Luft.
Und wie sehen Sie Ihre Rolle in Ihrem neuen Team?
Harß: Ich will meinen Teil zum Erfolg beitragen und weiß, dass viel von der Leistung des Torwarts abhängen wird. Ich bin generell sehr ehrgeizig und zielstrebig. Ich bin aber nicht die Torhüterin, die ihre Vorderleute auf dem Eis zusammenschreit. Ich sehe mich eher als Ruhepol.
... der auch sehr wichtig ist in einem Team. Ist das eine Aufgabe, die Frauen vielleicht viel besser übernehmen können als Männer?
Harß: (lacht) Ich glaube, eine Frau im Team kann diesbezüglich zumindest nicht schaden. Aber das ist typabhängig. Und ich würde diese Eigenschaft auch gar nicht an einem Geschlecht festmachen.