Zweiter Tag
Der Akku ist wieder geladen (über Nacht im Hotelzimmer), alle zehn Klötzchen sind zurück auf der Anzeige. Und das ist auch gut so. Von Wangen aus geht es über Leutkirch Richtung Nordosten. Die hohen Berge des bayerischen Allgäus liegen zwar hinter mir, aber die Hügel des baden-württembergischen Allgäus haben es auch in sich. An einem schweißtreibenden Frühsommertag fordert das dauernde Auf und Ab den Radler. Besonders, wenn der in lieblicher Landschaft flott vorankommen will. In einem großzügigen Bogen soll der Weg heute über Illerbeuren und Bad Grönenbach nach Ottobeuren führen, von da aus weiter nach Osten, hinüber nach Bad Wörishofen und dann wieder nach Süden. So mein Plan.

Ich folge damit meistens der Allgäuer Radrunde. Findige Fachleute haben unter diesem Markennamen lokale und regionale Radwege zu einem imposanten 450 Kilometer langen Rundkurs gefügt. Im Internet wurde dazu auf www.allgaeu.de/rad eine unglaublich umfangreiche Informations-Fundgrube aufgebaut.
Manchmal aber tut der Radler gut daran, die vorgezeichneten Wege zu verlassen. Nach dem herrlichen Morgen im Wangener Hügelland ziehen am Nachmittag hinter Ottobeuren drohende Wolken auf. Im Osten! Über Bad Wörishofen! Dort wo ich eigentlich hin wollte. Ich entschließe mich zum Kurswechsel. Die gesamte Allgäu Runde hätte ich in drei Tagen ohnehin nicht geschafft (es ist auch Unsinn nur durch das Allgäu zu hetzen).
Der Plattfuß schlägt zu!
Also geht es nicht erst ab Bad Wörishofen wieder Richtung Süden, sondern jetzt gleich. Hinter Markt Rettenbach rechts weg. Der neue Plan: Auf nach Kempten, dort am Abend eine Unterkunft suchen. Und hoffen, dass die Gewitterwolken bis dahin im Osten geblieben sind.

Mein Wunsch erfüllt sich. Ich bleibe trocken. Kempten aber erreiche ich nicht. Ich erleide einen „Platten“. Auf einem holprigen Feldweg, mitten in viel Landschaft , weit entfernt vom nächsten Ort – und ohne Reparaturausrüstung. Die liegt daheim. Ein blöder Anfängerfehler wird böse bestraft. Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Mein Handy, das nur noch zu sechs Prozent geladen ist, zeigt an, dass ich bereits 108 Kilometer gefahren bin, dabei 1.695 Höhenmeter aufwärts und 1.445 Meter abwärts bewältigt habe. Und es stehen noch drei Klötzchen auf der Energie-Anzeige. Das nutzt mir jetzt aber nichts mehr. Ich kann nicht mehr fahren und ich habe noch keine Unterkunft für die Nacht.
Was tun? Ruhe bewahren, Fahrrad schieben. Und hoffen. Eine solche Glückssträhne aber, wie sie jetzt nach meinem Platten-Pech einsetzt – davon hätte ich nicht mal zu träumen gewagt.
Glück im Unglück - und weshalb Wienerle noch nie so lecker waren
Glücksfall 1: Nach einem halben Kilometer Fußmarsch liegt ein einsamer Bauernhof am Wegesrand.
Glücksfall 2: Ein Paar sitzt vor dem Haus, genießt den Feierabend.
Glücksfall 3: Das Paar bedauert, dass es kein Flickzeug besitzt. Die Frau weiß aber: Im nächsten Ort, der Probstried heißt, gibt es zwar weder Radladen noch ein Hotel, aber das Gästehaus Sonner (in vielen Fällen wissen Eingeborene wenig über Übernachtungsmöglichkeiten in ihrer Umgebung; warum auch, sie haben ja ein Bett daheim).
Glücksfall 4: Bis Probstried seien es etwa zehn Minuten, sagt die Frau. Nach 30 Minuten komme ich im Ort an (Eingeborene unterschätzen gerne Entfernungen) und frage eine Dame, die in einem Garten werkelt, wo denn das Gästehaus Sonner zu finden sei. Antwort: Genau hier.
Glücksfall 5: Die Dame verständigt ihre Schwiegertochter, die das Gästehaus managt. Und tatsächlich: Es ist noch ein Zimmer frei.
Glücksfall 6: Innerhalb von Minuten kümmern sich nun drei Generationen der Familie Sonner um den gestrandeten Radler. Marion Sonner macht mein Zimmer fertig (das sich als veritables Apartment erweist), ihre Schwiegereltern unterhalten mich, Ehemann Alexander und Sohn Yannick sorgen flink und geschickt dafür, dass mein Reifen wieder dicht hält. Auch die Tochter des Hauses hätte gerne geholfen. Aber sie musste ins Fußball-Training.
Glücksfall 7: Die einzige Gaststätte im Ort hat heute Ruhetag. Aber Frau Sonner hat noch Wiener Würstchen da. Ein Paar oder zwei? Zwei! Noch nie haben mir Wienerle so gut geschmeckt!
Wie es frisch gestärkt weitergeht und welches Fazit Franz Neuhäuser von seiner E-Bike-Tour durchs Allgäu zieht, erfährst Du im dritten und letzten Teil der Serie in Kürze auf allgaeu.life!