"Du bist ein Phänomen", singt Schlagerkönigin Helene Fischer. Tausende ihrer Fans stimmen ein und denken dabei an ihr großes Vorbild. Sie könnten das Lied ebenso auf Mareile Hertel aus Marktoberdorf übertragen. Auch sie ist ein Phänomen. Beim Extremsport. Ihr neues Projekt: der Glocknerman, die Ultraradmarathon-Weltmeisterschaft, die einmal rund um Österreich führt. "Ich will den Titel", sagt sie selbstbewusst. Unterstützung dafür erhält sie ausgerechnet von Helene Fischer. Zumindest aus der dröhnenden Box, die ihr das Serviceteam aus dem Begleitfahrzeug halten wird.
Mareile Hertel hat sich für die lange Distanz entschieden: 1.000 Kilometer, 17.000 Höhenmeter, Start am Donnerstag, 31. Mai, gegen 12 Uhr in Graz, Zieleinfahrt in Graz am 2. Juni. Allein diese Daten zollen einem Respekt ab. Im vergangenen Jahr hat sie mittendrin passen müssen. Ihr Körper wollte nicht mehr so richtig. Es sprach viel für ein Problem mit dem Knie. Sicherheitshalber gab sie auf. Später stellte sich heraus, dass der Schmerz vom Muskel herrührte.
Den Körper besser kennenlernen
Diesmal geht die 35-Jährige das Unternehmen noch akribischer an. Dazu heuerte sie mit Gerhard Besserer aus Fürstenfeldbruck eigens einen Trainer an, der ihr zeigt, wie sie näher an die Belastungsgrenze des Körpers kommen und den Kreislauf besser ausreizen kann. Denn ein paar Pulsschläge mehr, die sie aus ihrem Herzen herausholen kann, bedeuten mehr Leistung. Bei ihr hört sich das fachlich viel versierter an: "Wenn ich die Amplitude vom Ruhepuls zum Normalpuls erhöhen kann, wird die Leistungszone größer", erklärt sie. "Ich bin im Ultrabereich nicht über die Schwelle gegangen, weil der Körper dann zu viel Lactat bildet - und dann tut’s richtig weh in den Muskeln. Bisher habe ich diese Zone gemieden." Das wird sie auch künftig, aber sie trainiert im Schwellenbereich, reizt ihren Körper mehr aus. Ein Verdienst von Besserer, der sich bei Fortbildungen selbst Tipps von Profitrainern holt. Sie kommen der Marktoberdorferin zugute.

Für sie ist es so, als lerne sie ihren Körper besser kennen. "Früher habe ich viel nach Gefühl gemacht. Das Gefühl ist zwar immer noch gut, aber jetzt gehe ich das gezielter an", sagt sie. Hinzu kommt, dass Besserer auch ihren Trainingsplan entwickelt. "Eine große Arbeitserleichterung. Ich kann mich voll auf den Sport konzentrieren."
Über die Groglockner Hochalpenstraße
Der erste Test, den der Körper im Wettkampf leistete, war erfolgreich: Mareile Hertel erreichte bei der deutschen Meisterschaft im Laufen über 50 Kilometer in etwas mehr als vier Stunden Platz drei ihrer Altersklasse. "In persönlicher Bestzeit, obwohl ich nur wenig gelaufen bin."
Mit steigender Belastung kann das Niveau bei der Musik ruhig sinken.Mareile Hertel
Seit den vergangenen Wochen sitzt sie wieder mehr im Sattel eines ihrer Fahrräder. Im Oktober stieg sie in die Übungseinheiten ein. "Die Grundschnelligkeit habe ich. Ich muss jetzt nur noch diejenige Kraft aufs Pedal bringen, die ich längere Zeit halten kann." Das ist auch nötig für den Glocknerman mit seinen höchsten Punkten Hochtor (2.504 Meter), eine der bedeutsamsten Stellen auf der Großglockner Hochalpenstraße, und Edelweißspitz (2.572). Gerade die Pässe seien große Zeitfresser, sagt sie. "Der beste Mann bringt es deshalb insgesamt auf einen Schnitt von 25 Stundenkilometern." Das "nur" spart sie sich. Denn auch das ist schon eine gewaltige Leistung.
Der Traum von den USA
Während der Fahrt kann sie mehrfach die Räder wechseln, kann umsteigen vom Zeitfahrrad auf das Rennrad und umgekehrt. Der Günzacher Willi Koller, selbst großartiger Sportler und Inhaber eines Radsportgeschäfts, habe sie dabei gut beraten und die Räder vorbereitet. Ihre Räder sind mit einem Navigationsgerät ausgestattet, auf dem die Strecke einprogrammiert ist. Verlässt sie den Kurs, schlägt es Alarm. Denn dass sie wie im vergangenen Jahr bei einem wichtigen Rennen in der Schweiz von der Route abkommt, soll ihr diesmal auf keinen Fall passieren. Dafür besitzt der Glocknerman einen zu hohen Stellenwert, als dass sie sich Fehler erlauben kann. Schließlich ist er die Qualifikation für das Race across America im nächsten Jahr, einmal nonstop mit dem Rad quer durch die USA. Hertels großer Traum. Deshalb wird sie eine Zeile aus Helene Fischers "Phänomen" besonders gern hören wollen: "Du, dich fängt niemand ein."
Gruß vom Ballermann
Stets wird sie Kontakt zu ihrem eingespielten sechsköpfigen Team halten, bestehend aus Physiotherapeuten, Serviceleuten, Versorgern - und DJs. Ihrem Tritt in die Pedale entsprechend wurde die Musik ausgewählt. "In der Hauptsache Ballermann-Hits. Die passen vom Rhythmus." Mareile Hertel, im zivilen Leben Leiterin der Tiefbauabteilung bei der Stadt Marktoberdorf, lacht: "Ich weiß. Aber mit steigender Belastung kann das Niveau bei der Musik ruhig sinken. Die Lieder sind einfach, aber fröhlich." Fröhlich sind für sie ebenfalls die Lieder von Helene Fischer: "Die machen einfach gute Laune." Nur ein Titel des Schlagerstars dürfte während des Rennens auf der Tabu-Liste ganz oben stehen: "Atemlos durch die Nacht."