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Nordische Ski-WM Planica: Skispringer im Sog der Golden Girls

Nordische Ski-WM Planica

Allgäu-Festspiele bei der Nordischen Ski-WM in Planica gehen weiter

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    Skisprung-Weltmeister im Mixed-Team: Karl Geiger (l-r), Selina Freitag, Katharina Althaus und Andreas Wellinger.
    Skisprung-Weltmeister im Mixed-Team: Karl Geiger (l-r), Selina Freitag, Katharina Althaus und Andreas Wellinger. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Die Golden Girls mussten bei der Nordischen Ski-WM in Planica wieder singen. Im Auslauf der Normalschanze, in der Interview-Zone vor fast jeder Kamera und fast jedem Mikrofon – und natürlich abends im Teamhotel. „Die Nummer eins der Welt sind wir“, hatten die deutschen Skispringerinnen ja schon am Donnerstagabend mehr schlecht als recht geträllert, als Katharina Althaus ihr erstes Einzel-Gold gewann. Am Samstagnachmittag durften sich auch Teamkolleginnen, Trainer und Betreuer der 26-jährigen Oberstdorferin als die Nummer eins der Welt fühlen. Mit großem Abstand hatten Althaus, Anna Rupprecht, Luisa Görlich und Selina Freitag Gold im Mannschaftswettbewerb auf der Normalschanze gewonnen – vor Österreich und Norwegen.

    Und so tanzten sie – Rupprecht sogar in Badelatschen – auf slowenische Volksmusik, kreischten beim Foto-Marathon und konnten ihr Glück kaum fassen, zwei Jahre nach dem enttäuschenden fünften Platz bei der Heim-WM in Oberstdorf diesmal ganz oben zu stehen. Dabei wurde der Wettkampf für die DSV-Adlerinnen trotz Halbzeitführung zur Zitterpartie. Als sich die Österreicherinnen um die Weltcup-Führende Eva Pinkelnig und die Norwegerinnen um Anna Odine Stroem bereits ihre Medaillen abgesichert hatten, saß Katharina Althaus oben am Balken und musste wegen schwieriger Windverhältnisse lange warten.

    Normal sei sie in solchen Situationen stressresistent, hatte sie einmal gesagt, doch als Minute für Minute verging und sich ihre Teamkolleginnen unten vor lauter Nervosität sogar darauf einließen, auf den Ohrwurm „Planica, Planica“ zu tänzeln, da begann dann irgendwann einmal auch die dienstälteste DSV-Springerin zu grübeln. „Oh Mann, ich hätte da oben fast in die Hose gemacht“, wird sie später sagen, als ihre Kolleginnen von der Nordischen Kombination Spalier standen und Althaus abklatschten. Mit einem Sprung auf 94,5 Metern hatte die Oberstdorferin das Gold abgesichert.

    Euphorisiert vom Sieg und ihrer Freude war es dem DSV-Quartett dann auch noch ein Anliegen, ein Tabu-Thema anzuschneiden. Schon im ZDF hatte Rupprecht vor einem Millionenpublikum erzählt, dass sie sich im Einzel sehr schwer getan habe. „Aber Gott sei Dank lässt die Periode auch irgendwann mal nach. Heute war es viel, viel besser.“ Die 26-jährige vom SC Degenfeld hatte bezüglich ihrer Regelschmerzen Klärungsbedarf. Das Thema gehöre enttabuisiert: „Es ist oft so, dass man in einem feinfühligen Sport wie Skispringen nicht so Zugriff hat und man Probleme hat auf der Schanze. Sich da rauszureden, warum es nicht so gut war, darauf habe ich keinen Bock mehr. Dann sage ich einfach ehrlich: Ich habe meine Tage.“ Ihre Teamkolleginnen nickten. Die DSV-Trainer gingen sehr entspannt damit um. Wenn es mal im Training aufgrund der Periode nicht laufe, sagten sie: „Komm, dann hör’ auf und leg’ dich mit einer Wärmflasche ins Bett.“

    Probleme aus dem Trainingsalltag waren am Samstagabend bei den deutschen Skispringern kein Thema. Und wenn doch: Sie hätten sie auch gar nicht öffentlichwirksam platzieren können. Denn den Gewinn von Silber und Bronze durch Andreas Wellinger und Karl Geiger bekamen in Deutschland nicht mehr viele Menschen mit. Das ZDF war um kurz vor 19 Uhr aus der Live-Übertragung ausgestiegen. Reporter Stefan Bier verwies aufs Internet, Experte Toni Innauer war sprachlos, dass der TV-Sender nicht bereit war, die heute -Nachrichten um ein paar Minuten zu verschieben. Dabei standen noch drei deutsche Skispringer mit Medaillenchancen oben.

    Nordische Ski-WM Planica: ZDF im Shitstorm

    Auf Twitter brach ein Shitstorm über das ZDF herein, ein User schrieb „von einem schlechten Witz“, eine Zuschauerin mutmaßte: „Das würden die bei der Heiligen Kuh Fußball niemals wagen. Stefan Schwarzbach, Vorstand Kommunikation im DSV, sagte auf Nachfrage unserer Zeitung: „Wenn man an einem langen Wintersporttag ausgerechnet beim Premiumprodukt frühzeitig aussteigt, ist das für den Fan nicht nachvollziehbar. Und dann ist es auch nur ein schwacher Trost, wenn es im Livestream weitergeht.“ Schwarzbach glaubt, von den 3,2 Millionen Zuschauern habe man „mit Sicherheit mindestens zwei Millionen Zuschauer verloren, die nicht in der Lage sind, so schnell zu wechseln.“ Der DSV habe eine Protestnote abgesetzt – auch, weil Sponsoren „not amused“ waren.

    Und so verpassten die Skisprung-Fans zuhause ein in seiner Dramatik und Spannung kaum zu überbietendes „Millimeterspringen“, wie es Bundestrainer Stefan Horngacher nannte. Karl Geiger, der von seinen Eltern, seiner Frau Franziska und Tochter Luisa unterstützt wurde, war hin und weg, wieder eine Medaille geholt zu haben. „Mega geil, es war so eng.“ Um Titelverteidiger Piotr Zyla, 13. nach dem ersten Durchgang, zu besiegen, hätte Geiger Schanzenrekord springen müssen. Auch Andreas Wellinger war überglücklich. In einer ersten Reaktion haderte er mit dem verpassten Gold: „Das Einzige, was für ganz oben gefehlt hat, waren die Kampfrichter, die mir nur 18,5 geben. Aber die Sprünge waren richtig geil“, sagte der Bayer am Ende eines Wahnsinns-Tages. Trainer Horngacher wirkte gelöst wie selten zuvor. Und er wusste, bei wem er sich zu bedanken hatte. „Katha und die Mädels haben uns zweimal Gold den Druck genommen. Die Stimmung im ganzen Team ist genial.“ Die Sorgen, die die deutschen Springer noch zur Tournee hatten, waren an der zugigen Schanze von Planica plötzlich wie weggeblasen.

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