Vlastimil Hort sprach dem Schachspiel einst „magische Kräfte“ zu. Viele Dinge würden während einer Partie unwichtig, insbesondere dann, wenn man sie „mit einer Katastrophe auf dem Schachbrett vergleicht“. Dass in diesem überlieferten Zitat des deutsch-tschechischen Schachspielers viel Wahrheit steckt, bestätigt Gunther Herold. Seit eineinhalb Jahren ist er Vorsitzender des Schach-Clubs 1892 Kaufbeuren, dem zweitältesten Schachverein im Kreis Südschwaben. Nur der Klub in Kempten wurde noch früher gegründet.
Freitag ist der feste Schachtag für die rund 40 Mitglieder des Vereins. „Zur Einstimmung des Wochenendes“ habe man sich früher in Gaststätten getroffen und ist für einen Abend in die Welt des Läufers, der Türme und der Bauern versunken. Entsprechend sei der Schachsport eine willkommene Ablenkung in fordernden Zeiten. „Mir geht es nach einer guten Schachpartie manchmal so, dass ich meine, ich hätte einen Filmriss. Ich kann dann nicht sagen, was in den vergangenen Stunden um mich herum passiert ist“, erzählt Herold.
Online-Schach auf "Lichess"
Partien, in denen sich die Spieler persönlich am Tisch gegenübersitzen, sind momentan freilich nicht möglich. „Die Gaststätten sind geschlossen, zudem wären Abstandsregeln nicht einzuhalten“, berichtet der 53-Jährige. Die aktiven Spieler sind daher auf Online-Schach ausgewichen. Auf dem Server „Lichess“ habe der Verein streng genommen schon seit rund drei Jahren einen eigenen Schachraum, früher aber sei dieser kaum genutzt worden. Inzwischen seien viele Mitglieder online, berichtet Herold. „Wir haben sogar viele Senioren dabei“, sagt er. Und die mussten erst einmal umfassend in die Thematik eingearbeitet werden. Weil sie für viele Neuland war. Das Erklären der virtuellen Schachwelt via Telefon sei durchaus Arbeit gewesen, habe sich aber gelohnt. „Alle sind jetzt mit viel Spaß dabei“, sagt Herold. Gespielt werde Blitzschach und sogar das beim Schachverein traditionelle Karfreitags-Schachturnier wurde dank der Möglichkeit, über den Computer zusammenzufinden, abgehalten. Natürlich könne Online-Schach aber nur einen Teil des Vereinslebens auffangen. „Die Unterhaltungen gehen einem schon ab. Das ist freitags immer lustig bei uns. Der zur Verfügung gestellte Chat ist da kein gleichwertiger Ersatz“, meint der Vorsitzende.
SC Kaufbeuren war kurz vor dem Aufstieg
Er vermisse zudem die Partien gegen andere Mannschaften. Im Ligabetrieb spielen immer acht Aktive jedes Vereins gegeneinander. In der Schwabenliga II verpasste der SC Kaufbeuren in der vergangenen Saison den Aufstieg nur ganz knapp, in diesem Jahr war der Erfolg in greifbarer Nähe – doch auch der Schachliga hat das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es ist zurzeit unklar, ob die Saison fortgesetzt wird. Die Schachliga kann nämlich nicht online weitergespielt werden, da sich die Plattformen nur für die Variante Blitzschach (siehe Infokasten) eignen. Beim regulären Spiel, das gerne auch mal fünf Stunden dauert, könnte am heimischen PC mittels anderer technischer Hilfen, etwa spezieller Handy-Apps, geschummelt werden. Und das ist beim Schach genauso unfair wie in anderen Sportarten.