Der Kontrast könnte kaum größer sein. Vom Rampenlicht der Ramsau auf die Schulbank nach Oberstdorf – von der großen Bühne des Weltcups ins Klassenzimmer des Gertrud-von-le-Fort-Gymnasiums. Weniger als 24 Stunden lagen für Vinzenz Geiger zwischen dem erfolgreichsten Wochenende seiner noch jungen Laufbahn als Nordischer Kombinierer und dem Schulalltag in der 13. Klasse. „Es fühlt sich unglaublich an – ich kann nicht realisieren, was passiert ist“, sagte der 19-jährige Oberstdorfer am Montagmittag. Mit Rang vier am ersten Tag im Berchtesgadener Land hatte der Athlet vom SC Oberstdorf sein bestes Ergebnis gefeiert und das tags darauf mit Platz drei nochmals getoppt.
Es fühlt sich unglaublich an – ich kann nicht realisieren, was passiert ist.Vinzenz Geiger
Dabei haben für Geiger die beiden „gut geglückten“ Sprünge auf der Normalschanze den Ausschlag gegeben – den Zuschauern am Fernsehschirm dürfte die Leistung auf der Strecke in Erinnerung bleiben, als Geiger in eindrucksvoller Manier immer und immer wieder den Anschluss an die Elite fand. „Bei mir ist es so, dass meine Technik vielleicht so aussieht, als wäre ich k.o. Aber in diesen Phasen denke ich meist darüber nach, wie ich mir das Rennen einteilen kann. Dann kommt oft noch eine zweite Luft“, beschreibt Vinzenz Geiger den unkonventionellen Stil. „Er hatte immer schon Qualitäten zurückzukommen, wenn man in den ersten Runden gedacht hat, dass er durch ist“, erinnert sich sein Jugendtrainer beim SCO, Thomas Müller, selbst Team-Olympiasieger 1988.
Lob von Johannes Rydzek
Einen Schritt weiter geht der Gesamtführende des Weltcups, der Oberstdorfer Doppel-Weltmeister Johannes Rydzek, der seit zwei Jahren mit Geiger trainiert und sich sichtlich mit seinem Teamkollegen freute. „Er macht schon in jungen Jahren taktisch sehr viel richtig und hat ein gutes Gespür. Dass er richtig beißen kann, wussten wir schon immer“, sagt der 25-Jährige.

Im zweiten Grundschuljahr ging der damals sieben Jahre alte Vinzenz erstmals vom Schanzentisch. Davor schon war Geiger Skifahrer beim SCO und kickte bei der SG Illerursprung. Über seinen Cousin kam er schließlich 2008 zu Thomas Müller, der ihn zum Langlaufen brachte. Schon die ersten Schritte im Weltcup liefen im Dezember 2015 verheißungsvoll, als der Sohn von SC-Oberstdorf-Vizepräsident Willi Geiger in Lillehammer die Ränge 31 und 18 erreichte. Mit den Wintersport-Assen Christina Geiger (Alpin) und Karl Geiger (Skispringen) ist Vinzenz übrigens nicht verwandt. Zwei Silbermedaillen bei der Junioren-WM im rumänischen Rasnov im Februar sind sein größter internationaler Erfolg. Bisher.
Das Handy ist fast explodiert
„Vinzenz hat körperliche Voraussetzungen, von denen andere nur träumen können. Aber er hat vor allem auch die mentale Stärke und kann über Emotionen viel herausholen“, attestiert Thomas Müller dem 1,83-Meter großen Athleten. Zurück in der Heimat fasst Geiger sein märchenhaftes Wochenende sportlich trocken als „gelungen“, aber doch als „eigentlich unglaublich“ zusammen. Presse-Termine, Dopingkontrollen und ein vor Glückwünschen „fast explodiertes“ Handy dürften das verstärken.
Ich finde es so cool, dass er so Fuß gefasst hat.Johannes Rydzek
Und so war Geiger am Montagmorgen ganz schnell wieder im Alltag. In der Schulbank – wo Handys verboten sind. „Am Anfang ist es schon komisch, wenn man nach so einem Wochenende in eine ganz andere Welt kommt und nicht so recht weiß, worum es geht“, sagt Geiger, der im Frühjahr das „gestreckte“ Abitur auf drei Jahre ablegen will. Vorerst aber kehrt über die Feiertage Ruhe ein, ehe es vor Silvester zum Sprung-Lehrgang nach Predazzo und am 6. Januar ins finnische Lahti geht. Mit dabei: Johannes Rydzek. „Ich finde es so cool, dass er so Fuß gefasst hat. Immerhin trainieren wir nun seit zwei Jahren gemeinsam und das zeigt, dass die Arbeit am Stützpunkt Früchte trägt“, sagt der Doppel-Weltmeister. Rydzek, der sich allzu gerne an seine eigene erste Podestplatzierung im Weltcup erinnert. Die holte er, wie Geiger, in der Ramsau. Und wie Vinzenz Geiger war er 19 Jahre alt.