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48-Jährige ruft betrunken den Notruf: Missbrauch oder Verzweiflungstat?

Prozess in Lindau

Unverletzte Frau wählt den Notruf und landet vor Gericht: Das Urteil überrascht

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    Vor dem Amtsgericht Lindau wurde der Fall verhandelt.
    Vor dem Amtsgericht Lindau wurde der Fall verhandelt. Foto: Olaf Winkler (Archiv)

    Es ist der Abend des 3. Dezember 2024, kurz vor 22 Uhr. Eine 48-Jährige wählt den Notruf. Sie habe sich die Pulsadern aufgeschnitten, erklärt sie dem Beamten. Zwei Polizeistreifen und ein Rettungswagen machen sich sofort auf den Weg. Vor Ort öffnet sie selbst die Tür. Von schweren Verletzungen keine Spur – nur oberflächliche Kratzer an den Handgelenken.

    Gegenüber den Einsatzkräften gibt sie an, dass sie am nächsten Tag nicht zur Arbeit wolle, stattdessen bitte sie um eine Einweisung ins Bezirkskrankenhaus Kempten. Schlussendlich mitgenommen habe man die 48-Jährige, weil sie gedroht habe, sich ansonsten ein Messer in den Kopf zu rammen.

    Prozess am Landgericht Lindau um möglichen Notrufmissbrauch

    Zunächst scheint die Sachlage klar: Notrufmissbrauch. Doch der Prozess, der vor dem Amtsgericht Lindau verhandelt wurde, entpuppt sich als wesentlich komplexer.

    Die Angeklagte lebt allein, kämpft mit Suchtproblemen sowie Depressionen, geht drei verschiedenen Jobs nach und hat Schulden. Mit zittriger Stimme bestätigt sie, dass es ihr im vergangenen Winter „überhaupt nicht gut ging“. Am 3. Dezember sei sie verzweifelt gewesen, überfordert und wollte in dieser Nacht nicht allein bleiben. Sie wollte Hilfe.

    Gut 2,5 Promille im Blut

    Aus dem Bericht des Bezirkskrankenhauses Kempten geht hervor, dass die Frau zum Einlieferungszeitpunkt stark betrunken war. Ein Blutwert von 2,53 Promille wurde gemessen. Doch eine stationäre Behandlung, zu der die Ärzte raten, lehnt sie ab. Bereits am Folgetag entlässt sie sich selbst.

    Ein hinzugezogener Polizist sagt aus, dass er die Angeklagte „eigentlich nicht nüchtern kennt“. Einsätze am Wohnort der 48-Jährigen seien keine Seltenheit - normalerweise ginge es aber darum, ihre Bekanntschaften „loszuwerden“. Allgemein ist die Frau polizeibekannt und wurde bereits unter anderem wegen Körperverletzung, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt.

    Der Bewährungshelfer, der die Angeklagte seit mehr als zwei Jahren betreut, beschreibt sie als freundlich, zuverlässig und bemüht, ihre Schulden zu begleichen. Im Zeugenstand bestätigt er, dass sie im Alltag eine gewisse Stabilität zeige. Allerdings seien Sucht und Psyche häufiger Thema bei den regelmäßigen Terminen. Sie beschreibe ihr Leben oft als „öde“ und „leer“. Zudem mache ihm die Mischung aus Alkohol und Tabletten Sorgen. Kurz nach der Tat habe sich die 48-Jährige gemeldet und geäußert, dass sie es bereue, den Suizidversuch nicht durchgezogen zu haben.

    Staatsanwaltschaft fordert Freiheitsstrafe

    Die Staatsanwaltschaft hält dagegen und führt an, dass die Tat während einer offenen Bewährung begangen wurde. Zudem hätte sich die Angeklagte auch direkt an ein Klinikum wenden können. Daher fordert sie eine Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie die Zahlung der entstandenen Kosten.

    Rechtsanwalt Alexander Greiner widerspricht und plädiert auf Freispruch. Er argumentiert, dass entscheidend die Frage sei, ob es sich um eine Notlage gehandelt habe oder nicht. Seine Mandantin sei stark depressiv, alkoholisiert und verzweifelt gewesen und habe sich daher in einer akuten Notlage befunden. Es sei kein Missbrauch des Notrufs, denn genau dafür seien Notrufe gedacht.

    Richterin Sancak folgt diesem Argument. Nach kurzer Bedenkzeit spricht sie die Angeklagte frei. Dennoch mahnt sie: Der Rettungsdienst dürfe nicht unnötig belastet werden. Besonders nachts, wenn nur noch ein Rettungswagen im Dienst sei, könne ein unnötiger Einsatz schwerwiegende Folgen für andere Notfälle haben.

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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