Vor etwa vier Jahren hatte die Frau ein Grundstück samt Wohnhaus in Witzigmänn gekauft. Dass in der Nähe ein Baugebiet entstehen soll, habe sie gewusst. Aus Zeitung und Amtsblatt habe sie dagegen erst später erfahren, dass die Zu- und Abfahrt über das Nachbaranwesen und somit direkt vor ihrer Haustür und Terrasse verlaufen soll.
Was wirft die Anwohnerin dem Bürgermeister von Sigmarszell vor?
„Niemand hat mit mir Kontakt aufgenommen“, warf sie dem Bürgermeister und dem Gemeinderat in der jüngsten Ratssitzung vor. Mehr noch: Sie habe im Januar 2023 schriftlich Einspruch gegen die damalige Fassung des Bebauungsplans erhoben und auf den von ihr befürchteten Verkehrslärm hingewiesen. Doch ihr Einwand sei im Abwägungsprozess des Bebauungsplanverfahrens „lapidar mit einem Satz vom Tisch geweht“ worden, sagt die Frau, die in der Berichterstattung nicht namentlich genannt werden möchte.
Die Zu- und Abfahrt zum Baugebiet in Witzigmänn senke ihre Lebensqualität und den Wiederverkaufswert des Anwesens erheblich, ist sie überzeugt. „Ich betrachte mich als Kollateralschaden.“ Von der Gemeinde fordert sie jetzt einen Sicht- und Lärmschutz – und zwar schon für die Bauphase.
Wie berichtet, hatten sich die Planungen für das Wohngebiet im Laufe der Zeit verändert. In der Frage, wann genau die Zufahrtsregelung geändert wurde, widersprechen sich die Angaben. Fakt ist jedenfalls, dass das Baugebiet 2022 um etwa ein Viertel verkleinert wurde, sodass nun noch 16 Einzelhäuser und zwei Doppelhauspaare vorgesehen sind. Zur Einordnung: Witzigmänn besteht derzeit aus etwas mehr als 40 Häusern und würde somit um fast die Hälfte wachsen.
Ist der bebauungsplan in Witzigmänn rechtskräftig?
Eigentlich war der Bebauungsplan bereits im Juni 2023 fertig und als Satzung beschlossen. Doch er wurde nicht mehr rechtskräftig. Denn damals kippte das Bundesverwaltungsgericht den Paragrafen 13b. Er hatte bundesweit neue Baugebiete unter bestimmten Voraussetzungen ohne Umweltprüfung zugelassen und war auch die Grundlage für den Bebauungsplan in Witzigmänn gewesen.
Die Anwohnerin freute sich über das Urteil und glaubte, dass sich das Baugebiet und damit auch die Erschließungsstraße erledigt haben. Deshalb habe sie nichts mehr unternommen, sagte sie auf Nachfrage. Erst im Herbst 2024 habe sie dem Amtsblatt entnommen, dass das Bebauungsplanverfahren – jetzt mit einer Umweltprüfung – weitergeführt wurde. Deshalb wandte sie sich nun öffentlich an den Gemeinderat und lud die Ratsmitglieder zum Kaffee auf ihre Terrasse ein, um sich vor Ort ein Bild machen zu können.
„Das ist sicherlich dumm gelaufen“
Jörg Agthe, Bürgermeister von Sigmarszell
„Das ist sicherlich dumm gelaufen“, sagt indes Bürgermeister Jörg Agthe auf die Frage, warum er bisher nicht das Gespräch mit der Anwohnerin gesucht habe. Er habe im Zusammenhang mit diesem Baugebiet hunderte Gespräche geführt, auch mit dem Voreigentümer. Er habe nicht mehr daran gedacht, mit ihr zu sprechen. „Das war mein Fehler“, gab er zu.
Allerdings verwies er darauf, dass seine Kontaktdaten im Rathaus bekannt seien. „Wenn Sie einen Kontakt vermissen, können Sie auch selbst aktiv werden“, hatte er schon in der Ratssitzung zu der Anwohnerin gesagt. Und: „Dadurch, dass die Zufahrt über das Nachbargrundstück führt, sind Sie zwar betroffen, aber nicht in Ihren Eigentumsrechten.“ Zudem hätten die Berechnungen des Planungsbüros ergeben, dass keine Lärmschutzauflagen erforderlich sind.
Inzwischen haben Agthe und die Gemeinderäte Jürgen Hartmann, Bernhard Krepold und Michael Dlugosch die Einladung der Anwohnerin angenommen und über einen Kompromissvorschlag gesprochen. „Wofür ich eintreten werde, ist ein Sichtschutz, um ihre Privatsphäre zu wahren“, berichtet Agthe. Eine echte Lärmschutzwand sei jedoch wegen bautechnischer und genehmigungsrechtlicher Auflagen hier nicht möglich, unter anderem wegen eines verrohrten Bachs in diesem Bereich.
Gemeinderat befürwortet Sicht- und Schallschutz
„Hier wurde versäumt“, beschreibt Jürgen Hartmann seinen Eindruck, „die Anwohner mitzunehmen.“ Auch von anderen Anwohnern habe er die Rückmeldung erhalten, dass sie unzufrieden sind. Er würde es befürworten, dass die Gemeinde einen Sicht- und Schallschutz für die Frau baut.
Auch Bernhard Krepold plädiert für ein Entgegenkommen: Rechtlich habe die Anwohnerin zwar keinen Anspruch darauf. „Aber wenn man bei ihr auf der Terrasse steht, muss man sagen, dass sie einen Nachteil hat“, erklärt er. Deshalb solle hier die Gemeinde aus Gründen der Menschlichkeit eine Lösung finden und für einen Sichtschutz sorgen.
Gemeinde will Bebauungsplanverfahren noch dieses Jahr abschließen
Ob Sichtschutz oder kombinierter Sicht- und Schallschutz: Entschieden ist noch nichts – auch nicht die Ausgestaltung. Derweil drängt die Zeit.
Die Gemeinde will das Bebauungsplanverfahren bis zum Jahresende abschließen. Denn nur so lange kann sie die erleichterte Übergangsregelung zum Paragrafen 13b nutzen. Andernfalls müsste sie ins Regelverfahren wechseln und parallel dazu den Flächennutzungsplan ändern. Dies wäre laut Agthe zeit- und kostenaufwendig.
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