Birgit Bareth legt großen Wert darauf, nicht von „besonderen Bedürfnissen“ zu sprechen, wenn sie erklärt, wie Menschen mit Behinderung stärker eingebunden werden sollten. „Oft handelt es sich dabei um alltägliche Dinge“, betont sie, „ich freue mich über jeden Türöffner.“ Bareth, die Vorsitzende des Behindertenbeirats im Landkreis Lindau und selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist, verweist auf besondere Herausforderungen, vor allem im ländlichen Raum.
Gebäude auf dem Land selten von Grund auf barrierefrei
Ein großes Problem sei hier der Altbestand. „Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Behinderung“, stellt sie fest. Ältere Bauernhäuser seien kaum von Grund auf barrierefrei und eine Umgestaltung sei zu teuer. „Und man will ja so lange es geht zu Hause klarkommen.“ Es gebe ohnehin viel zu wenige Pflegeheimplätze, insbesondere für junge Menschen.
Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es auch positive Beispiele. Bareth nennt etwa das Bräuhausareal in Lindenberg, die ehemalige „Sonne“ in Heimenkirch und den Cavazzen in Lindau, wo durch Neu- und Umbauten neuer Wohnraum geschaffen wurde. Besonders beim Cavazzen war sie intensiv in die Planung der barrierefreien Gestaltung eingebunden.
Ein zentrales Problem ist laut Bareth, dass diese derzeit auf freiwilliger Basis erfolgt. „Und Freiwilligkeit funktioniert null.“ Ab Juni diesen Jahres sind Dienstleister und Online-Händler zwar dazu verpflichtet, ihre Websiten barrierefrei zu gestalten. Bei Gebäuden der Privatwirtschaft hingegen fehlt eine solche Verpflichtung, erklärt Bareth.
Obwohl ein entsprechender Gesetzesentwurf schon länger diskutiert wurde, ist dieses Vorhaben mit dem Ende der Ampel-Koalition vorerst gescheitert. „Das ist sehr enttäuschend“, bedauert Bareth. „Inklusion ist ein Menschenrecht“. In anderen Ländern, wie Kanada oder den USA sei die Barrierefreiheit schon lange Pflicht. „Wir sind da in Deutschland 30 Jahre hintendran“, sagt Bareth.
Gesenkte Bordsteine sind in Lindenberg markiert
Durch diese fehlende Verpflichtung gebe es auch Arztpraxen, die nicht frei zugänglich seien. . „Das kann ich nicht verstehen.“ Teilweise müssten Ärztinnen und Ärzte die Blutabnahme beispielsweise im Auto durchführen, sagt Bareth. Gerade bei Fachärzten sei der Zugang kritisch, da die nächste Alternative oft weit entfernt ist.
Positive Beispiele findet Bareth indes in Lindenberg. Dort wurden an mehreren Stellen Bordsteine abgesenkt und weiß markiert, damit Rollstuhlfahrer erkennen können, wo sie sicher die Straße überqueren können. Dadurch lassen sich viele Gefahrensituationen vermeiden. Zusätzlich lobt sie die Volkshochschule in Lindenberg, die auf ihrer Website klar ausweist, welche Kurse barrierefrei zugänglich sind.
Man könne sich auch inspirieren lassen, sagt Bareth. Die V-Märkte bieten beispielsweise eine „stille Stunde“ an, in der die Beleuchtung und die Musik runtergefahren wird. Das kann zum Beispiel für Menschen mit Autismus besonders hilfreich sein. „Und das ist ja schnell umgesetzt“, sagt Bareth. Sie will sich künftig dafür einsetzen, auch Lebensmittelläden im Umkreis darauf aufmerksam zu machen.
Wenn Menschen mit Behinderung den ÖPNV nutzen wollen, stoßen sie auch hier auf Hindernisse. So sind Bushaltestellen oft nicht barrierefrei. „Eine Rampe bringt nicht viel, wenn ich sie auf die Straße ablegen muss. Das ist eine 45-Grad-Steigung“, sagt Bareth. Sie plant, ein Bustraining für Menschen mit Behinderung anzubieten und auch das Gespräch mit Busfahrern zu suchen, um sie für den Umgang mit den Betroffenen zu sensibilisieren.
Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung im Landkreis Lindau
„Bevor ich eine Veranstaltung besuche frage ich mich nicht: Will ich da hin? sondern: Kann ich da hin?“, sagt Bareth. Hier sei es genauso wichtig, Menschen mit Behinderung bei der Planung einzubeziehen. „Man muss auch keine Angst davor haben, wir wollen das ja gemeinsam und möglichst praktisch für alle schaffen.“ Barrieren gibt es auch bei Arbeitsplätzen im Landkreis. Oft scheine es dort weder Angestellte mit Behinderung zu geben noch Pläne, welche einzustellen.
Wer auf Barrieren aufmerksam wird, kann sich an den Behindertenbeauftragten der Gemeinde wenden. Das Problem dabei: In mehr als der Hälfte der Gemeinden gibt es keinen Behindertenbeauftragten (mehr). Der Behindertenbeirat plant daher, künftig stärker als Vermittlungsstelle aufzutreten. Natürlich könne man solche Anliegen auch direkt bei der Gemeinde melden, jedoch würden sie dort häufig untergehen.
Kontakt zum Behindertenbeirat
Website: https://beirat-lindau.de/
E-Mail: info@beirat-lindau.de
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