Wegen des Coronavirus voneinander Abstand halten – wer mit seiner Großfamilie auf wenigen Quadratmetern im Slum wohnt, für den klingt das wie ein schlechter Witz. Seit eineinhalb Jahren lebt die Lindauerin Verena Zwosta mit ihrem Mann in einem Slum auf den Philippinen. Dort arbeiten die beiden für eine Hilfsorganisation. Die Quarantänemaßnahmen der Regierung halten sie für sehr gefährlich. Denn sie führen dazu, dass die Menschen hungern.
Offiziell gibt es auf den Philippinen etwas mehr als 500 Corona-Infizierte. 35 Menschen sollen bisher an der Krankheit gestorben sein. Die Dunkelziffer dürfte aber um einiges höher sein. „Es gibt im ganzen Land nur ein paar Tausend Testkits, und die kosten Geld“, erklärt Markus Zwosta. Wer arm ist, der könne es sich schlicht nicht leisten, sich untersuchen zu lassen.
Zwar funktionierten die verordneten Hygienemaßnahmen im Slum, das auf den Philippinen Tondo heißt, ganz gut. „Es gibt sehr viele Regeln, die über Facebook verbreitet werden. Und Facebook hat hier jeder, das gibt es kostenlos und man kann Nachrichten über Facebook sogar dann empfangen, wenn man kein Internet hat“, sagt Markus Zwosta. „Und die Menschen haben Seife und kaufen sich Desinfektionsmittel.“
Aber wer Symptome habe, der halte lieber den Mund. „Das ist die Schamkultur hier. Wer sich als Corona-Kranker outet, der hätte was zu befürchten. Der würde dafür verantwortlich gemacht, dass er andere ansteckt.“ Grundsätzlich gingen die meisten Philippinos aber sowieso davon aus, dass sie sich gegenseitig nicht anstecken, erklärt Verena Zwosta. Im ganzen Land verbreitet sei der Irrglaube, dass nur Chinesen oder andere Ausländer an dem Virus erkranken.
Trotzdem hat Präsident Duterte am 15. März die größeren Städte unter Quarantäne gestellt. Das bedeutet, dass 20 Millionen Einwohner die Hauptstadt Manila, wo Verena und Markus Zwosta leben, nicht verlassen dürfen. „Das Krasse ist, dass der ganze öffentliche Verkehr verboten ist“, sagt Verena Zwosta. Vor allem für die arme Bevölkerung in Manila sei es damit unmöglich, von A nach B zu kommen. Denn ein eigenes Auto habe dort niemand.
Ein Problem ist das vor allem für die Unterschicht. Denn nur die wenigen großen, internationalen Firmen zahlen ihren Mitarbeitern während der Quarantäne weiter Gehalt. Ein Großteil der armen Philippinos arbeitet aber als Tagelöhner auf dem Bau oder als Fahrer. Ersparnisse hat von ihnen keiner. Das deutsche Ehepaar macht sich große Sorgen um seine Nachbarn und Freunde. „Zu uns kam eine Bekannte, die seit zwei Tagen nichts gegessen hatte“, erzählt Verena Zwosta. „Was sie noch hatte, hat sie ihrem Kind gegeben.“ Zwar habe die Regierung angekündigt, dass während der Quarantäne niemand Hunger leiden müsse. „Wir haben bei den lokalen Behörden nachgefragt. Aber bisher kam noch keine Hilfe.“
Markus Zwosta, der aus Nürnberg stammt und eigentlich Mechatroniker ist, ist schon lange auf den Philippinen. Drei Jahre lang hat der 33-Jährige dort Drogenabhängige unterstützt. Dann hat er bei der Organisation „Servants Asia“, für die er arbeitet, seine Frau kennengelernt. „Ich hatte eine Biographie gelesen über Leute, die 20 Jahre in einem Slum gelebt haben“, erzählt Verena Zwosta. Die 35-jährige Lindauerin war früher in einer Bank für die Baufinanzierung zuständig. Auf einer Reise hat sie dann eine Woche lang ausprobiert, wie es ist, in einem Slum zu leben. Danach stand für sie fest: Dort möchte sie helfen.
Seit eineinhalb Jahren lebt das Ehepaar im Tondo von Manila. Zu zweit auf rund 13 Quadratmetern. „Wir haben ein ganz simples Zimmer“, erzählt Markus Zwosta. Während des Video-Telefonats fährt er mit der Handy-Kamera durch die kleine, blau gestrichene Wohnung mit Bett, Mini-Bad und einer kleinen Küchenzeile. Im Vergleich zu ihren Nachbarn haben es die beiden noch sehr gut. „Die leben mit einer ganzen Großfamilie in kleinen Holzverschlägen“, erzählt Verena Zwosta.
Was die Slum-Bewohner im Gegensatz zu Verena und Markus Zwosta nicht haben: Die beiden können sich einmal in der Woche im Sitz von „Servants Asia“ in Manila ausruhen. „Da ist viel Platz“, sagt Markus Zwosta.
Verena und Markus Zwosta kümmern sich im Slum um die Schulbildung der Kinder. Dass das ihre Arbeit sein würde, wussten sie vor eineinhalb Jahren noch nicht. „Der Ansatz war, erst in das Land zu kommen und die Sprache zu lernen. Und dann herauszufinden, wie man das Leben der Leute hier verbessern kann“, erzählt Markus Zwosta. Dass Kinder aus den Tondos regelmäßig zur Schule gehen, sei nicht selbstverständlich. „Teilweise schaffen es die Familien finanziell nicht, teilweise schaffen sie es nicht, ihre Kinder morgens fertig zu machen. Zum Beispiel wegen Alkohol- und Drogenproblemen.“
Seit das Coronavirus die Philippinen erreicht hat, sieht die Arbeit des Ehepaars anders aus. An 500 Menschen haben die beiden in den vergangenen Tagen Packungen mit Reis verteilt. „Das wird aber nur für zwei bis drei Tage reichen“, sagt Verena Zwosta. Um 500 Menschen drei Tage lang mit Reis zu ernähren, braucht das Ehepaar 550 Euro, also etwas mehr als einen Euro pro Person. „Wir werden weiter versuchen, Reis auszugeben, bis es Hilfe von der Regierung gibt.“ Eine Dauerlösung kann das nicht sein. „Wenn die Leute nur noch Reis essen, werden sie schwach und Kinder werden mangelernährt. Und dann ist das Immunsystem am Boden“, sagt Markus Zwosta. So lange die Quarantäne andauere, sei es für die arme Bevölkerung fast unmöglich, an Obst oder Gemüse zu kommen.