Der Mann, der im April in einem Wangener Supermarkt mit einem Messer ein Kind attackiert hat, muss dauerhaft in die Psychiatrie. So lautet das jüngst gefallene Urteil im Sicherungsprozess wegen versuchten Mordes. Wie muss man sich die Unterbringung und den Alltag eines solchen Patienten im Maßregelvollzug vorstellen?
Grundsätzlich gilt in Deutschland: Psychisch erkrankte Rechtsbrecher, die zum Tatzeitpunkt nicht in der Lage sind, das Unrecht ihrer Tat einzusehen, gelten als schuldunfähig. Erstmals unterschied das Strafgesetz 1871 zwischen schuldfähigen Tätern und jenen, die wegen Geisteskrankheit unzurechnungsfähig waren.
Schuldunfähige können nicht klassisch, etwa mit einer Gefängnisstrafe, bestraft werden. An die Stelle der Strafe tritt eine freiheitsentziehende Maßregel: die Unterbringung in der Psychiatrie. Der gesetzliche Auftrag dafür lautet Besserung und Sicherung. Es geht also um die Behandlung des Erkrankten und um den Schutz der Gesellschaft vor ihm.
So hat das Landgericht Ravensburg die Messserattacke in Wangen bewertet
Auch im Wangener Fall sah das Gericht es als erwiesen an, dass der Mann wegen einer Krankheit handelte, und ordnete eine Unterbringung in der Psychiatrie an. Ein Gutachter hatte eine schwere psychische Erkrankung diagnostiziert und keine gute Prognose ausgestellt. Entsprechend hatte die Staatsanwaltschaft argumentiert und betont, dass die Gefahr bestehe, dass der Mann unbehandelt gravierende Straftaten begehe.
Eine von acht Einrichtungen in Baden-Württemberg für den Maßregelvollzug ist die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Ravensburg-Weissenau. Die Stationen dort sind in der Akutbehandlung baulich und technisch höher gesichert als solche einer Allgemeinpsychiatrie.
„Wir sind keine Haftanstalt, wir sind ein psychiatrisches Krankenhaus, in dem die Regularien für den Maßregelvollzug gelten“, sagt die ärztliche Direktorin Roswita Hietel-Weniger. Auftrag sei, „dass wir die Untergebrachten in unbehandeltem Zustand sichern und mit der Behandlung beginnen“.
Patienten sollen Alltag alleine bewältigen können
Die Menschen im Maßregelvollzug würden zunächst auf der geschlossenen Aufnahmestation behandelt, sagt sie allgemein – zum konkreten Fall darf sie sich nicht äußern. Dort können sie sich in definierten Bereichen frei bewegen, die Station aber nicht verlassen. Zum therapeutischen Konzept gehören neben Medikamenten und psychiatrischer Pflege auch Psychoedukation, Psychotherapie, Arbeits-, Bewegungs- und Ergotherapie sowie soziales Training.
Ziel sei es, so Hietel-Weniger, dass Patienten ihren Alltag alleine bewältigen und Medikamente zuverlässig einnehmen. Viele könnten wegen ihrer Erkrankung keiner festen Tagesstruktur folgen. Die Untergebrachten lernen also unter Umständen Dinge, die für gesunde Menschen selbstverständlich sind: Aufstehen, Körperhygiene, essen, Grundregeln sozialen Verhaltens und den Aufbau von Beziehungen.
Im weiteren Verlauf erfolgen – je nach Fortschritt – Lockerungen, die bei erprobt zuverlässigen Patienten eine Verlegung auf eine offene Station beinhalten können. Ausgänge werden zunächst nur in Begleitung von Personal im gesicherten Garten, später auch innerhalb des Klinikgeländes gewährt.
Das Verlassen der Klinik ist laut der Direktorin erst erlaubt, wenn die Krankheit stabil zurückgegangen sei, wobei auch die Staatsanwaltschaft zustimmen müsse. Ob ein psychisch kranker Täter auf Bewährung entlassen werden kann, entscheidet das Gericht.
Dabei dürfe keine Gefahr für weitere Straftaten bestehen, erklärt Hietel-Weniger. Patienten dürften etwa nicht mehr aus einem Wahn angetrieben oder von Stimmen aufgefordert handeln. Das dauere in der Regel Jahre. Ob und wann der Mann, der im Wahn in Wangen ein vierjähriges Mädchen lebensbedrohlich verletzte, entlassen wird, ist kaum absehbar.
Angeklagter stand unter sedierenden Medikamenten
„Wir konnten die vier Verhandlungstage in ruhiger und kompakter Form nur durchziehen, weil der Beschuldigte unter sedierenden Medikamenten steht“, sagte der Vorsitzende Richter Veiko Böhm bei der Urteilsverkündung. Er stehe am Anfang der Behandlung. Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus bedeutet dabei eine unbefristete freiheitsentziehende Maßnahme. Einmal im Jahr muss das Gericht prüfen, ob Voraussetzungen für den Freiheitsentzug noch gegeben sind.
Dass eine Unterbringung immer unbefristet ist, darauf hatte auch Richter Böhm hingewiesen. Im konkreten Fall sei mit einer sehr langen Unterbringung zu rechnen. Sie könne im Gegensatz zu einer lebenslangen Haftstrafe, die meistens zeitlich begrenzt sei, lebenslang ausfallen. Unabhängig vom konkreten Fall spricht Hietel-Weniger von einer durchschnittlichen Verweildauer von vier Jahren, die Patienten in Einrichtungen wie der Klinik Weissenau in der Unterbringung bleiben. Foto: Felix Kästle