Niemand weiß, wie viele Tote und Verletzte es in diesem Krieg schon gegeben hat. Schätzungen gehen allein von mehr als 80.000 getöteten und 400.000 verletzten Ukrainern aus. Zahlen, die kaum zu fassen sind. Unvorstellbar, das Leid, das dahintersteckt. Auch schwer Verwundete müssen oft lange auf Hilfe warten. Der Lindauer Verein Hilfswerk Bodensee, der sich seit Kriegsbeginn unermüdlich für die Menschen in der Ukraine einsetzt, will Leid lindern. Die Helfer haben schon neun voll ausgestattete Krankenwagen in die Ukraine gebracht. Anfang Januar soll der Zehnte folgen.
Inzwischen ist der Ablauf für den Vereinsvorsitzenden Aurel Sommerlad und seine Mitstreiter eingespielt: Die Fahrzeuge bekommen sie meist von einem Händler in Memmingen. Der ehemalige Rettungssanitäter kaufe ausrangierte Rettungswagen vom Roten Kreuz auf, richte sie wieder her und statte sie mit den entsprechenden Geräten aus, erzählt Aurel Sommerlad.
„Wir holen das Fahrzeug dann ab und beladen es“, sagt er. In den Krankenwagen wandert alles, was dringend gebraucht wird und Platz findet. Vor allem Verbandsmaterial und Medikamente, aber auch größere medizinische Geräte, wie das Röntgengerät, das für eine Klinik bestimmt ist. Die lange Fahrt soll sich lohnen.
Ein Team, bestehend aus zwei Helfern des Lindauer Vereins, fährt den Rettungswagen in die Ukraine. Die Übergabe ist an unterschiedlichen Orten: Sie war schon in Dnipro, das regelmäßig unter Beschuss ist, aber auch bereits in Kiew.
Am vorläufigen Ziel bekommt das Fahrzeug erst mal eine neue Lackierung: Tarnfarben statt Leuchtrot. „Es ist unheimlich wichtig, so unauffällig wie möglich unterwegs zu sein“, sagt Sommerlad und erklärt, was absurd erscheint: „Krankenwagen sind ein bevorzugtes Ziel für Drohnen.“
Lange stehen die Krankenwagen nicht auf dem Parkplatz. „Der letzte, den wir gebracht haben, ist noch am selben Tag für einen Einsatz genutzt worden.“
Rettungssanitäter aus Bregenz
Das Hilfswerk Bodensee arbeitet in der Ukraine mit privaten Organisationen zusammen, die Verletzte von der Front abtransportieren. Aurel Sommerlad hat hauptsächlich mit Max zu tun, einem Österreicher, der dort als Fahrer im Einsatz ist.
Neben dem Fahrer sei jeder Krankenwagen mit einem Arzt und einem Sanitäter besetzt. „Oftmals sind das Freiwillige aus ganz Europa“, sagt Sommerlad. Frauen und Männer, die wochen- oder monatsweise aushelfen. Als er das letzte Mal in der Ukraine war, habe er dort einen Rettungssanitäter aus Bregenz getroffen.
Meldet sich ihr Piepser, muss es schnell gehen. Die Helfer nehmen die verletzten Soldaten nicht direkt an der Front auf, sondern etwas entfernt. Bis zum vereinbarten Treffpunkt müssen die Verletzten mit Militärfahrzeugen gebracht werden, erklärt Sommerlad. Dann werden sie in den Krankenwagen umgeladen - und ins nächste Krankenhaus gebracht.
Da der Krieg schon sehr lange dauert, die Rettungswagen viel im Einsatz und meist auf schlechten Wegen unterwegs sind, sei der Verschleiß hoch. Aurel Sommerlad und Maren Riekmann sorgen für Nachschub: Sie bringen Anfang Januar für das Hilfswerk Bodensee den zehnten Krankenwagen in die Ukraine.
Das Geld dafür haben die Lindauer Helfer noch nicht ganz zusammen. Rund 20.000 Euro brauchen sie insgesamt – für Auto, Ausstattung, Lackierung und Sprit.
„Eigentlich nicht viel für das, was das Fahrzeug leistet“, findet Sommerlad. Dennoch sei es eine „wahnsinnige Challenge“, das Geld zusammenzubringen. Ohne Großspender und Firmen wie Dornier, die sie regelmäßig unterstützten, ginge es nicht. Aber auch jede private Einzelspende helfe, betont Sommerlad. Schließlich fallen auch Fahrtkosten und Spritgeld an.
Um Geld zu sammeln, lässt sich der Verein einiges einfallen. Aurel Sommerlad hat sich dafür gequält: Der Lindauer ist hundert Kilometer in 24 Stunden gelaufen - und hat für jeden gelaufenen Kilometer Spenden bekommen.
Der Muskelkater ist längst vergessen, wenn er und Maren Rieckmann am 2. Januar mit dem Krankenwagen in Richtung Ukraine aufbrechen. In den Krieg, in eine andere Welt.
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