Herr Lenßen, kann eigentlich jeder straffällig werden?
Ingo Lenßen: Na klar. Ich doch auch! Jeder von uns hat schon mal falsch geparkt oder ist zu schnell gefahren – das sind zwar nur Ordnungswidrigkeiten, aber im Grunde genommen auch Straftaten. Ich habe wahrscheinlich auch schon mal zu jemandem gesagt: Du Vollidiot! Das ist eine Beleidigung. Außerdem habe ich 30 Jahre Eishockey gespielt. Da ist auch das eine oder andere passiert.
Sie meinen Körperverletzung?
Lenßen: Natürlich, wenn ein Foul absichtlich geschieht, wäre es Körperverletzung. Gerade auf dem Eis sind die Handschuhe schon mal geflogen.
Man kann sagen, Sie sind Deutschlands bekanntester Fernsehanwalt. Ihre TV-Karriere begann bei „RichterAlexander Hold“. Am Montag um 17 Uhr startet wieder Ihr Sat.1-Format „Lenßenübernimmt“. In der ersten Folge geht es um einen Scheidungsfall, bei dem sich ein Mann nach 26 Jahren von seiner Frau trennt, die in die Armut abzurutschen droht. Wie können Sie ihr helfen?
Lenßen: Es gibt Unterhaltsansprüche, die sich durchsetzen lassen, auch der Staat hilft in ärgster Not. Wie gesagt, im besten Fall ohne Gericht, weil es dann schneller geht. Außerdem ist es für beide Seiten nervenschonender. Durch die Unterstützung über die Unterhaltspflicht kann eine Frau zumindest ihr Leben weiterführen, ohne dass ihr ständig die Angst im Nacken sitzt, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Für die Zukunft kann dann der Zugewinn helfen.
Ingo Lenßen: "Ich glaube, im Grunde genommen geht es immer nur um eins: den Rechtsfrieden"
Wenn man Sie so reden hört, gewinnt man den Eindruck: In solchen Fällen sind beide Seiten gut beraten, sich außergerichtlich zu einigen?
Lenßen: Ich glaube, im Grunde genommen geht es immer nur um eins: den Rechtsfrieden. Wir alle haben allerdings oft unterschiedliche Vorstellungen, wie man diesen Rechtsfrieden herstellen kann. Wenn man es schafft, die gegenseitigen Vorstellungen anzunähern, heißt das auch, dass man sie befrieden kann. Und das ist Sinn und Zweck von Recht. Wenn es außergerichtlich nicht geht, braucht man meist einen Richter. Ich nenne den einfach mal Moderator. Richter haben aber auch die Pflicht, erst einmal auf einen Vergleich hinzuarbeiten. Leider sind manche Leute erst vor Gericht bereit, sich anzunähern, viele aber auch schon vorher.
Sie arbeiteten ja lange als Rechtsanwalt. Wie kamen Sie dann ins Fernsehen? Beziehungsweise: Wie wird man TV-Anwalt?
Lenßen: Weiß ich nicht! Nein, im Ernst: Ich bin gefragt worden. Vor etwas mehr als 20 Jahren hatte ich eines Morgens ein Fax auf dem Tisch. Da stand drauf: „Haben Sie Lust auf Fernsehen? Dann melden Sie sich bei uns.“ Ich dachte, die wollen mich auf den Arm nehmen und habe das Fax erst einmal in den Papierkorb geworfen. Nach einem Telefonat mit meinem Bruder, bei dem ich von der „Ungeheuerlichkeit“ berichtete, die mir da widerfahren ist, habe ich es wieder herausgeholt.
Und dann?
Lenßen: Mein Bruder sagte: „Du bist ein alter Ignorant. Wie heißt die Firma?“ Ich sagte: Kirch Media Entertainment. Er antwortete: „Die Nachfolgefirma von Kirch.“ Er riet mir: „Ruf da mal an!“ Das habe ich gemacht. Dann gab es Gespräche, und irgendwann stand ich dann vor der Kamera.
Betreiben Sie noch eine eigene Kanzlei?
Lenßen: Ja, ja klar!
Lenßen: "Ich habe von dieser – wie soll ich sagen? – Fernsehprominenz beruflich gar nichts"
Bleibt da noch Platz für Gerichtstermine?
Lenßen: Natürlich, ich bin beispielsweise morgen früh noch vorm Amtsgericht und streite mich in einer Erbrechtsgeschichte. Morgen fliege ich nach Berlin und fange an zu drehen. Dann ruht die Kanzlei mehr oder weniger. Ich betreue sie zwar immer noch von unterwegs, aber wir haben das Büro so umgestrickt, dass ich selbst in den nächsten Monaten keine Gerichtsverfahren betreue.
Wie wirkt das Markenzeichen „TV-Anwalt“? Kommen dadurch eher mehr Mandanten?
Lenßen: Fakt ist: Wir nehmen hier in unserer Kanzlei am Bodensee nur Mandanten aus der Region. Damit erübrigt sich alles Weitere. Denn alle Mandatsanfragen, die wir aus Hamburg, Berlin oder Düsseldorf bekommen, denen sagen wir immer, sie müssten sich leider einen Anwalt vor Ort suchen. Das heißt: Ich habe von dieser – wie soll ich sagen? – Fernsehprominenz beruflich gar nichts.
Die erzählten Fälle sind „gescriptet“ – wie viel wird da an der Wahrheit gedreht?
Lenßen: Jetzt erklären Sie mir bitte, was gescriptet ist?
Na ja, das sind fiktive Geschichten, die auf wahren Begebenheiten beruhen.
Lenßen: Klar schreiben wir vom Leben ab. Aber ich glaube, wir sind gehalten, nicht an der Wahrheit oder dem Geschehensablauf zu drehen. Wenn, dann nur, weil wir natürlich nicht die Zeit haben, das in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Wir haben ja nur 25 Minuten pro Folge. Trotzdem versuchen wir, einen Lebenssachverhalt in kürzester Zeit mit einer Lösung darzustellen.
Ist das dann eine Art Lehrstück?
Lenßen: Ach nee. Ich würde das nicht überhöhen. Wir wollen unterhalten. Wenn man in diesem Rahmen etwas Nützliches mitnehmen kann, dann ist es natürlich gut. Aber im Wesentlichen geht es um Unterhaltung, auch wenn wir oft in unseren Fällen Anlaufstellen und Hilfsorganisationen nennen, an die sich Betroffene wenden können.
Lenßen über Gefängnisse: "Das Seelenheil findet man in diesen Anstalten nicht"
Glauben Sie, dass man durch Justizvollzugsanstalten Menschen tatsächlich bessert?
Lenßen: Nee, das glaube ich nicht. Aber es gibt immer noch keine wirklich gute Idee, wie man mit Straftätern und dem Sanktionsbedürfnis der Gesellschaft besser umgeht. Aber das Seelenheil findet man in diesen Anstalten nicht. Ich bringe zu diesem Thema übrigens am 13. April ein Buch heraus. Es heißt „Der Knast-Guide“.
Wie kommt man denn darauf?
Lenßen: Da gibt es eine ganz lustige Geschichte dazu. Mein junger Kollege und ich kamen etwa zeitgleich aus zwei Haftanstalten, wo wir Mandanten besuchten. Ich hatte die Geschichte über die neueste Mode, Drogen in den Knast zu schmuggeln.
Wie funktioniert das?
Lenßen: Briefe, die der Häftling bekommt, sind mit dem Flüssigwirkstoff von LSD beträufelt. Im Knast werden dann einzelne Papierschnitzel abgerissen und in die Zigarette gesteckt. So soll es zum Rauscherlebnis kommen. Mein Kollege erzählte mir eine ähnliche Geschichte. Und so beschlossen wir, ein Buch zu schreiben. Da stehen auch so Dinge drin, wie: Haben Häftlinge Taschengeld? Haben Häftlinge Anspruch auf eine Einzelzelle, auf Freizeit? Wo beantrage ich eine Besuchserlaubnis? Welche Kleidungstücke darf eine Frau mit in die Haftanstalt nehmen?
Nützliches Buch, kann man sagen.
Lenßen: Ja, wir finden schon. Aber das hängt natürlich auch davon ab, ob man es braucht oder sich dafür interessiert.
Zur Person: Ingo Lenßen, 1961 in Krefeld geboren, war erst im Format „RichterAlexander Hold“ zu sehen, später in „Lenßen& Partner“ – beide Sat.1. Nach weiteren Formaten läuft seit 2020 dort „Lenßenübernimmt“. 2004 wurde er zum „Bartträger des Jahres“ gewählt. Er engagierte sich bereits unter anderem für die Hilfsorganisation Weißer Ring.