Es mag Zufall sein, dass München just am selben Tag ein Diesel-Fahrverbot beschlossen hat, an dem die EU-Kommission neue Grenzwerte für die Luftqualität vorlegte. Die bayerische Landeshauptstadt sperrte sich lange gegen den Bann für ältere Diesel, obwohl die Luftqualität so schlecht war wie in kaum einer anderen deutschen Metropole und Gerichte ein Fahrverbot verfügt hatten.
Nun zieht München nach: In einer ersten Stufe wird ab Februar kommenden Jahres der Mittlere Ring Teil der Umweltzone. Bisher war er nur ihre äußere Grenze. Zudem fallen künftig auch Diesel mit der Abgasnorm Euro 4 unter das Verbot, selbst wenn sie eine grüne Plakette haben. Reicht der erste Schritt nicht aus, soll am 1. Oktober 2023 die nächste Stufe in Kraft treten. Dann müssten auch Diesel der Norm Euro 5 vor dem Mittleren Ring Halt machen.
Europa will die Stickstoffdioxid-Belastung um die Hälfte senken
Doch das Beispiel aus der bayerischen Landeshauptstadt könnte der Auftakt sein für eine neue Welle von Fahrverboten. Denn der EU-Vorschlag würde die Grenzwerte für die Luftqualität drastisch verschärfen, wenn er bindend würde. Die Kommission greift die Werte nicht sprichwörtlich aus der Luft, sondern orientiert sich an Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.
In Europa soll deshalb ab 2030 im Jahresmittel nur noch eine Stickstoffdioxid-Belastung von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erlaubt sein, derzeit sind es 40 Mikrogramm. Bei Feinstaub liegt die neue Obergrenze bei 10 Mikrogramm statt wie bisher bei 25 Mikrogramm. Die Luftverschmutzung ist nach einer Schätzung der Europäischen Umweltbehörde EEA die Ursache für 300.000 frühzeitige Todesfälle pro Jahr in den Staaten der EU. Ziel der Kommission ist, die Zahl der Todesfälle infolge der Schadstoffe um 75 Prozent zu senken. Allerdings sind die Schätzungen umstritten, weil sie auf statistischen Hochrechnungen beruhen und schlechte Luft ein gesundheitsschädlicher Faktor unter vielen ist.
Die in Europa gültigen Grenzwerte wurden in Deutschland lange Zeit ignoriert
Die CSU-Umweltpolitikerin Anja Weisgerber wirft Brüssel vor, weit über das Ziel hinauszuschießen. „Der neue Vorschlag der EU-Kommission ist vollkommen überzogen, unrealistisch und passt nicht in diese Zeit. Wenn das so kommt, dann drohen flächendeckend in Deutschland neue Fahrverbote“, sagte Weisgerber unserer Redaktion. Sie befürchtet, dass auch die Tage von Kamin und Kachelöfen gezählt sein könnten, zumindest bei Neubauten. „Das Heizen mit Holz wird durch die neuen Grenzwerte erneut infrage gestellt“, monierte die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Das Umweltbundesamt hatte sich in der Vergangenheit für ein Kaminverbot ausgesprochen, weil beim Verbrennen von Holz Feinstaub entsteht.
Die in Europa gültigen Grenzwerte wurden hierzulande lange Zeit ignoriert. Für ihre Durchsetzung sorgte die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die dutzende Städte verklagte und vor Gericht Fahrverbote und das Aufstellen von Luftreinhalteplänen erwirkte. Nun hofft sie durch die EU-Pläne auf weitere Konsequenzen, vor allem, was den Verkehr betrifft. „Nur durch eine konsequente Verkehrswende, Aussperrung aller Diesel-stinker und Halbierung der Zahl der Pkws in unseren Städten wird es möglich sein, die vorgeschlagenen Werte zu erreichen“, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. Er ruft Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) auf, sich für ein Vorziehen der Grenzwerte auf 2025 starkzumachen. Ihr Ministerium wollte kurz nach der Meldung aus Brüssel noch keinen Kommentar abgeben, erklärte aber: „Was die Kommission da vorhat, greift ja nicht morgen oder übermorgen.“ Offenbar habe Deutschland noch gut zehn Jahre, bis die neuen Regelungen greifen sollen. „Da kann noch eine ganze Menge passieren.“