Fast alltäglicher Anblick: ein Wildschwein in Rom. Auf der Suche nach Nahrung sind die Tiere bereits weit in die Stadt vorgedrungen.
Bild: Gregorio Borgia, AP/dpa
Fast alltäglicher Anblick: ein Wildschwein in Rom. Auf der Suche nach Nahrung sind die Tiere bereits weit in die Stadt vorgedrungen.
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Die Römer und Römerinnen haben schon viel erlebt. Gallier, Westgoten und Vandalen suchten die Stadt vor Jahrhunderten heim. Manche behaupten, inzwischen hätten die Touristen aus aller Welt die Rolle der Invasoren übernommen. Seit einiger Zeit bemächtigt sich gleichwohl ein neuer Eroberer-Typus immer vehementer der Ewigen Stadt: Sus scrofa, gemeinhin unter dem Namen Wildschwein bekannt.
Insgesamt 20.000 Wildschweine hätten sich in den vergangenen sieben Jahren auf den Straßen der Hauptstadt Italiens zusammengerottet, schätzt der Landwirtschaftsverband Coldiretti. Solche Massen kennen die Römer sonst eher vom Fußball, wenn die auswärtigen Tifosi zu Tausenden das Stadio Olimpico unsicher machen (womit diese natürlich nicht mit Schweinen verglichen sein sollen).
An die „Invasion der Wildschweine“, wie es die Zeitung Corriere della Sera nannte, hat man sich in Rom gewöhnt. Man zeigt sich zuweilen gar entzückt von den Wildschweinfamilien, die schwanzwedelnd Zebrastreifen überqueren, oder von weiblichen Tieren, die ihre Jungen auf dem Hauptstadtasphalt säugen. Weil aber vor Tagen bei einem Wildschweinkadaver in Rom die Schweinepest diagnostiziert wurde, herrscht jetzt Alarm.
Viren versetzen ja derzeit Menschenmassen schnell in Unruhe, nicht anders ist es bei der Virusinfektionskrankheit Schweinepest – die zwar für Tiere, allerdings für den Menschen nicht gefährlich sein soll. Nach Angaben von Coldiretti seien etwa 50.000 Hausschweine in der Region Latium mit ihrer bekanntesten Stadt Rom bedroht. Daher wurde ein Aktionsplan verabschiedet und eine Gefahrenzone eingerichtet, die vom nördlichen Autobahnring bis fast zum Vatikan reicht. Picknicken in Grünanlagen ist verboten; die Besucher von Parks im Norden Roms sind angehalten, sich die Schuhe anschließend zu desinfizieren. Das exklusive Areal der Vatikanischen Gärten ist davon ausgenommen. Wer weiß, vielleicht muss die Päpstliche Schweizergarde bald auf Wildschweinjagd gehen?
Doch im Ernst: 65 Quadratkilometer des Stadtgebiets sind „rote Zone“. Die Regionalverwaltung hat besondere Überwachung, die sofortige Analyse und Beseitigung von Wildschweinkadavern und ihre Entsorgung angekündigt – und eine Hotline eingerichtet. Römerinnen und Römer sollen mit Hinweisschildern informiert werden, dass das Füttern der Tiere verboten ist.
Man soll sich ihnen auch nicht annähern, wie es eine Frau namens Giorgia Fusella vor Tagen in der Villa Glori im Nobelviertel Parioli tat. Die 31-Jährige war mit ihren beiden Weimaraner-Hunden in der Dämmerung spazieren, als plötzlich ein großer Keiler Jagd auf Vesuvio, einen der Hunde, zu machen begann. Fusella nahm das Geschehen erst neugierig mit ihrem Smartphone auf, um wenig später in Panik die Flucht zu ergreifen. Denn das Wildschwein interessierte sich auf einmal auch für sie. Glücklicherweise nahm niemand Schaden.
Begegnungen wie diese sind beinahe Alltag, vor allem im nördlichen Rom. „Sie nehmen die Croissants, die in Bars übrig geblieben sind, sie bewegen sich lässig zwischen Joggern, denen ihre Anwesenheit völlig gleichgültig ist, und sie bevölkern die Stadtparks, die von Familien und Kindern besucht werden“, beschrieb der Corriere della Sera das Treiben der neuen Invasoren. Vergangenes Jahr wusste sich eine Frau nur noch zu helfen, indem sie ihre Einkaufstüte einer sie verfolgenden Wildschweinhorde überließ. Die Tiere stürzten sich genüsslich auf den Einkauf.
Im Netz zirkulieren dutzende Videos von mehr oder weniger brisanten Besuchen der Wildschweine in Rom. Hohe Aufmerksamkeit bekam kürzlich ein Clip, der zwei erschöpfte Muttersäue beim Säugen ihrer vier Jungtiere mitten auf dem Großstadtasphalt zeigt. Die Politik hat für derlei herzerweichende Bilder weniger Sinn.
Andrea Costa, Staatssekretär im Gesundheitsministerium, will „Kontroll- und Tötungspläne“ erstellen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass eine spezielle Jagdaktivität zur Schlachtung von Tieren wieder aufgenommen wird, und zwar nicht nur in den roten Gebieten, in denen die Seuche aufgetreten ist“, sagte er. Das Problem der „übermäßigen Präsenz von Wildschweinen in unserem Land“ müsse gelöst werden.