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Analyse: Abgeordnete in Tennessee ausgeschlossen: Rechte Säuberungen im amerikanischen Süden

Analyse

Abgeordnete in Tennessee ausgeschlossen: Rechte Säuberungen im amerikanischen Süden

Karl Doemens
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    Die demokratischen Abgeordneten Justin Pearson (v.l.), Justin Jones und Gloria Johnson halten ihre Hände hoch, als sie durch die Türen des Repräsentantenhauses in Tennessee gehen.
    Die demokratischen Abgeordneten Justin Pearson (v.l.), Justin Jones und Gloria Johnson halten ihre Hände hoch, als sie durch die Türen des Repräsentantenhauses in Tennessee gehen. Foto: Nicole Hester/The Tennessean/AP, dpa

    Die Bilder des jüngsten Schul-Massakers in Tennessee, bei dem drei Kinder und drei Erwachsene getötet wurden, waren noch frisch, als in der vergangenen Woche hunderte Schüler, Lehrer und Eltern zum Parlament des Bundesstaates zogen, um für schärfere Waffengesetze zu demonstrieren. 

    Drei Abgeordnete der Demokraten trugen den Protest in den Plenarsaal, drängten zum Rednerpult und ergriffen unaufgefordert lautstark das Wort. Nun sind zwei von ihnen aus dem Kongress ausgeschlossen worden. Dass frei gewählte Abgeordnete wegen eines bloßen Verstoßes gegen die Geschäftsordnung ihres Mandates beraubt werden, erscheint in einer Demokratie eigentlich unvorstellbar. Als sei der Vorgang nicht skandalös genug, setzt der republikanische Parlamentssprecher Cameron Sexton das Verhalten der drei Parlamentarier ernsthaft in eine Reihe mit dem Washingtoner Kapitolsturm vom Januar 2021 und nennt es "vergleichbar, wenn nicht schlimmer". 

    Man traut seinen Ohren nicht: Ein friedlicher Protest gegen die Untätigkeit der republikanischen Mehrheit angesichts der dramatischen Waffengewalt ist schwerwiegender als ein gewalttätiger Putschversuch gegen die Verfassung, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen und 150 Polizisten verletzt wurden? 

    Der Vorfall zeigt: Die Demokratie in den USA erodiert immer weiter

    Die irrwitzige, unerhörte Analogie macht deutlich, wie sehr sich viele Republikaner in den USA inzwischen vom rechtsstaatlichen Konsens entfernt haben und wieweit die Erosion der Demokratie in weiten Teilen Amerikas fortgeschritten ist. Der Ausschluss der Parlamentarier wurde möglich, weil die Republikaner im Repräsentantenhaus von Tennessee über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Ihren Kollegen warfen sie vor, die Ordnung des Kongresses gestört und ihn entehrt zu haben.

    Seit dem Bürgerkrieg hat es erst zwei solcher Rauswürfe gegeben

    Seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg hat es in dem Bundesstaat erst zwei solcher Rauswürfe gegeben – wegen Betrugs und sexuellem Missbrauch. Zum Vergleich: Als die rechten Horden den Kongress in Washington stürmten und einen Galgen für den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence errichteten, wurde die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, eine der Drahtzieherinnen des Putschversuches, zur Sühne nur ihres Ausschusssitzes enthoben. 

    Die Säuberungsaktion der Republikaner im amerikanischen Süden ist schockierend. Aber sie fügt sich in ein größeres Bild: In vielen Bundesstaaten, wo sie die nötigen Mehrheiten haben, nutzen die Republikaner ihre Macht derzeit zu einem gnadenlosen Kreuzzug: werden einseitig verzerrt, der Unterricht über Rasse und Geschlecht verboten, Bücher aus den Bibliotheken verbannt und Abtreibungsverbote zementiert. Die Vertreter des christlichen, weißen, ländlichen Amerikas versuchen, die diverse, liberale, urbane Gesellschaft regelrecht einzuschnüren.

    Tennessee State Troopers blockieren das Treppenhaus, das zu den Parlamentskammern führt.
    Tennessee State Troopers blockieren das Treppenhaus, das zu den Parlamentskammern führt. Foto: George Walker IV/AP, dpa

    Drei Parlamentarier protestieren – aber nur die beiden Schwarzen werden ausgeschlossen

    Die drei protestierenden Parlamentarier vertraten mit Nashville, Knoxvilleund Memphis die größten Städte des Bundesstaates. Dass die beiden beteiligten Schwarzen ihres Mandates enthoben wurden, nicht aber die weiße Kollegin, legt den Rassismus brutal offen. "Das ist ein gefährlicher Schritt", hat der ausgeschlossene Abgeordnete Justin Jones, der die Stadt Nashville im Landesparlament vertrat, gewarnt: "Wenn es hier passiert, kann es überall passieren!" Der erst 27-jährige Afroamerikaner hat recht: Es wird allerhöchste Zeit, jenseits aller Trump-Folklore die extrem beunruhigende Wandlung der Republikaner zu einer ultra-rechten Bewegung mit zunehmend intolerantem, autoritärem, wenn nicht faschistischem Gedankengut in den Blick zu nehmen. Die Verbannung frei gewählter Oppositionspolitiker aus dem Parlament ist in totalitären Staaten an der Tagesordnung. In Tennessee muss sie die Welt aufschrecken.

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