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Kommentar: Alarmismus als Politik-Ersatz? Weniger warnen, mehr machen!

Kommentar

Alarmismus als Politik-Ersatz? Weniger warnen, mehr machen!

Michael Stifter
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    CDU-Chef Merz warnt besonders gerne vor der Ampel-Regierung.
    CDU-Chef Merz warnt besonders gerne vor der Ampel-Regierung. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Nur, damit Sie nachher nicht sagen, man hätte Sie nicht gewarnt: In diesem Kommentar könnte es mehr um die Warnung vor Problemen gehen als um deren Lösung. Das mag auf den ersten Blick etwas unbefriedigend erscheinen, aber es spiegelt einen unseligen Trend in der deutschen Politik wider. Ständig warnt irgendwer irgendwo vor irgendetwas.

    Vor Corona, vor einer Pleitewelle, vor dem Blackout, der Inflation und dem Börsencrash, vor dem heraufziehenden Wutwinter und natürlich – ein ewiger Klassiker – vor dem Untergang des Abendlandes. Dieser dauernde Alarmismus lässt die einen abstumpfen und macht anderen Angst. Vor allem aber trägt er rein gar nichts dazu bei, all die Herausforderungen, vor denen wir ja zweifellos stehen, zu bewältigen.

    Warum neigen so viele Politiker zum Alarmismus?

    Warum also neigen trotzdem so viele Politikerinnen und Politiker, aber auch Experten (echte und selbst ernannte) oder Medien zu dieser neuen German Aufgeregtheit? Die Antwort ist ebenso simpel wie ernüchternd: Weil das völlig risikolos ist und doch zuverlässig große Aufmerksamkeit erzeugt. Es gilt die Faustregel: Wer am Anfang warnt, ist am Ende auf der sicheren Seite. Denn kommt es zum Äußersten, hat man es ja immer kommen sehen.

    Dem Gesundheitsminister wird jedenfalls keiner vorwerfen, er hätte nicht vor sämtlichen Restrisiken gewarnt, die Corona noch birgt. Und sollten im Winter tatsächlich mal die Lichter ausgehen, dann werden reihenweise Politiker von Union und FDP ihre Notstromaggregate anwerfen, nur um schnell per Twitter in die Welt hinauszuposaunen, dass sie es ja damals schon gewusst haben.

    Bleibt die große Katastrophe allen Warnungen zum Trotz aus, ist das für den notorischen Mahner und Warner auch kein Schaden. Dann kann er immer noch für sich in Anspruch nehmen, dass es vor allem die eigenen frühzeitigen Warnungen gewesen seien, die Schlimmeres verhindert haben. Ziemlich bequem, diese Art von Politik, aber halt auch ein bisschen dürftig.

    Dabei bräuchte unser Land in dieser unübersichtlichen Zeit so dringend Politiker, die etwas wagen, die etwas tun, weil sie es für richtig halten und nicht, weil sie sich möglichst wenig angreifbar machen oder die Konkurrenz schlecht dastehen lassen wollen.

    Das gilt im Übrigen auch für die Opposition, die angesichts des indiskutablen Erscheinungsbildes am rechten und linken Rand im Bundestag faktisch derzeit nur aus CDU und CSU besteht. Deren Spitzenleute wären überzeugender, wenn sie sich nicht damit begnügen würden, der Koalition täglich Unfähigkeit oder Tatenlosigkeit zu attestieren. Oder beides. Weniger Warnungen und Schuldzuweisungen, mehr Ideen – das wäre ein guter Anfang. Und wirkt zudem auf die meisten Wähler attraktiver.

    Nicht jede düstere Warnung verdient volle Aufmerksamkeit

    Zur Wahrheit gehört übrigens auch: Wir Journalistinnen und Journalisten sollten öfter mal der Versuchung widerstehen, mit Alarmismus und Warneritis Schlagzeilen zu produzieren. Nicht jede halbseidene Warnung, nicht jede düstere Prophezeiung verdient volle Aufmerksamkeit.

    Selbstverständlich dürfen politische und wirtschaftliche Missstände, Fehlentscheidungen und heraufziehende Gefahren nicht kleingeredet werden. Tatsächlich hat der russische Angriff auf die Ukraine ja viele vermeintliche Gewissheiten pulverisiert, auch in Deutschland. Wer die Sorgen der Menschen aber vor allem nutzt, um sich selbst zu profilieren, betreibt das Geschäft von populistischen Stimmungsmachern. Und davor kann man wirklich nur warnen.

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