Im Kampf gegen die explodierenden Energiepreise jongliert die Koalition mit immer größeren Summen. „Ich gehe am Ende von einem dreistelligen Milliardenbetrag aus“, betonte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Mittwoch. Dennoch sei sie zuversichtlich, dass die für die geplante Deckelung der Gaspreise nötigen Mittel auch zur Verfügung gestellt würden. Das sei ein „originärer Job des Bundesfinanzministers“.
Trotz der Laufzeitverlängerung für zwei Atomkraftwerke bleibt die Lage auf dem Energiemarkt angespannt. Städte und Gemeinden fordern daher weitere Finanzspritzen und riefen die Koalition dazu auf, die geplanten Hilfen massiv aufzustocken. Die prognostizierte Verdoppelung bis Verdreifachung der Energiepreise werde zu massiven Problemen bei Schulen, Pflegeheimen, Krankenhäusern, Kindergärten und anderen Einrichtungen führen. Die inzwischen auch in der Koalition äußerst umstrittene Gasumlage würde die Belastung noch erhöhen. Der CDU-Energieexperte Andreas Jung forderte Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb dazu auf, „die Reißleine zu ziehen“. Derzeit ist völlig offen, ob die Umlage am Samstag tatsächlich in Kraft tritt.
Deutschland möglicherweise vor dritter Wende in Atompolitik binnen 25 Jahren
Auch die Bundesländer fordern einen Energiepreisdeckel für Strom, Gas und Wärme. Das kündigte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwochabend nach einer Sonderkonferenz der Ministerpräsidenten zum geplanten Entlastungspaket III in Berlin an. Die Bundesregierung müsse sich zügig auf ein Modell einigen.
Indes steht Deutschland möglicherweise vor der dritten Wende seiner Atompolitik binnen 25 Jahren. Der kleinen Laufzeitverlängerung für die Reaktoren in Ohu bei Landshut und im baden-württembergischen Neckarwestheim soll nach Ansicht von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger eine längere folgen. Der Winter 2023/24 könne schwieriger werden als der kommende, warnte er – und fügte hinzu: „Deshalb: Einsatzfähigkeit möglichst aller sechs AKW für 2023/24 vorbereiten, Brennstäbe jetzt bestellen, da zwölf Monate Lieferzeit.“
Für die Grünen ist es eine gefährliche Diskussion
Aiwanger bezieht in seine Rechnung die erst vor kurzem abgestellten Meiler mit ein, dazu zählt auch Gundremmingen im Landkreis Günzburg. Umweltministerin Steffi Lemke dagegen betonte: „Eine Laufzeitverlängerung über den kommenden Winter hinaus und die dafür erforderliche Neubeschaffung von Brennelementen schließe ich aus.“ Für die Grünen ist es eine gefährliche Diskussion, sie rührt am Gründungsmythos der Partei, den Kampf gegen die Nuklearenergie. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte lange versucht, den Weiterbetrieb der Meiler nach dem Jahreswechsel zu verhindern, schaffte es aber immerhin, seinen wahlkämpfenden Parteifreunden aus Niedersachsen die Abschaltung des Kraftwerks Emsland im Norden zu sichern.
Das Problem der Grünen ist, dass die FDP offen für die Atomwende eintritt und sich die SPD alles offen hält. „Isar 2 und Neckarwestheim am Netz zu lassen, ist ein richtiger Schritt. Jetzt brauchen wir aber auch eine echte Laufzeitverlängerung, denn jede Kilowattstunde zählt“, verlangte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Bereits beschlossen hat die Regierung, dass eingemottete Kohlekraftwerke bis Frühjahr 2024 wieder angeworfen werden können. Zwar sind die Energiepreise zuletzt etwas gefallen, ihr Niveau übersteigt aber das der Vorkriegszeit noch immer um das Mehrfache. Haushalte mit kleinem Einkommen geben nach einer Schätzung des Potsdamer Instituts für Klimaforschung mittlerweile rund ein Viertel ihres verfügbaren Geldes für Nebenkosten aus.