Als die Nachricht verkündet wurde, rissen sich einige Passagiere hoch über den Wolken freudig die Masken vom Gesicht. Kurz darauf wimmelte es in den Onlinemedien von Filmchen mit jubelnden Reisenden. Doch nicht alle Amerikaner sind begeistert. Seit eine Bundesrichterin in Florida am späten Montag völlig überraschend die landesweite Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln gekippt hat, herrscht in den USA vielerorts Chaos, und die Biden-Regierung steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Corona-Politik.
Wer beispielsweise derzeit von New York nach San Francisco reist, durchlebt ein absurdes Wechselbad widersprüchlicher Regulierungen: In der Flughafenhalle des LaGuardia-Airports muss er einen Mund-Nasen-Schutz tragen, den er ablegen darf, sobald er das Flugzeug betritt. Wenn er in San Francisco die U-Bahn besteigt, muss er die Maske wieder anlegen. Startet seine Reise hingegen in Newark auf der anderen Seite von Manhattan, braucht er bis zur Ankunft keine Maske – in New Jersey wurde die Schutzvorschrift aufgehoben.
Trotz steigender Infektionszahlen in den USA: Maskenpflicht in Verkehrsmitteln aufgehoben
Das Urteil der von Ex-Präsident Donald Trump ernannten Bundesrichterin Kathryn Kimball Mizell, in dem sie der Biden-Regierung eine Kompetenzüberschreitung attestiert, hat das Weiße Haus offenkundig völlig unvorbereitet getroffen. Gerade erst hatte die Gesundheitsbehörde CDC wegen der derzeit steigenden Infektionszahlen die Maskenpflicht in Verkehrsmitteln bis zum 3. Mai verlängert. Nun bleibt Präsidentensprecherin Jen Psaki nichts anderes, als zu grummeln, dass Entscheidungen zur öffentlichen Gesundheit „nicht von Gerichten, sondern von Experten“ gefällt werden sollten.
Tatsächlich sind viele Experten entsetzt. „Das ist extrem kurzsichtig und – um es unfreundlich zu sagen – dumm“, sagte Kinderärztin Lakshmi Ganapathi von der renommierten Harvard-Universität der New York Times: „Dieses Urteil kommt zur Unzeit, und es ist unvereinbar mit den Prinzipien der öffentlichen Gesundheitsvorsorge.“ Worauf sich die Ärztin bezieht: Nach einer Atempause im Februar und März steigen die Covid-Infektionszahlen vor allem an der Ostküste der USA gerade wieder stark an. In der Hauptstadt Washington haben sich die Fälle innerhalb einer Woche verdreifacht. Mehrere Minister und auch der Bürgermeister von New York, Eric Adams, wurden vor Ostern positiv getestet.
Doch längst ist der Kampf um die Maske zu einem Symbolthema des rechten Kulturkampfes geworden. Schon vor dem Urteil aus Florida hatte der Senat mit 57 zu 40 Stimmen für eine Abschaffung der Vorschrift gestimmt. Unter dem Druck einer massiven Kampagne stimmten auch mehrere Demokraten, die im Herbst um ihre Wiederwahl fürchten, gegen die Politik der Biden-Regierung. Zwar plädieren in einer aktuellen Umfrage der Nachrichtenagentur AP erstaunliche 56 Prozent der Amerikaner für das Maskentragen in Flugzeugen. Doch die Lufthoheit in der öffentlichen Debatte hat diese Mehrheit verloren.
Ein paar Städte in den USA halten weiterhin an Maskenpflicht fest
Das Gerichtsurteil hat zudem eine regelrechte Kettenreaktion ausgelöst. So kippten kurz darauf die Flughafenkontrollbehörde TSA, die großen Fluggesellschaften, viele regionale Verkehrsorganisationen sowie die Fahrtenvermittler Uber und Lyft ihre bisher geltenden Schutzvorschriften. Noch halten New York und Philadelphia an der lokalen Maskenpflicht für ihre Flughäfen und U-Bahnen fest. Aber selbst die Hauptstadt Washington, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung für die Demokraten stimmen, kippte nach 700 Tagen sang- und klanglos die Maskenpflicht in der Metro.
Die Biden-Regierung befindet sich nun in einer fatalen Zwickmühle. Zwar kann sie das Urteil anfechten. Doch dürfte die Eingabe vor einem mehrheitlich konservativen Berufungsgericht landen. Sollte sie aber auch in der nächsten Instanz unterliegen, wäre ihr das wichtigste Instrument aus der Hand geschlagen, um etwa im Falle einer Killer-Variante des Virus reagieren zu können. „Sie könnte sich in eine Situation manövrieren, in der sie Masken selbst dann nicht mehr vorschreiben kann, wenn sie dringend erforderlich sind“, warnt Andy Slavitt, ein ehemaliger Covid-Berater der Biden-Regierung.