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USA: Rettet ausgerechnet Joe Biden die liberale Demokratie?

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Rettet ausgerechnet Joe Biden die liberale Demokratie?

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    Seine Umfragewerte sind eher schwach - und doch hat US-Präsident Joe Biden für einen Stimmungsumschwung in Amerika gesorgt.
    Seine Umfragewerte sind eher schwach - und doch hat US-Präsident Joe Biden für einen Stimmungsumschwung in Amerika gesorgt. Foto: Alex Brandon, dpa

    Memes haben in den USA Hochkonjunktur. Das sind kreative, witzige, oft sarkastische Collagen, die im Internet kursieren. Da stechen Joe Bidens Augen wie Laserstrahlen aus dem dunklen Gesicht unter dem schneeweißen Haar hervor. Eine andere Collage lässt den Präsidenten mit dunkler Klappe über dem linken Auge verwegen wie ein Pirat aussehen. Aus dem Sommer stammt eine zweigeteilte Montage, auf der in der oberen Hälfte Donald Trump wie ein Sonnengott posiert und in der unteren eine unheimliche Gestalt im Halbdunkel höhnisch grinst: "Bekommt Covid und kann nicht atmen“ steht im Trump-Teil, während es unten heißt: „Bekommt Covid und tötet den El-Kaida-Führer“. Nach dem erfolgreichen Schlag der USA gegen Terroristenführer Ayman al-Zawahiri eroberte "Dark Brandon" als Meme die Netzwerke.

    Joe Biden ein Internetstar?

    Und die andere Seite fühlte sich provoziert. Der rechte Influencer Ben Shapiro beklagte sich auf Twitter, dass „die Linken“ damit ein Meme der Trump-Fans zerstört hätten. Die Rede ist von dem Spruch „Let’s Go Brandon“, der überall im Internet, auf Pick-up-Trucks und sogar als Schlachtruf eines Republikaner-Abgeordneten im Repräsentantenhaus auftauchte, und mit dem ein Schmähruf auf Biden konterkariert wurde. Zwischen „Dark Brandon“ und „Let’s Go Brandon“ verging knapp ein Jahr. Politisch erwies sich als halbe Ewigkeit, wie sich der greisenhafte „Onkel Joe“ in der Netzwelt in einen coolen Superhelden verwandelte. 

    US-Präsident Joe Biden schüttelt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei ihrem Treffen vor dem G20-Gipfel die Hand.
    US-Präsident Joe Biden schüttelt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei ihrem Treffen vor dem G20-Gipfel die Hand. Foto: Alex Brandon, dpa

    Eine Lichtgestalt, die Terroristenführer tötet, dem Autokraten Wladimir Putin im Kreml nach dessen Überfall auf die Ukraine die Stirn bietet, Chinas starken Mann Xi Jinping herausfordert und sich zu Hause in den USA von einem Erfolg zum nächsten hangelt: die überparteiliche Rekord-Investition in die Modernisierung von Verkehrs-, Energie- und Datennetzen, die größte Investition der Geschichte einer US-Regierung in den Klimaschutz, der Erlass von Ausbildungsschulden und die massive Förderung der einheimischen Halbleitertechnik.

    "Dark Brandon" erwischte seine Gegner auf dem falschen Fuß

    Wie „Dark Brandon“ im Netz, erwischte der gerade 80 Jahre alt gewordene Joe Biden seine Gegner auf dem falschen Fuß. Die bissen sich an einem Präsidenten die Zähne aus, der sich als so widerstandsfähig und agil bewies, wie die eben noch im Untergang gewähnte Demokratie in Amerika. Biden persönlich führte 2022 die Gegenoffensive der liberalen Demokratie daheim und in der Welt an. Am Ende des Jahres gilt es, eine bemerkenswerte Bilanz festzuhalten. Während in Russland, China und Iran Menschen gegen die Unterdrückung ihrer Regime auf die Straße gehen, belohnten die Amerikaner Biden bei den „Midterms“ mit dem besten Ergebnis für eine Partei des Präsidenten seit 88 Jahren.

    Historiker Michael Beschloss hebt hervor, dass nur zwei andere Präsidenten – John F. Kennedy nach der Raketenkrise in Kuba und George W. Bush nach dem 11. September – keinen Sitz im Senat und weniger als zehn im Repräsentantenhaus verloren hatten. Die Gründe dafür sind komplex, lassen sich aber auch an einem Ereignis festmachen: dem Sturm aufs Kapitol durch Trump und dessen MAGA-Bewegung ("Make-America-Great-Again") am 6. Januar 2021.

    Trumps Kandidaten fielen reihenweise durch

    Abzulesen ist das am Scheitern von Kandidatinnen und Kandidaten, die sich Trumps „große Lüge“ von den angeblich „gestohlenen Wahlen“ auf die Fahne geschrieben haben. USA-weit waren das mehr als 225 Bewerber, die für Kongressmandate, Gouverneursposten und eine Fülle lokaler Wahlämter angetreten waren. „Praktisch jeder einzelne von ihnen wurde geschlagen“, spitzt Kolumnist Tom Friedmann in der New York Times zu. Selbst wenn es nur „die meisten“ waren, trifft seine Analyse ins Schwarze. Die Midterms waren „der wichtigste Test seit dem Bürgerkrieg“. Die Fähigkeit zur friedlichen Machtübergabe habe sich als intakt erwiesen.

    Seinen Anteil daran hat Biden, der das Thema „Verteidigung der Demokratie“ im Wahlkampf mit einer Grundsatzrede zum Auftakt und einer zum Abschluss eingerahmt hatte. „Unsere Demokratie ist in den zurückliegenden Jahren getestet worden“, dimensionierte der Präsident den unerwarteten Ausgang der Midterms. „Aber das amerikanische Volk hat gesprochen und einmal mehr bewiesen, dass wir eine Demokratie sind.“ Wenngleich Shibley Telhami von der Denkfabrik „Brookings Institution“ auf die Diskrepanz zwischen den insgesamt schwachen Umfragewerten Bidens um die 40-Prozent-Marke und den historischen Zwischenwahl-Erfolg der Demokraten hinweist. Dennoch kommt auch sie zu dem Fazit, dass das Ergebnis eine "Zurückweisung Trumps und vieler seiner handverlesenen Kandidaten“ bedeute. Ein Richtungsentscheid also, der sich als Triumph der Demokratie verstehen lässt.

    Donald Trump sieht zum Jahresende immer mehr wie ein Verlierer aus

    So interpretieren einige Analysten auch das neben der Wirtschaft wichtigste Thema, das die Wähler bewegt hat: Den legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, die der von niemandem gewählte „Supreme Court“ im Sommer mit seinem Abtreibungsurteil infrage gestellt hatte. Harvard-Politologe und Co-Autor des Bestsellers „How Democracies Die“, Daniel Ziblatt, bleibt besorgt über die Selbstradikalisierung der Republikaner, die Infragestellung von Wahlergebnissen oder die fehlende Distanzierung von Gewalt in der Politik: „Der Aufstand vom 6. Januar war ein Musterbeispiel dafür“. 

    Ex-US-Präsident Donald Trump sieht mehr und mehr wie ein Verlierer aus.
    Ex-US-Präsident Donald Trump sieht mehr und mehr wie ein Verlierer aus. Foto: Andrew Harnik/AP, dpa

    Doch Trump selbst sieht zum Ende dieses Jahres immer mehr wie ein Verlierer aus, der den Zenit überschritten hat. Seine Rolle bei dem gescheiterten Angriff auf die amerikanische Demokratie, sein Umgang mit top geheimen Dokumenten und sein Geschäftsgebaren haben den Ex-Präsidenten in rechtliche Nöte und die politische Defensive gebracht. Sollte Trump erneut als Bannerträger der Republikaner aufgestellt werden, droht ihn „Dark Brandon“ abermals zu schlagen. Der Amtsinhaber wird die Amerikaner wie in zurückliegenden Jahr daran erinnern, worum es geht: „Gleichheit und Demokratie stehen unter Beschuss, und wir tun uns keinen Gefallen, uns etwas anderes einzureden.“ 

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