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Top-Virologe: Deutscher Corona-Lockdown war womöglich nicht nötig

Kritik auch an Maskenpflicht

Top-Virologe: Deutscher Corona-Lockdown war womöglich nicht nötig

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    Der Corona-Forscher Hendrik Streeck hat den deutschen Lockdown mit seinen gravierenden Folgen kritisiert.
    Der Corona-Forscher Hendrik Streeck hat den deutschen Lockdown mit seinen gravierenden Folgen kritisiert. Foto: Federico Gambarini/dpa

    Nach dem Verbot von Großveranstaltungen seien die Infektionszahlen bereits gesunken. "Die weiteren Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen hätte ich dann vom tatsächlichen Verlauf abhängig gemacht, auch um zu sehen, wie die einzelnen Beschränkungen wirken und ob zusätzliche Schritte wirklich nötig sind", sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Stattdessen sei Deutschland "zu schnell in den Lockdown gegangen", weil neben der Sorge um die Kapazität der Krankenhäuser "ein gewisser Druck in der Öffentlichkeit" bestand.

    Zu harte Maßnahmen?

    Komme es entgegen seiner Erwartung wieder zu einem großen Ausbruch, "wird man sich sicherlich hüten, wieder derart starke Maßnahmen zu ergreifen", sagte Streeck. Anfangs seien sich fast alle Virologen mehr oder weniger einig gewesen, dass Covid-19 "nicht bagatellisiert werden sollte, aber auch nicht dramatisiert werden darf". Mit den Bildern aus Bergamo und den USA und spezifischen medizinischen Erkenntnissen habe sich die Ansicht geändert. "Derzeit allerdings nähern wir uns wieder der Einschätzung aus der Anfangszeit an", sagte der Professor. Der Grund der sinkenden Risikobewertung sei die enorme Anzahl von Infektionen, die folgenlos blieben.

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    "Ich glaube auch weiterhin nicht, dass wir am Ende des Jahres in Deutschland mehr Todesfälle als in anderen Jahren gehabt haben werden", sagte der Mediziner und wies auf das Durchschnittsalter der Pandemietoten von 81 hin, das eher "oberhalb der durchschnittlichen Lebenserwartung" liege. Mancher, den Covid-19 in Deutschland verschone, sterbe stattdessen "an einem anderen Virus oder Bakterium".

    Abflachen der Welle auch in den USA

    Mit Blick auf die verschiedenen Positionen zur Pandemie in Wissenschaft und Politik sagte Streeck, "nur warnen und mahnen kann man ja sehr leicht. Im Zweifel ist man als Mahner gesellschaftlich besser aufgehoben." Er plädiere allerdings für einen realistischen Blick.

    "Nicht anders als im Rest der Welt" erwartete Streeck auch in den USA ein Abflachen der Welle. "So schnell hoch ging es dort ja unter anderem deshalb, weil Amerikaner mit Husten und Schnupfen weiter arbeiten gehen. Es gibt dort nicht diese Form der Krankmeldung wie in Deutschland", sagte Streeck, der neun Jahre lang in den USA geforscht hat. In der Folge sei es zu wesentlich mehr Ansteckungen als in Deutschland gekommen.

    Corona-Forscher Streeck sieht App, Masken und Massentests kritisch

    Der Bonner Virologe zieht außerdem den Nutzen der von der Bundesregierung angekündigten Corona-App in Zweifel. Sie käme "bisschen spät", sagte er in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung", "zumal man nicht weiß, ob sie überhaupt etwas dazu beitragen kann, in Deutschland eine Pandemie zu kontrollieren".

    Auch den Nutzen der zahlreichen Corona-Tests stellte der Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn angesichts der hohen Kosten infrage. "Je nach Labor kommen im besten Fall 59 Euro pro Test auf das Gesundheitssystem zu - bei 400.000 Stück pro Woche bedeutet es eine Stange Geld. Wenn dann noch systematisch gescreened werden soll, wird es noch mehr. Wenn wir nur 1 positives Ergebnis auf 100 Tests sehen, fragt sich ja, ob das noch lohnt."

    Maskenpflicht sinnvoll?

    Streeck regte auch eine Diskussion über die Maskenpflicht an. "Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdigerweise keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze."

    Mit Blick auf Schulen und Kitas erklärte der Professor, "Kinder sind nicht die großen Virenschleudern". Virologisch sei zur Frage der Öffnung alles gesagt. "Die Entscheidung muss nun politisch getroffen werden. Lehrer jedenfalls haben kein höheres Infektionsrisiko als andere Berufsgruppen, die in vergleichbarer Weise mit Menschen arbeiten."

    Corona-Immunität von etwa zwei Jahren

    Nach einer überstandenen Covid-19-Infektion geht der Virologe Hendrik Streeck von einer Immunität von bis zu zwei Jahren aus. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er, diesen Schluss legten Literaturauswertungen zu Coronaviren am Institut für Virologie der Universität Bonn nahe, das er leitet. Auch verschiedene Studien deuteten in diese Richtung. Gesichert erscheine eine Immunität "zumindest über die Zeit, die wir das Virus schon kennen". Danach werde man sich wohl wieder mit dem Virus anstecken können. "Allerdings wäre zu erwarten, dass der Verlauf dann milder ist", sagte der Professor.

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