Angst frisst Hoffnung und damit Wachstum auf. Insofern bemüht sich Kanzler Olaf Scholz, die Sorgen der Menschen vor dem Winter nicht auch noch durch martialische Krisen-Rhetorik zu verstärken. Sein Mantra zur psychischen Stabilisierung der Bevölkerung lautet: „Wir kommen da durch. Wir werden uns als Land unterhaken.“ Doch das Gemeinschaftsgefühl, das in der Corona-Zeit zunächst intakt war, dann aber erheblich bröckelte, könnte einem Dauerbelastungstest unterzogen werden.
Wie unsere Volkswirtschaft den kalten Entzug des einst günstigen russischen Gases übersteht, ist offen. Sollten sich düstere Prophezeiungen etwa des finnischen Wirtschaftsministers Mika Lintilä erfüllen, steuert Europa auf eine seiner schwersten Prüfungen zu. Denn der Politiker warnt, „dass die Gas-Krise alle Voraussetzungen hat, um zum Lehman Brothers der Energie-Krise zu werden“. Der Kollaps der US-Investmentbank war einer der Auslöser einer globalen Finanzmarktkrise, die auch Deutschland hart getroffen hat.
Die wirtschaftlichen Prognosen werden immer düsterer
Auch heute werden die wirtschaftlichen Prognosen immer düsterer. Rechneten Fachleute wie die des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, was Deutschland betrifft, lange noch mit einem kräftigen Aufschwung für 2023, gehen sie jetzt von einer Rezession aus. Deswegen müssen sich auch die Tarifparteien unterhaken und gerade in der zentralen Metallindustrie einen kühlen Kopf der Vernunft bewahren, statt mit Karacho auf einen heißen Herbst der Konfrontation zuzusteuern. Das sollten die Verantwortlichen der IG Metall und der Arbeitgeber hinbekommen, haben sie doch sowohl in der Finanzmarktkrise als auch in der Corona-Zeit bewiesen, dass sie gemeinsam einen Weg der Mitte und des Maßes gehen können.
Die Tarifpartner stehen vor einem harten Test ihrer Krisen-Kompetenz: Damit niemand allein gelassen wird, wie Scholz das anstrebt, müssen sie einen Lohnabschluss für 2023 oder sogar noch darüber hinaus aushandeln, obwohl lange nicht mehr so unklar war, wie es wirtschaftlich weitergeht. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und sein Gegenpart, Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf, stehen im Nebel, wissen nicht, wann sich der dichte Dunst verzieht, sollen aber verlässlich voraussagen, ob die Wirtschaft 2023 ausreichend Energie hat oder Firmen reihenweise kollabieren.
Der Tarif-Abschluss muss solidarisch sein
Da hilft nur eins: Gewerkschaften wie Arbeitgeber müssen sich an der Hand nehmen, alles laute Getöse lassen und einen solidarischen Abschluss finden. Solidarisch heißt, dass die Unternehmer einer auch spürbaren prozentualen Lohnerhöhung zustimmen, die zumindest die hohe Inflation von derzeit knapp acht Prozent etwas ausgleicht. Die Gewerkschaften sollten aber akzeptieren, dass ein Teil der dann maßvoll steigenden Gehälter über eine Einmal-Zahlung erfolgt, also nicht dauerhaft in die Lohnkosten eingeht. Am Ende kommt es darauf an, dass der Tarifvertrag wie schon in früheren Fällen atmen kann, es also weitere Bausteine gibt, die Firmen in Not Öffnungsklauseln bieten, sie also nicht über Gebühr belasten.
Auch wenn die Erwartungshaltung bei den Beschäftigten groß ist, können die Tarifparteien und der Staat sie nur zum Teil vor den Folgen der Energiepreis-Explosion schützen. Da hilft alles milliardenschwere Berliner Unterhaken nicht. Die Zeit des „Immer mehr“ ist für viele Menschen erst einmal vorbei. Wir müssen mit weniger auskommen, wenn wir vor Putin nicht zu Kreuze kriechen wollen. Das sollte es uns wert sein.