Wer an Erkältungsbeschwerden leidet, konnte sich bis Ende Mai telefonisch oder per Videosprechstunde für bis zu sieben Tage krankschreiben lassen. Diese Sonderregelung wurde im Oktober 2020 eingeführt, um Arztpraxen und Patienten in der Corona-Pandemie zu entlasten. Nun diskutieren Ärzte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch im Allgäu darüber, ob es diese Möglichkeit dauerhaft geben sollte.
Telefonische Krankschreibung: „Die positiven Effekte liegen auf der Hand.“
Ein „Ja“ kommt von Dr. Philipp Becker aus Kempten, Bezirksdelegierter im Bayerischen Hausärzteverband: „Die positiven Effekte liegen auf der Hand.“ So erleichtere die telefonische Krankschreibung die Abläufe für Ärzte und Patienten. Gerade für „oft überlastete Hausarztpraxen“ wäre dies auch künftig hilfreich, um mehr Zeit für Menschen mit schwereren Erkrankungen als einem Erkältungsinfekt zu behandeln.
Andererseits warnt Becker davor, dass Call-Center entstehen könnten, die im großen Stil nur noch telefonische Krankschreibungen ausstellen. „Die Regelung macht nur Sinn, wenn sie an die Hausärzte gekoppelt ist. Sie kennen ihre Patienten am besten.“ Im Zweifelsfall könnten sie den Erkrankten jederzeit zu einer Diagnose einbestellen.

Dr. Alexander Scharmann, Sprecher des Hausarztvereins Oberallgäu, wünscht sich, „wie viele Kollegen“, eine Reform der aktuellen Praxis: „Die Haftung für unbegründete oder missbräuchliche Krankmeldungen sollte ausschließlich beim Versicherten liegen“, betont er. Bevor über telefonische Krankmeldungen diskutiert wird, „müssen die juristischen Voraussetzungen eindeutig geklärt und verändert werden“. Ein Beispiel macht dies deutlich. Vor einigen Jahren – also vor der Pandemie – habe ein Kollege eine Krankmeldung in Form einer so genannten Krankengeldbescheinigung verlängert. „Dies war aufgrund der Diagnose und der laufenden Therapie absolut gerechtfertigt und korrekt.“
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)Die Bescheinigung wurde von der Tochter der Patientin zur Unterschrift des Arztes in die Praxis gebracht. Was der Mediziner nicht wissen konnte: Die Patientin selbst war zu dieser Zeit im Ausland. Wegen der Beschwerden ging sie dort in ein Krankenhaus und wurde behandelt. Das erfuhr die Krankenkasse. Der Arzt hätte sie persönlich sehen müssen, um das Krankengeld zu verlängern. Und die Patientin hätte Deutschland während des Krankengeldbezugs nicht verlassen dürfen. Der Arzt hätte beinahe seine Berufserlaubnis verloren, musste einige Tausend Euro Strafe zahlen. „Wir Ärzte sind offen für jede Form der Vereinfachung durch Videosprechstunden und telefonische Beratungen. Wir brauchen aber Rechtssicherheit“, sagt Scharmann.
Allgäuer Handwerkspräsident fordert: „Zurück in den alten Modus“
Dass die telefonische Krankmeldung in der Pandemie positiv wirkte, steht für Hans-Peter Rauch, Präsident der schwäbischen Handwerkskammer aus Waltenhofen, außer Frage. Künftig sei es jedoch notwendig, wieder „in den alten Modus zurückzukehren“. Denn: „Es wird leider immer schwarze Schafe geben, die eine telefonische Krankschreibung missbrauchen.“ Verdachtsfälle seien ihm in den vergangenen Wochen beispielsweise aus den Berufsschulen gemeldet worden. „Da gab es vermehrt kurzfristige und zweifelhafte Absagen zum Beispiel für Lehrgänge.“ Auch zum Wohl des Patienten sei es besser, wenn ein Arzt „wirklich draufschaut“.
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Gewerkschafter: "Hoffe, die Regelung wird verlängert"
Für eine Verlängerung der telefonischen Krankschreibung plädiert dagegen Gewerkschafter Ludwin Debong, Vorsitzender des DGB-Kreisvorstandes Allgäu: „Ich hoffe, dass die Politik die Regelung verlängert. Sie ist eine Erleichterung für alle Seiten und hat sich voll bewährt.“ Missbrauch könne zwar nie ausgeschlossen werden, doch die große Mehrheit der Arbeitnehmer habe gezeigt, dass sie vertrauensvoll mit dem Thema umgehe: „Sie sollte nicht bestraft werden.“
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