Es sind atemberaubende Klettertouren. Klaus Störkle genießt sie in vollen Zügen. Sie gipfeln in Ausblicken, um die den 52-Jährigen selbst versierte Alpinisten beneiden dürften. Auf bis zu 60 Meter hohe Strommasten im Allgäu steigt der gebürtige Schwabe in diesen Tagen. „Die Aussicht auf die Allgäuer Landschaft und vor allem die Berge ist überragend“, schwärmt Störkle. Zeit zu verweilen hat er an seinem ungewöhnlichen Arbeitsplatz freilich nicht.
Der Baukontrolleur des Netzbetreibers Amprion aus Dortmund trägt seinen Teil zu einer historischen Stromnetz-Sanierung in unserer Region bei. 95 Masten sowie deren Leitseile zwischen Kempten-Leupolz und Füssen sollen bis 2025 modernisiert werden. Die Kosten für den Umbau der knapp 50 Jahre alten Anlagen in diesem Bereich beziffert das Unternehmen mit 80 Millionen Euro. Insgesamt steckt Amprion bundesweit in den kommenden zehn Jahren 24 Milliarden Euro in den Um- und Ausbau des Energiesystems.
Spezialisierte Kletterer im Einsatz: Eis, Wind und Schnee fordern die Leitungen
Durch die Sanierung im Allgäu soll die im Herbst und Winter ohnehin von starkem Wind, Eis und Schnee heimgesuchte Trasse fit gemacht werden für weitere Herausforderungen des Klimawandels. Beteiligt daran sind sechs Leitungsbaufirmen als Sub-Unternehmen mit Trupps von jeweils etwa vier spezialisierten Kletterern aus dem In- und Ausland.
Arbeiter in 50 bis 60 Metern Höhe: Vielen Autofahrern fällt der ungewöhnliche „Mast-Betrieb“ derzeit ins Auge. Entlang der A7 ziehen sich Teile des Höchstspannungsnetzes im Allgäu. Wie Autobahnen müsse man sich auch das Amprion-Netz vorstellen, sagt der Projektsprecher für Baden-Württemberg und Bayern, Jörg Weber. Es verbinde die Regionen in Europa und Deutschland untereinander, nehme große Mengen elektrischer Energie von Erzeugungsanlagen wie konventionellen Kraftwerken und Windparks auf und transportiere sie über weite Strecken. „Betrieben wird das Übertragungsnetz mit einer Spannung von 220 oder 380 Kilovolt – der sogenannten Höchstspannung.“
Strom für 29 Millionen Menschen: Von Niedersachsen bis zu den Alpen
Amprion betreibt das zweitgrößtes Höchstspannungs-Stromnetz in Deutschland mit einer Stromkreislänge von knapp 11.000 Kilometern. Das Netz transportiert für 29 Millionen Menschen Strom von Niedersachsen bis zu den Alpen. Es ist mit regionalen Anbietern wie dem Allgäuer Überlandwerk (AÜW), den Lechwerken (LEW) oder privaten Stromproduzenten mit Photovoltaik-Anlagen verbunden. Für sie stellt Amprion als Dienstleister mit gesetzlichem Auftrag die „Strom-Autobahn“ parat.
"Die Leitung ist niemals ohne Strom": Arbeiter riskieren ihr Leben
Trotz der nun begonnenen Arbeiten im Allgäu, kurz vor dem Anschlusspunkt nach Österreich, werde der Amprion-Stromtransport nicht leiden, sagt Projektsprecher Weber. Stunden- oder tageweise wird zwar jeweils eine Seite der Leitung abgeschaltet, damit die Arbeiter auf den Masten sicher Material austauschen können: „Doch die Leitung ist niemals ohne Strom.“ Heißt: Eine Seite bleibt stets in Betrieb. Dies ist eine gute Nachricht für alle Strombezieher im Allgäu – und gleichzeitig eine Warnung an alle Arbeiter im „Mast-Betrieb“. Wer irrtümlich einer Strom führenden Leitung zu nahe kommt, riskiert sein Leben. „Wir arbeiten unter extremen Umständen“, verdeutlicht Bauleiter Markus Wirth von einem Sub-Unternehmer die Herausforderung. „Wer auf einen dieser Masten steigt, darf nie den Respekt verlieren.“
Lesen Sie auch:
- Videodreh in luftiger Höhe: Der Ulmer DJ "Chris Montana" legte in Reutte auf einer Hängebrücke auf
- Wildpoldsried: B12 in Richtung Kempten wird diese Woche immer wieder gesperrt