Was sind eigentlich typische Silvester-Bräuche im Allgäu? Klar, Raketen und Böller gehören normalerweise zu jeder Silvesternacht. Schon im Mittelalter lärmten die Menschen mit allem, was laute Geräusche erzeugte: Töpfe, Rasseln, Trommeln und Trompeten. Auch Kirchenglocken durften läuten und Schüsse fielen.
Der ganze Lärm hatte nur einen Zweck: böse Geister zu vertreiben - ein Anliegen aus heidnischen Zeiten. Viele Bräuche kamen erst viel später ins Oberallgäu, sagen Kreisheimatpfleger Albert Wechs aus Bad Hindelang und seine Kollegin Ingrid Müller (Altusried). Einer davon ist das Böllerschießen am Silvesterabend oder an Neujahr. "Das gibt es seit den 1950er-Jahren", berichtet Wechs. Unter anderem in Burgberg, Kranzegg und Fischen. Und auch in Dietmannsried und Heiligkreuz, ergänzt Müller.
Dagegen gibt es das Silvesterblasen nahezu in allen Oberallgäuer Gemeinden. Dieser Brauch habe vor rund 70 Jahren angefangen, sagt Heimatpfleger Wechs. Früher sei dieser Brauch meist die einzige Möglichkeit für einen Musikverein gewesen, um die Vereinskasse aufzubessern. Die Bläser gehen von Haus zu Haus, wünschen ein gutes neues Jahr und spielen einen Marsch. Dazu gab es früher einen Schnaps.
Beim Bettelbrauch klingeln Buben an den Haustüren
Kein Alkohol, dafür aber Zucker, Eier, Butter, Schmalz und Mehl verteilen die Bewohner in Hinterstein beim "Bettelbrauch", wenn Schulbuben an den Häusern klingeln und Neujahrs-Glückwünsche überbringen. Einige der Mütter backen davon "ausgezogene Küchle und Hefezopf", berichtet Wechs. Als Gegenleistung müssen sich die jungen Burschen um den Funken in der ersten Woche nach dem Faschingssonntag kümmern.
Ein Brauch sei es noch immer in vielen Gemeinden, die sogenannte Jahresendmesse zu besuchen", erzählt Müller. "Sehr wichtig war den Menschen in unserer Gegend auch, Nachbarn und Freunden Glückwünsche fürs neue Jahr zu überbringen." In ihrem Archiv hat die Kreisheimatpflegerin zahlreiche Neujahrs-Glückwunschkarten von 1918 und 1919.

Neuer dagegen seien Bräuche an Silvester, dem Glück im neuen Jahr auf die Sprünge zu helfen. Oft wurde zu Silvester Karpfen gegessen. Um die folgenden zwölf Monate Glück zu haben, trocknete man ein paar Schuppen des Karpfens und legte sie in den Geldbeutel.
Skeptisch ist Kreisheimatpfleger Wechs, was die sogenannten Raunächte (von der Nacht auf den ersten Weihnachtsfeiertag bis zu Heiligdreikönig) im Allgäu betrifft. "Viele Bräuche sind aus dem Oberbayerischen und dem Tiroler Raum zu uns gekommen." Die Allgäuer Tradition kenne laut Wechs "eigentlich nur das Ausräuchern der Stuben und Hofställe".
In vielen Kulturen hat auch das Räuchern eine jahrtausendealte Tradition. Man versucht unter anderem, sich dadurch vor Unheil und Krankheit zu schützen, sagt die Kräuterfachfrau Petra Le Meledo-Heinzelmann aus Durach. Vor allem in der letzten Raunacht am 5. Januar werden das ganze Haus, die Ställe und mancherorts auch rund ums Grundstück ausgeräuchert. Dazu werden heimische Kräuter oder Harze auf glühende Kohle gelegt und die Rauchschwaden mit einer Feder verteilt.
An Kräutern werden Weihrauch Myrrhe, Beifuß, Wacholder und Engelwurz verwendet. Manche nehmen auch Wacholder oder Reste der Kräuterboschen, die noch von Maria Himmelfahrt (15. August) übrig sind. Laut Kreisheimatpfleger Wechs wurden früher die Kräuter vor dem Räuchern in der Kirche vom Pfarrer gesegnet.
Zu den Raunächten gehört auch das "Wünsche verbrennen". Dazu werden Lorbeerblätter verwendet, weil der Lorbeer nach der Überlieferung die Verbindung von dieser in andere Welten verkörpert. Man nimmt 13 Lorbeerblätter und schreibt auf jedes Blatt einen Wunsch für das kommende Jahr. Die Lorbeerblätter werden dann in ein Behältnis gelegt. Daraus zieht man in jeder Raunacht - ohne es vorher anzusehen - ein Blatt heraus und verbrennt es. Nach den zwölf Raunächten bleibt am Ende ein Blatt übrig. Der Wunsch, der darauf steht, muss man selber erfüllen.
Dieser Artikel erschien erstmals Silvester 2020 bei allgäuer-zeitung.de.