Vom Allgäu existieren viele Klischees. Doch wie zeigt sich die Region wirklich? Was hat sie geprägt, und was prägt sie noch? Was zeichnet die Menschen aus, die in ihr leben? Gibt es so etwas wie die Allgäuer Mentalität? All diesen Fragen spürt das Buch „Mensch Allgäu. Rückblick. Einblick. Ausblick“ nach. Es ist der dritte Teil einer Allgäu-Trilogie, die der Kunstverlag Schweineberg in Ofterschwang unter der Leitung von Gerlinde Hagelmüller herausgegeben und als opulenten Bildband gestaltet hat.
Lala Aufsberg konzentriert sich in ihren Fotografien auf die Schönheit des Lebens im Allgäu. Christoph Jorda zeigt in seinen Fotos auch die Schattenseiten.
Das Buch stützt sich dabei – wie die beiden vorherigen Bände „Ursprüngliches Allgäu“ und Generationenvertrag Wald“ – auf historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Sonthofer Fotografin Lala Aufsberg (1907 - 1976) aus den 1930er bis 1950er Jahren. Sie werden in dem Band aktuellen Arbeiten des 1979 in Kaufbeuren geborenen Fotografen Christoph Jorda gegenübergestellt. Wie einst Aufsberg arbeitet auch Jorda in vielen Ländern der Erde. Während Lala Aufsberg jedoch ihr Augenmerk auf die Schönheiten der Welt konzentrierte, lenkt er den Blick auch auf die Schattenseiten. Seine Fotografien überraschen vor allem mit ungewöhnlichen Perspektiven. Sie hinterfragen gängige Sehgewohnheiten, so wie die Textbeiträge hinter die Kulissen der Region Allgäu sehen, zugleich aber auch deren Faszinationskraft nachspüren wollen.
Unter den Autoren des Bucches sind auch Ex-Finanzminister Theo Waigel und Alt-Landrat Anton Klotz.
Die Beiträge stammen von Prominenten wie Theo Waigel, dem ehemaligen Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland, oder regional bekannten Persönlichkeiten wie dem Oberallgäuer Alt-Landrat Anton Klotz. Zwar sei das Allgäu „führend als zukunftsorientierter und leistungsstarker Gestaltungsraum für individuelles Leben, Arbeiten und Urlauben im ländlichen Raum“, zitiert Klotz eine Markenstrategie der Allgäu GmbH, aber dafür müsse noch einiges getan werden. So mahnt er zum Beispiel eine modernere, klimaschonendere Infrastruktur an.

Tilman Ritter, Architekt und Vorsitzender des Heimatvereins Kempten, lenkt den Blick in die Vergangenheit: „Großer Wohlstand war hier nie zuhause.“ Und doch liege in Vergangenem oder Vergehendem auch Potenzial für die Zukunft. „Die kleinbäuerliche Agrarstruktur, wie sie im Allgäu einmal vorherrschend war und nur noch in geringem Umfang zu beobachten ist, muss künftig intensiver gestützt md gefördert werden, um den Charakter der Landschaft zu erhalten“, erklärt Ritter. Auch spürt er der Mentalität der Menschen nach. „Der Weiler, das Dorf, vielleicht noch der Marktflecken waren bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts der Mittelpunkt des landwirtschaftlich geprägten Lebens.“ Man habe sich nicht als Allgäuer gefühlt, sondern zugehörig zu seinem Dorf, seiner Stadt, seinem Tal. Diese Zugehörigkeit sei die Basis des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens gewesen.
Abt Johannnes Schaber vom Benediktinerkloster Ottobeuren skizziert das Verhältnis von Spiritualität und Natur.
Abt Johannes Schaber vom Benediktinerkloster Ottobeuren beleuchtet nicht nur christliche Traditionen im Allgäu, sondern skizziert auch das Verhältnis von Spiritualität und Natur. Er kommt zu dem Schluss: „Menschen sind aufgeschlossen für religiöse und spirituelle Angebote innerhalb und jenseits kirchlicher Institutionen. Hoffte man früher nach dem Sterben auf die Auferstehung von den Toten und das ewige Leben, so fragt man heute mehr nach dem Sinn des Lebens vor dem Tod, nach der eigenen Mitte, und wie man sie findet.“ Veronika Heilmannseder, die Tourismusgeschichte an der Hochschule in Kempten lehrt, analysiert die Architektur der Region. Die in Immenstadt aufgewachsene Evelyn Ehrenberger, Präsidentin der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft, untersucht, wie sich die Bildungswege im Allgäu gewandelt haben.
Kreisheimatpflegerin Ingrid Müller schreibt über das Verhältnis von Brauchtum und Küche.
Über das Verhältnis von Brauchtum und Küche reflektiert Ingrid Müller, Kreisheimatpflegerin im nördlichen Oberallgäu: „Im Allgäu lebte man nie im Überfluss“, schreibt sie. An andere Kreative erinnert Theo Waigel – von den Schriftstellern Arthur Maximilian Miller und W. G. Sebald bis zu den Filmemachern Leo Hiemer und Christian Wagner. Und Waigel gibt am Ende einen Rat: „Im Zielkonflikt zwischen Wirtschaft, Tourismus und Natur gebührt der Bewahrung der Schöpfung der Vorrang.“
Das Buch: „Mensch Allgäu. Rückblick. Einblick. Ausblick. Mit Aufnahmen von Lala Aufsberg und Christoph Jorda“. Kunstverlag Schweineberg. 178 Seiten: 39,90 Euro.