Schon längere Zeit schwebte die Zahl zehn Prozent im Raum. Nun hat der Chorverband Bayerisch-Schwaben verlässliche Rückmeldungen aus den fast 700 Vokalensembles erhalten: Rund 2000 der fast 20.000 Sängerinnen und Sänger haben nach der langen Corona-Pause den Chören den Rücken gekehrt. „Das hat sich leider so bestätigt“, teilt Jürgen Schwarz, der geschäftsführende Präsident des Verbands, auf Anfrage mit. Er nennt dies eine „massive Zahl“. Aber nicht nur der Aderlass schmerzt. Durch viele Chöre gehen noch Risse zwischen den Befürwortern und den Gegner der Corona-Maßnahmen. „Die müssen wir nun kitten“, sagt Schwarz und kündigt Ausbildungs-Maßnahmen an, damit die Chorszene wieder in Schwung kommt.
Manche Chöre haben (fast) keine Probleme
Das Bild ist nicht einheitlich. Manche Sängergruppe hat die erzwungene Pandemie-Pause sowie die Zeit der Beschränkungen und Abstandsregeln sehr gut überstanden und schaffte in den vergangenen Wochen einen Neustart ohne große Probleme. Anke Weinert-Wegmann etwa, die in Kempten und im Oberallgäu einen Männerchor sowie drei gemischte Chöre leitet, hat einen regelrechten Hunger nach dem Singen und auch nach der damit verbundenen Gemeinschaft festgestellt. „Nur zwei von 60 Sängern trauen sich momentan noch nicht.“
Ältere hören eher auf als Jüngere
Andere Vokalensembles tun sich noch schwer. Und offenbar haben sich, so berichten verschiedene Chorleiterinnen und Verbands-Chef Schwarz, ein paar Chöre auch aufgelöst – wobei bisweilen unklar ist, welche Rolle das Virus dabei spielte. Ähnliches gilt auch für die Motivation jener, die nun nicht mehr zurückkehren und ihren Abschied vom aktiven Singen nehmen. Manche, vor allem ältere Sängerinnen und Sänger, hatten vielleicht schon länger vor aufzuhören – und haben jetzt die Gelegenheit dazu ergriffen.
Die Sing-Pause in den Grundschulen bereitet besondere Sorgen
Besondere Sorgen macht sich Chorverbands-Chef Jürgen Schwarz über das Singen in den Grundschulen. Da dies eineinhalb Jahre lang verboten war, hat es auch keine Neugründung der sogenannten Chorklassen gegeben, die Schulen freiwillig – mit Unterstützung von Chorverband und der Musikakademie in Marktoberdorf – einrichten können. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Schwarz und spricht von einer „riesigen Aufgabe, verlorenes Terrain wiederzugewinnen“.
Nun gelte es, die Lehrkräfte zu animieren. Dass dies gelingen kann, zeigt die Reaktion auf zwei Chorklassentage im Juli im Festspielhaus in Waal (Ostallgäu): Die Termine sind sofort ausgebucht gewesen, berichtet Schwarz. 1100 Grundschüler werden sich treffen und gemeinsam singen. „Ein positives Signal.“
Die Chöre müssten neue Ziele für sich finden, sagt Dirigentin Daniela Bartha
Auch bei den Erwachsenenchören unternimmt der Chorverband größere Anstrengungen. Schon hat er drei Angebotspakete geschnürt: Durch sie können Sängerinnen und Sänger ihre Stimme wieder fit machen, singen auch mal ohne Noten, und Chorleiter können neue Literatur kennen lernen.
Apropos neue Stücke: Eine der Herausforderungen sei es, neue Ziele für die Chöre zu finden, gerade jetzt in den Sommermonaten, in denen früher Chöre kaum Konzerte gaben, weil Urlaubszeit war. „Chöre müssen nun anders arbeiten, müssen neue Formate entwickeln“, fordert Daniela Bartha, die Kreis-Chorleiterin im Allgäu-Verband. Sie regt an, im Freien Konzerte zu geben – „obwohl es immer geheißen hat, das gehe nicht.“ Sie rät: „Wir müssen die Herausforderungen annehmen. Aber das kostet Kraft.“
Jürgen Schwarz glaubt: Wir werden die alten Stärken wieder erreichen"
Dass Kraftanstrengungen die Sängerzahl in Chören erhöhen wird, glaubt auch Jürgen Schwarz: „Wir werden die alten Stärken wieder erreichen.“ Denn das Bedürfnis zu singen sei da. Davon kann auch Evi Wintergerst erzählen, die den Männerchor Börwang-Leubas leitet. „Corona hat bei meinen Sängern ungeheure Angst ausgelöst.“ Keiner habe den anderen anstecken wollen. Jetzt aber seien fast alle wiedergekommen. „Viele empfinden es als Geschenk, die vertraute Gemeinschaft erleben zu können.“