Notrufnummer 112 - Integrierte Leitstelle Allgäu

Vom Husten bis zum schweren Verkehrsunfall: Das ist der Alltag in der Allgäuer Notrufleitstelle

Wählen Menschen im Allgäu die Notrufnummer 112, so landen sie in den meisten Fällen bei den Mitarbeitern der Integrierten Leitstelle Allgäu.

Wählen Menschen im Allgäu die Notrufnummer 112, so landen sie in den meisten Fällen bei den Mitarbeitern der Integrierten Leitstelle Allgäu.

Bild: Fabian Schmid

Wählen Menschen im Allgäu die Notrufnummer 112, so landen sie in den meisten Fällen bei den Mitarbeitern der Integrierten Leitstelle Allgäu.

Bild: Fabian Schmid

Egal, welcher Notfall, die ILS Allgäu kümmert sich. Manche Fälle gehen auch an erfahrenen Helfern nicht spurlos vorbei. Wir haben hinter die Kulissen geblickt
11.02.2021 | Stand: 16:31 Uhr

Marco Arhelger hat das Headset noch nicht auf, da geht bereits der erste Notruf ein. Der Leiter des operativen Betriebs in der Integrierten Leitstelle (ILS) Allgäu hebt ab. Am anderen Ende ist ein Hausarzt, seine Nummer ist im Notrufsystem bereits bekannt. Ein Patient hatte sich mit Schmerzen in der Brust und Kreislauf-Problemen bei ihm gemeldet - ein Fall für den Rettungsdienst.

In solchen Situationen arbeiten Hausärzte, die Notrufleitstelle und Rettungskräfte eng zusammen, wie Arhelger sagt: „Der Hausarzt kennt seinen Patienten am besten. Aber in lebensbedrohlichen Situationen verständigen uns die Ärzte sofort." Wenn wie hier alles auf einen Herzinfarkt hindeutet, sei es wichtig, dass die Rettungskräfte schnell vor Ort sind. Keine zwei Minuten dauert es vom Klingeln des Telefons bis zum Alarm. Und schon ist ein Rettungsdienst unterwegs.

Ein Kratzen im Hals, Unwetter und Verkehrsunfälle mit vielen Verletzten: Die Notrufleitstelle ist auf alles vorbereitet

Anrufe von Hausärzten kommen häufiger vor. Arhelger sagt: „Viele Menschen können aber selbst gut einschätzen, ob der Hausarzt helfen kann oder Feuerwehr und Rettungsdienst gebraucht werden." Das sei aber nicht immer der Fall. Während manche Patienten mit schweren Beschwerden sich nicht trauen, sofort die 112 zu wählen, rufen andere schon bei Schnupfen oder Husten die Nummer der Leitstelle. Arhelger und seine Kollegen ärgern sich darüber nicht. Schließlich sei das ihr Job „und im Zweifel landen die Menschen lieber bei uns und wir können sie dann an die richtige Stelle vermitteln“.

Das Aufgabengebiet einer Notrufleitstelle ist breit, sagt Arhelger. „Den einen Notruf“ gebe es nicht. Hier rufen Menschen an, die sich verletzt haben. Oder etwa Menschen, deren Keller beim Unwetter mit Wasser vollgelaufen sind. Es gehen Notrufe ein, weil ein Mensch bewusstlos geworden ist, oder weil eine Küche plötzlich in Flammen steht. „Immer dann, wenn Leib und Leben in Gefahr sind oder wenn eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, ist unsere Nummer die Richtige“, sagt Arhelger. "In Zweifelsfällen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die 112 wählen." Nur wenige nutzen die Dienste der Notrufleitstelle aus.

Marco Arhelger leitet den operativen Betrieb der ILS Allgäu.
Marco Arhelger leitet den operativen Betrieb der ILS Allgäu.
Bild: Laura Wiedemann, AZV

Ein Fall für die 112

Wer sich trotzdem unsicher ist, für den hat Arhelger Tipps, um eine mögliche Gefahrensituation richtig einzuschätzen. So könne man sich in medizinischen Nofällen zum Beispiel an den Vitalfunktionen orientieren.

  • Atmung: Hat die Person plötzlich starke Atemnot? Oder Schwierigkeiten zu atmen?
  • Bewusstsein: Ist der Mensch bewusstlos? Droht er das Bewusstsein zu verlieren? Sind andere Wesensveränderungen feststellbar?
  • Kreislauf: Ist bei der Person kalter Schweiß festzustellen? Ist ihr schwindlig? Hat sie einen Kreislaufstillstand?
  • Schmerzen: Hat sich der Betroffene schwer verletzt? Leidet er unter starken Schmerzen in der Brust?
  • Lähmungen: Sind Arme oder Beine gelähmt? Kommt es zu plötzlichen Sprachschwierigkeiten oder Sehverlust?

Neben diesen beispielhaften Fragen, die im Falle eines medizinischen Notfalls geklärt werden müssen, gebe es auch Situationen, in denen ein Notruf offensichtlicher sei. „Zum Beispiel bei einem Unfall mit Verletzten, einem Brand oder Gefahren durch ein schweres Unwetter“, sagt Arhelger. Dann sei den meisten Menschen sofort klar: Hier werden Feuerwehr und Rettungsdienst gebraucht.

Ungewohnte Situation und Aufregung: So wird ein Notruf abgesetzt

„Viel falsch machen kann man bei einem Notruf eigentlich nicht“, sagt Arhelger. Denn wichtig sei es erst einmal, den Notruf überhaupt zu wählen. Bei allem was dann folgt, könne man sich auf den Mitarbeiter am Telefon der Leitstelle verlassen. Wer sich trotzdem unsicher ist, dem empfiehlt Arhelger sich die „Fünf W“ bei einem Notruf ins Gedächtnis zu rufen:

  • Wer ruft an? Nennen Sie Ihren Namen.
  • Wo ist der Notfall passiert? Beschreiben Sie den Ort.
  • Was ist passiert? Beschreiben Sie den Ablauf und die aktuelle Situation.
  • Wie viele Menschen sind betroffen? Versuchen Sie das Ausmaß der betroffenen Personen einzuschätzen.
  • Warten Sie auf Rückfragen.

Kommen einem diese Stichworte, wie viele sie aus dem Erste-Hilfe-Kurs kennen, in einer Notsituation nicht in den Sinn, sei das nicht weiter schlimm. „Wir sind darauf geschult, Menschen zu beruhigen und von ihnen die Informationen abzufragen, die wir benötigen“, sagt Arhelger. Die Disponenten, die an den Telefonen in der Notrufleitstelle sitzen, wissen ganz genau, welche Daten sie brauchen, um auf dem schnellsten Weg Hilfe zu schicken.

Das passiert in der Notrufleitstelle

Wichtig sei es für die Anrufer, in solchen Momenten auf die Leitstelle und die Einsatzkräfte zu vertrauen. Oft könne es den Menschen nicht schnell genug gehen oder sie seien mit der Antwort des Leitstellen-Mitarbeiters nicht zufrieden. „Das ist in so einer Situation auch verständlich. Wir zeigen den Anrufern dann, dass wir ihr Anliegen verstanden haben“, sagt Arhelger. Dabei spiegeln die Mitarbeiter die Bedürfnisse der Anrufer oder wiederholen, das was sie gerade am Telefon beschrieben haben. Auf „Meine Mutter ist nicht mehr ansprechbar“ antworten sie zum Beispiel „Ich verstehe ihre Lage. Ihre Mutter ist nicht ansprechbar.“ Sobald dann ein Rettungsteam oder die Feuerwehr unterwegs ist, geben die Leitstellen-Mitarbeiter das ganz deutlich an die Anrufer weiter. So wissen diese, dass schon während des Anrufs Hilfe auf dem Weg ist.

So kann ein Notruf in der Integrierten Leitstelle Allgäu ablaufen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen haben die Leitstellen-Mitarbeiter Matthias Funke und Guido Kurzemann einen fiktiven Notruf abgesetzt:

Für die Mitarbeiter kommt es aber nicht nur auf Schnelligkeit an, sondern vor allem darauf, für die Notlage die passende Rettung bereitzustellen. Die Abläufe in einer Notrufleitstelle sind deshalb klar geregelt. Meist ist die Zentrale der Leitstelle mit bis zu sechs Mitarbeitern besetzt.

Zwei bis drei von ihnen sind hauptsächlich dafür zuständig, Notrufe anzunehmen und die Anrufer zu versorgen. Sie tragen Name, Einsatzort, medizinische Anzeichen oder den Grund des Notfalls in ihr Computersystem ein. Während diese Mitarbeiter mit den Anrufern, falls nötig im Gespräch bleiben, wird der Notruf weitergeschickt.

Einer der Disponenten ist für die Einsätze zuständig, bei denen die Feuerwehr benötigt wird. Ein anderer für die der Rettungsdienste. Auf einer Karte und einem weiteren System werden am Computer die zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte angezeigt. Das sind Rettungswagen, aber auch Hubschrauber oder etwa die Bergrettung für alpine Notfälle. Neben den Einsatzfahrzeugen aus dem eigenen Gebiet (Ostallgäu, Oberallgäu, Landkreis Lindau, Kempten und Kaufbeuren) sind hier auch Rettungskräfte aus benachbarten Regionen zu sehen.

Bei großen Einsätzen könnten hier zum Beispiel Hubschrauber aus dem Vorarlberg oder Rettungsdienste aus Grenzregionen wie beispielsweise Fürstenfeldbruck benachrichtigt werden.

Je nach Notruf und Informationen müssen die Disponenten abwägen, welche Rettungskräfte zum Einsatz geschickt werden. Diese Abläufe koordiniert nach innen und außen der diensthabende Schichtführer.

Ein Beruf mit hoher Belastung

„Mit nach Hause nimmt man das, was auf der Leitstelle passiert, eigentlich nur selten“, sagt Marco Arhelger. Zumindest sei das bei ihm so. Er selbst kam durch seinen Zivildienst 1992 zum Beruf des Rettungsassistenten. Alle Mitarbeiter der Leitstelle haben neben der Disponentenausbildung eine Ausbildung in diesem Bereich und eine Feuerwehrqualifikation. 1999 wechselte Arhelger in die Rettungsleitstelle Kempten, die heute als ILS Allgäu zum Betrieb der Stadt Kempten gehört. Seit 2010 gibt es die Leitstelle, gegründet vom Zweckverband für Rettungsdienst und Feueralarmierung Allgäu. In diesen Jahren hat Arhelger im Einsatz für den Rettungsdienst, in der Notruf-Annahme und als Teamleiter viel erlebt. Obwohl man mit der Zeit lerne, mit diesen Belastungen umzugehen, gehe nicht jeder Notruf spurlos an einem vorbei. „Wenn zum Beispiel eine Mutter anruft, deren Kind an einem plötzlichen Kindstod stirbt“, sagt der zweifache Familienvater. Oft tröste es, dass man den Menschen in vielen Fällen helfen kann. Doch nicht immer nimmt ein Notruf ein gutes Ende.

Mit eine der größten Belastungen sei die Anleitung zur Reanimation über das Telefon. Arhelger sagt: "Da schnellt der Puls nach oben, weil man weiß, dass es auf jede Sekunde ankommt." Droht zum Beispiel durch eine Herz-Kreislauf-Beschwerde der Tod, leiten die Mitarbeiter am Telefon den Hilfesuchenden zu den Wiederbelebungsmaßnahmen an. So kann schon geholfen werden, während der Rettungsdienst noch unterwegs ist.

Arhelger blickt auf die vielen Bildschirme. Gerade ist die Feuerwehr mit einer Drehleiter an einem Einsatzort angekommen, zeigt das System an. Doch der Patient, der darüber in den Rettungswagen transportiert werden sollte, ist bereits gestorben. Erst vor wenigen Minuten hatten die Angehörigen des Mannes bei der Notrufleitstelle angerufen. Der Rettungsdienst war sofort vor Ort, doch auch eine Reanimation konnte in diesem Fall leider nicht mehr helfen. Auch solche Einsätze gehören zum Alltag in der ILS Allgäu. Damit umzugehen sei vor allem durch die Arbeit und Gespräche im Team möglich, sagt Arhelger.

Zahlen und Daten - auch das gehört zur Arbeit in einer Leitstelle

An diesem Vormittag gehen knapp 30 Notrufe ein. "Ein eher ruhiger Morgen", sagt Arhelger. Mit dabei waren Einsätze für Feuerwehren, Rettungsdienst, den Notarzt, aber auch Krankentransporte. Im Jahr 2020 haben sich übrigens rund 229.000 Menschen unter der 112 bei der Integrierten Leitstelle Allgäu gemeldet.

Bild: Fabian Schmid

Neben diesen alltäglichen Herausforderungen sind Datenschutz und die Informationssicherheit wichtige Themen für die Leitstelle in Kempten. Bereichsleiter Andreas Jerkovits kümmert sich um ständige Anpassungen des Systems an technologischen Fortschritt und darum, dass keine Sicherheitslücken entstehen. "Auch draußen merken wir, dass Datenschutz uns als Leitstelle immer mehr beeinflusst", sagt Jerkovits. Er erzählt von einem Einsatz, bei dem aus Datenschutz-Gründen keine Klingelschilder mehr an dem Mehrfamilienhaus angebracht waren. Dann die richtige Tür zu finden, hinter der sich ein Mensch in Not befindet, könne die Rettungskräfte wertvolle Zeit kosten.

So verändert Corona den Alltag der Integrierten Leitstelle Allgäu

Mit die jüngste Belastungsprobe für die Notrufleitstelle ist das Corona-Virus. Arbeitsplätze und der Alltag in der Leitstelle haben sich verändert: So gibt es zum Beispiel ein abgetrenntes Zimmer mit einem Quarantänearbeitsplatz. Hier könnte ein Mitarbeiter trotz Kontakts zu einem Corona-Patienten weiterarbeiten. „Das muss so sein, weil wir zur sogenannten kritischen Infrastruktur gehören. Die 112 darf nicht einfach ausfallen“, sagt Arhelger. Und auch was die Notrufe betrifft, habe er eine Veränderung festgestellt.

2020 haben bis knapp 10.000 Menschen weniger unter der 112 im Allgäu gemeldet. Das können zum einen daran liegen, dass im Lockdown weniger Unfälle oder Notsituationen passieren. „Aber wir bemerken auch, dass die Menschen eine größere Hürde haben, unser System zu nutzen. Ein Faktor könnte da die Angst vor Ansteckung sein“ sagt Arhelger. Die sei aber unbegründet, denn bei Rettungsdienst und Feuerwehren gelten strenge Hygienemaßnahmen. Um die Einsatzkräfte vor einer Ansteckung zu schützen, werden bei jedem Anruf mögliche Covid-19-Symptome der Menschen in Not abgefragt. Ausgerückt wird dann mit noch strengerem Hygienekonzept. „Wir merken auch jetzt, dass die Menschen uns brauchen und, dass sie uns wertschätzen“, sagt Arhelger. Das sei mit eines der schönsten Gefühle in diesem Beruf.

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