Es ist nicht der imposante Anblick von Hunderten von Rindern, die beim Pfrontener Viehscheid von ihren Bergweiden zurück ins Tal kommen, der Philipp Trenkle Gänsehaut beschert. Er könnte ihn auch blind verfolgen und bekäme sie trotzdem. Es ist der Klang der Schellen, der den Mann bewegt. Das tiefe Donnern und auch das hellere Klingen gehen ihm ans Herz. Und das nicht nur, weil er viele von den Schellen selbst geschmiedet hat.
Das mehrstimmige Konzert bedeutet für den Pfrontener eine Verbindung zur Heimat, zur Tradition und auch zur Landwirtschaft. "Als ich ein Kind war, hatten wir selbst noch Kühe. Ich weiß, was es bedeutet, von und mit ihr zu leben", erzählt der 73-Jährige, der in Arbeitskleidung in seiner Werkstatt steht.
Schellenschmied aus dem Allgäu: Nicht jeder bekommt eine Schelle - Die Chemie muss stimmen
Dort fertigte der Schlossermeister, der das Handwerk von seinem Vater übernahm, Zeit seines Arbeitslebens Treppengeländer, Grabkreuze, Türschlösser und Beschläge. Für besondere Kunden bis heute auch Schellen. Aber nicht jeder bekommt eine von dem Handwerker, der wohl einer der letzten seiner Art sein dürfte. Die Chemie muss stimmen, der Verwendungszweck und überhaupt. "Es muss halt passen", sagt Trenkle mit seiner ruhigen Stimme und einem amüsierten Glitzern in den Augen.
Trenkle steht am Amboss, in der Hand hält er einen Rundhammer. Mit ihm klopft - treibt in der Schmiedesprache - er das glühend heiße Blech, das er zuvor in seinem Ofen erhitzt hat, mit unzähligen Schlägen in seine halbrunde Form. Es wird einmal eine halbe Schelle werden. Auch die zweite Hälfte bearbeitet er später auf diese Weise und schweißt sie ganz am Ende zusammen.
Schellen für den Viehscheid: Eine Kunst für sich
Die Kalle, wie der Klöppel der Schellen heißt, ist ein ovaler Stiel, der ebenfalls durch Hammerschläge seine charakteristische Form bekommt. Sie in der passenden Größe herzustellen, ist wiederum eine Kunst für sich. "Große Kallen schlagen anders an als kleine", erklärt Trenkle. Seien sie zu groß, schaden sie wiederum der Schelle. Errechnen kann man ihre Größe nicht. "Sie passend zu machen, ist eine Sache des Gefühls", sagt Trenkle.
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Ebenjenes Gefühl, das es brauche, um bei jeder Schelle einen anderen Klang zu erzeugen. Den wiederum erkennen die Alphirten und können aus dem Klingen schließen, wo sich welche Tiere auf der Bergweide aufhalten. "Weideschellen sind quasi als Orientierungshilfe gedacht", fasst Trenkle zusammen. Die großen Zugschellen würden nur beim Abtrieb angelegt.
In seinem Wintergarten vor der Werkstatt dienen die Schellen seinem persönlichen Vergnügen. Denn Trenkle sammelt Schellen und Glocken. Rund 50 Stück hängen in Reih und Glied knapp unter der Decke. Manche von ihnen klingen besonders schön, bei anderen ist das Lederband oder das Alter eine Besonderheit - zu jeder Einzelnen hat er einen Bezug.
Schellenschmied Philipp Trenkle aus Pfronten: "Interessieren und engagieren" lautet sein Motto
"Die Geschichte dahinter ist für mich bei allen Dingen das Entscheidende. Sie macht einen Gegenstand erst wertvoll", sagt Trenkle. Sie zu bewahren und weiterzugeben, hat er sich auch als Vorsitzender des örtlichen Heimatvereins auf die Fahnen geschrieben. Die Gegenwart hat er in 36 Jahren als Gemeinderat geprägt.
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Ebenfalls in der Gegenwart haben die Allgäuer für ihre Schellen eine zusätzliche Verwendung gefunden. Seit der Corona-Pandemie hat es sich etabliert, das neue Jahr mit lautem Geläut von Schellen statt mit Böllerknallen zu begrüßen. Ein Novum, das dem Schellenschmied natürlich nicht verborgen geblieben ist. Schließlich hört er den Klang der Heimat nun ein weiteres Mal im Jahr.
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