Kritik am Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) übt die Oberallgäuer EU-Abgeordnete Ulrike Müller (Freie Wähler): Die Aktion, Milchpulver aus Protest gegen die EU-Agrarpolitik in die Luft zu blasen, sei unverantwortlich und sende „das falsche Signal“. Ulrike Müller ist überzeugt, dass die jetzt eingelagerte Milch sofort Abnehmer finden wird, wenn die Märkte wieder offen sind. Zum „Green Deal“, der eine nachhaltige EU-Wirtschaft zum Ziel hat, sagt die Europa-Politikerin aus Missen: Für das Allgäu sei es wichtig, Konzepte für bäuerliche Familienbetriebe zu finden.
Wie bewerten Sie die Bauern-Demo des BDM, bei der vor wenigen Tagen auf einem Hof in Kempten Milchpulver in die Luft geblasen wurde, um die EU-Zuschüsse für die Einlagerung von Milch anzuprangern?
Ulrike Müller: Für diese Aktion habe ich kein Verständnis. Der BDM handelt in meinen Augen unverantwortlich und sendet das falsche Signal. Die Unterstellung, dass die EU mit Millionenbeträgen den Milchpreis absichtlich drücken würde, ist absurd. Die Realität sieht so aus: Durch politische Maßnahmen der Mitgliedsstaaten aufgrund Corona gingen Absatzmärkte verloren. Deshalb sollte der stockende Markt durch befristete Maßnahmen entlastet werden. Die eingelagerten Produkte werden nach Öffnung der Märkte sofort ihre Käufer finden, das zeichnet sich schon jetzt ab. In Brasilien und Algerien beispielsweise wird gerade händeringend Milchpulver am Markt gesucht.
Keine Überproduktion wie noch vor ein paar Jahren
Stabilisiert die Einlagerung den Milchpreis oder drückt sie ihn, wie der BDM prognostiziert?
Müller: Aktuell sind nicht einmal 6000 Tonnen Pulver in privater Lagerhaltung, 2016 waren es 380 000 Tonnen. Wir haben auch keine Überproduktion wie noch vor ein paar Jahren. Der BDM wird sowohl von der Kommission als auch dem Rat oft angehört. Aber er bringt immer wieder die alten Vorschläge. Spektakuläre Aktionen ändern nichts daran, dass die BDM-Forderungen rückwärtsgewandt sind und keine Mehrheiten finden. Es wird kein Zurück zum alten Quotensystem geben. Der derzeitige Milchpreis ist nicht gut, aber zumindest konnte der befürchtete Marktzusammenbruch vermieden werden.
Die Verluste Allgäuer Bergbauern durch die Reform der Ausgleichszulage haben große Wellen geschlagen. Hat die EU mit dem Umkrempeln der Verordnung Mist gebaut?
Müller: Absolut nicht! Die EU hat zurecht europaweit vergleichbare Kriterien für Gebietskulissen eingefordert. Hier geht es um acht Faktoren für die vergleichbare Ausweisung von förderfähigen Berggebietskulissen. Jetzt zeigt sich aber, dass das von Bayern gewählte System der Mittelverteilung, also ein Bezahlmodell, die tatsächlichen Benachteiligungen nicht ausreichend abbildet. Das Landwirtschaftsministerium hatte mir versichert, dass es keine Verschiebungen im Berggebiet zwischen 800 und 1000 Metern geben würde. Allein in meinem Heimatort Missen verlieren die Bauern 72:000 Euro. Auf dem Hof, den meine Familie bewirtschaftet, gibt es teilweise nur noch 50 statt 160 Euro pro Hektar, alles in allem wurden uns 40 Prozent gestrichen, obwohl der Mehraufwand in höheren Lagen enorm ist.
Was wollen Sie tun, um das zu ändern?
Müller: Wir dürfen das auf keinen Fall so stehen lassen. Ich unterstütze den Protest von BBV-Bezirkspräsident Alfred Enderle voll und werde nochmals das Gespräch mit dem Landwirtschaftsministerium suchen. Ich bin sicher, dass Bayern das Problem kurzfristig abstellen könnte. Mit acht Millionen Euro ließen sich die ärgsten Härten abfedern.

Am Ende werden nur Lösungen stehen, die alle Seiten mitnehmen
Mit ihrem „Green Deal“ sorgt die EU-Kommission gerade für Schlagzeilen. Das Maßnahmenpaket soll für mehr Naturschutz und nachhaltiger produzierte Lebensmittel sorgen – sehr zum Unmut des Deutschen Bauernverbandes. Der hat den „Deal“ als Generalangriff auf die Landwirtschaft angeprangert. Stehen Sie hinter der Brüsseler Initiative?
Müller: Ich finde es richtig, dass wir in Europa in allen Bereichen klimaschonend und nachhaltig wirtschaften und dafür Vieles auf den Prüfstand stellen. Am Ende werden aber nur Lösungen bestehen, die alle Seiten mitnehmen und weder Wirtschaftskraft noch Wohlstand gefährden. Eines ist mir dabei extrem wichtig: Wir brauchen gerade hier im Allgäu Konzepte für kleine Familienbetriebe.
Lassen sie uns die Details anschauen. Brüssel will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent senken.
Müller: Im Allgäu ist das ein untergeordnetes Thema. Der Einsatz in Ackerbaugebieten wurde längst auf das schier notwendige Maß reduziert. Im Grünland müssen Giftpflanzen wie Ampfer und Jakobs-Kreuzkraut weiterhin bekämpft werden können, das machen wir im Einzelfall mit der Rückenspritze. Die zugelassenen Pflanzenschutzmittel erfüllen hohe EU-Sicherheitsstandards. Wir setzen sie ein, um hochwertige und gesunde Lebensmittel zu erzeugen. Keiner von uns will etwa Pilze im Getreide.
Der Einsatz von Antibiotika soll um die Hälfte reduziert werden. Welche Rollen spielen Tiermedikamente in unserer Region?
Müller: Eine sehr überschaubare. Sie werden hier nur eingesetzt, wenn Tiere tatsächlich krank sind. Dann sind Bauern gesetzlich zum Handeln verpflichtet. Ein geringer Verbrauch liegt im Eigeninteresse der Landwirte. Bei den landwirtschaftlichen Betrieben wird alles akribisch von Tierarzt und Landwirt dokumentiert. Deshalb ist es wichtig, eine Reduzierung nicht pauschal zu verordnen. Das würde die vor Probleme stellen, die Medikamente schon jetzt verantwortungsvoll einsetzen.
Auch den Einsatz von Düngemitteln will die EU drosseln – um 20 Prozent.
Müller: Auch das ist bei uns kein akutes Thema, hier wird kaum Mineraldünger zugekauft. Im Grünlandbereich bekommt der Boden genug Nährstoffe über die Gülle. Höchstens im Norden, in Gebieten mit Raps oder Getreide, kommt punktuell Stickstoffdünger zum Einsatz. Nährstoff- und Düngebilanzen stellen schon jetzt sicher, dass es nicht zur Überdüngung kommt.
Starker Preisverfall
Was sagen Sie zum Plan der EU, 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche zwingend für den Biolandbau zu nutzen?
Müller: Da bin ich massiv dagegen. Wir haben im Allgäu viele Biobauern der ersten Generation, die voller Leidenschaft arbeiten. Diese Quote mit Gewalt auszuweiten, macht keinen Sinn, weil der Markt für 25 Prozent Bioanteil fehlt. Das würde zu einem starken Preisverfall führen. Und ich will nicht, dass Bioprodukte zur Billigware im Discounter werden. Wenn der Preis die Produktionskosten deckt, brauchen wir keine Subventionen.
Und die Ausweisung weiterer Naturschutzgebiete? Im Gespräch ist ein Anteil von 30 Prozent der Landfläche.
Müller: Dieses Thema treibt mich besonders um, denn hier geht es um einen massiven Eingriff ins private Eigentum und letztendlich einen erheblichen Wertverlust. Schauen Sie bloß mal ins Oberallgäu: Da ist schon jetzt fast die Hälfte der 88 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche geschützt. Es gibt zehn Naturschutzgebiete und 26 FFH-Gebiete. Mehr macht keinen Sinn. Außerdem steht hinter den jetzigen Schutzflächen viel Freiwilligkeit und Verständnis der Bauern, das würden wir verspielen. Und es wäre doch paradox, bei uns hochwertige Flächen für die Lebensmittelproduktion stillzulegen und dafür industriell produzierte Lebensmittel zu importieren, etwa aus Südamerika.
Die EU will die Kennzeichnung von Lebensmitteln verbessern und ein Label fürs Tierwohl einführen – aus Sicht vieler Verbraucher ist das überfällig.
Müller: Transparente und einfach verständliche Informationen über Zutaten, Nährwert und Aspekte wie Tierwohl sind wichtig, damit mündige Verbraucher entscheiden können, wie sie sich ernähren wollen. Entsprechende Labels würden dazu einen sinnvollen Beitrag leisten. Wichtig ist aber, dass wir die Verbraucher nicht mit einem Dschungel aus verschiedenen Kennzeichnungsvorschriften verwirren. Im europäischen Binnenmarkt sind deshalb einheitliche Regeln gefragt.
Wie geht es jetzt weiter?
Müller: Wir brauchen bei etlichen Punkten Nachbesserungen und mehr Rücksicht auf regionale Belange, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft. Nur so schaffen wir es, dass beim „Green Deal“ Familienbetriebe nicht die Verlierer sind. Dafür müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit in den Gremien leisten und an wirklich praxistauglichen Lösungen feilen, sowohl im Europäischen Parlament, als auch bei der Landes- und Bundesregierung. Ich werde mich hier intensiv einbringen, auch wenn das viel Zeit und Nerven kostet.