Vor knapp vier Monaten richtete die Flutkatastrophe verheerende Schäden in Teilen Deutschlands an. Besonders betroffen: das Ahrtal in Rheinland-Pfalz.
Dort verwandelte sich die Ahr in einen reißenden Strom. 134 Menschen starben in den Fluten. Eingestürzte Häuser, zerstörte Existenzen: Viele Menschen halfen den Betroffenen. Auch die Leserinnen und Leser der Allgäuer Zeitung, die den von der Rhein-Zeitung Koblenz initiierten Verein „Helft uns leben“ mit Spenden unterstützten. Vier Millionen Euro kamen bislang zusammen – 384 697 Euro aus unserer Region. 400 Familien und Einzelpersonen aus dem Flutgebiet erhalten jeweils 10 000 Euro. Unser Reporter besuchte das Ahrtal und traf auf Menschen, die nicht aufgeben.

Zwischen meterhohen Schutthaufen ragt das Symbol der Hoffnung in den Himmel. Eine alte Linde ist das neue Wahrzeichen des Dörfchens Insul, durch das die Ahr in diesen Tagen wieder erstaunlich friedlich fließt. Der Baum hat das katastrophale Hochwasser vom 14. auf den 15. Juli auf der nördlichen Gemeinde-Seite des Flussufers als einziger unbeschadet überstanden. Jene Flut, bei der allein im Landkreis Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) 134 Menschen starben.
Wie es die Linde geschafft hat, kann keiner erklären. In jener Nacht versanken Familien, Lebensentwürfe, Straßenviertel, Häuser und Autos in der Flut. Der knorrige Baum jedoch ließ sich nicht unterkriegen. Aufrecht und fest verwurzelt mit seiner Heimat trotzte er den unfassbaren Naturgewalten. Kein Wunder, dass er für viele der 500 Einwohner von Insul zum neuen Wahrzeichen geworden ist. Das alte, eine historische Steinbrücke, existiert nicht mehr. Sie wurde von der Flut weggerissen wie eine Sandburg. Genau wie zwei Häuser im Ort. Fünf weitere wurden so stark zerstört, dass sie später abgerissen werden mussten.

Dennoch gibt es inmitten dieser Tristesse Menschen, die sich die alte Linde zum Vorbild nehmen. So wie das Ehepaar Christian (42) und Marina (35) Hecken. Ihr Haus, rund 300 Meter von der Ahr entfernt, stand weit über einen Meter hoch unter Wasser – und das wenige Wochen bevor Töchterchen Emma das Licht der Welt erblickte. „Das Ausmaß der Zerstörung war unfassbar. Aber wir haben keine Sekunde gezögert, hier zu bleiben und wieder aufzubauen“, blickt Christian Hecken auf die Katastrophe zurück, die bis auf Weiteres seine berufliche Existenz zerstörte. Dem selbstständigen Fahrlehrer schwemmte das Hochwasser zwei Autos, vier Motorräder und zwei Anhänger davon. Davon unabhängig: Allein die Schäden am Haus betragen um die 200 000 Euro. Laut Beschluss der Bundesregierung sollen Flutopfer Entschädigungen bis zu 80 Prozent erhalten.

Umso dankbarer sind die Heckens für die Unterstützung von 10 000 Euro aus dem Topf des Vereins „Helft uns Lebens“ der Rhein-Zeitung Koblenz, deren Hilfsaktion Leserinnen und Leser der Allgäuer Zeitung mit bislang 384 697 Euro unterstützten. „Für uns ist diese Solidarität unglaublich. Wir danken allen Allgäuerinnen und Allgäuern von ganzem Herzen“, sagen die Heckens beim Besuch des AZ-Reporters. Viel Zeit für ein Gespräch auf der Bierbank im kalten Erdgeschoss bleibt nicht. Die Stunden, in denen die kleine Emma schläft, werden genutzt, um ihr ein neues Zuhause zu schaffen. Gemeinsam mit den Opas Hans-Peter (60) und Jürgen (68) werden Anschlüsse verlegt, Schäden ausgemerzt, Wände geweißelt. Bald soll wieder Normalität herrschen, vielleicht schon an Weihnachten. Auf dieses Ziel arbeiten die Heckens seit Wochen hin. Seit der Geburt ihrer Tochter am 18. August lebt die Familie in der kleinen Ferienwohnung eines Bekannten. Trotz der widrigen Umstände: Nie würde ihnen ein Wort der Klage über ihre Lippen kommen.
Tränen fließen seit der Flut häufig
Die Flut hat die Bewohner des Ahrtals Demut gelehrt. Mit einem Schlag hat sie völlig unterschiedliche Menschen vereint – in Fassungslosigkeit und Trauer: den Pizzabäcker wie den Juwelier, den Bauern wie den Boxklub-Besitzer. Jeder erzählt seine Geschichte und oft nimmt sie ein schreckliches Ende. So wie das einer Familie, an deren Tod eine Gedenktafel in Ahrbrück erinnert, nicht weit von Insul entfernt. Mike (44) und Svenja (43) ertranken mit ihren Kindern Yannik (16), Antonio (6) und Isabel (5) kurz nachdem sie in den Ort gezogen waren.
Wenn über Schicksale wie dieses gesprochen wird, laufen im Ahrtal Tränen der Trauer. Doch inmitten der Achterbahn der Gefühle gibt es auch dies: Freudentränen. Sie fließen, wenn von ehrenamtlichen Helfern die Rede ist. So wie bei Gerhild Pollig, 82.
Im Haus der Witwe aus Bad Neuenahr stand das Wasser in der Flutnacht plötzlich 2,20 Meter hoch. Strom- und Mobilfunknetz fielen aus. „Als ich nach Mitternacht aufwachte, hörte ich Menschen um Hilfe rufen und sah das Scheinwerferlicht von Rettungsbooten“, beschreibt die Frau die Katastrophennacht, in der sie sich „fix und fertig“ ins Obergeschoss ihres Hauses flüchtete.

Am nächsten Morgen bahnte sich die frühere Inhaberin eines Blumenladens trotz Gehbehinderung ihren Weg durch die Schlammmassen. „Nichts war mehr, wie ich es kannte.“ Der Tiefpunkt bedeutete zugleich einen Wendepunkt. „Auf einmal standen wildfremde junge Leute vor der Haustür, die beim Aufräumen mithalfen. Unglaublich!“, sagt Pollig mit tränenerstickter Stimme. Derzeit wärmt eine Infrarotheizung notdürftig ihre Küche. Die Heizölkessel versanken in den Fluten.
Die 10 000 Euro aus dem Fonds „Helft uns leben“ will sie in eine neue Gasheizung investieren. Über die Spende ist sie überglücklich. Befragt nach einem Wunsch, appelliert sie: „Kommt uns besuchen!“ Die geschundene Ahr-Region sei auf Touristen angewiesen. Im Sommer soll es wieder Weinfeste geben. So wie früher, vor der Flut.

Das Allgäu hilft
Die Betroffenen der Flutkatastrophe sind weiterhin auf jeden gespendeten Euro angewiesen. Die Allgäuer Zeitung unterstützt die von der Rhein-Zeitung initiierte Hilfsaktion. Das Konto (IBAN) des Hilfswerks „Helft uns leben“ bei der Sparkasse Koblenz lautet:
DE72 5705 0120 0000 0013 13
Stichwort: „Das Allgäu hilft“.
Mehr Informationen zum Verein „Helft uns leben“ lesen Sie hier.
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