Die Fußballwelt spricht gerade gerne über Christian Streich (55). Der eigenwillige Trainer-Kauz des Bundesligisten SC Freiburg ist mit neun Jahren der dienstälteste Übungsleiter in der deutschen Eliteklasse, hat erst kürzlich seinen Vertrag wieder verlängert und wird ob seiner Standfestigkeit auf diesem Schleudersitz geachtet und geehrt.
Etwas weniger Aufmerksamkeit wird dagegen Schiedsrichter Robert Hartmann (41) aus Wangen zuteil. Der gebürtige Kemptener hat am Wochenende Grund zu feiern. Vor zehn Jahren, am 19. Februar 2011, leitete der Allgäuer sein erstes Bundesligaspiel zwischen dem SC Freiburg (damals stand da noch ein gewisser Robin Dutt bei den Breisgauern an der Linie) und dem VfL Wolfsburg (damals Trainer: Pierre Littbarski). Eine große Ehrung seitens der DFL (Deutsche Fußball-Liga) sei nicht zu erwarten, glaubt Hartmann, der an diesem Samstag eine Begegnung in der 2. Bundesliga leiten wird. Als er vor eineinhalb Jahren seinen 100. Bundesliga-Einsatz hatte, bekam er eine Medaille überreicht – immerhin.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Hartmann: Zehn Jahre Bundesliga, in der die Luft bekanntermaßen dünn ist. Das ist doch was! Wie war das noch bei ihrem ersten Spiel, erinnern Sie sich?
Robert Hartmann: Die Anspannung war größer als in den Spielen zuvor in der 2. Bundesliga. Die mediale Präsenz in der Bundesliga ist größer. Ich habe 1995 den Schiedsrichter-Schein gemacht und 16 Jahre darauf hingearbeitet. Ich war an diesem Tag stolz, aber auch nervös.
Hat sich das in den vergangenen zehn Jahren gelegt?
Hartmann: Es braucht eine gewisse Anspannung, um bereit für das Spiel zu sein und um Entscheidungen zu treffen. Die Vorfreude darauf ist immer noch da. Wäre diese nicht mehr, müsste ich aufhören. Es ist etwas Besonderes und eine Herausforderung, Bundesliga zu pfeifen. In dieser Zeit der Corona-Krise ist es ein Privileg. Ich bin froh, dass Bundesliga stattfindet. Ich habe aber Verständnis für Menschen, die anders darüber denken.
Haben Sie sich unter dem Eindruck der vergangenen zehn Jahre geändert?
Hartmann: Hoffentlich! Ich habe Erfahrung und Lebenserfahrung dazu bekommen. Zu Beginn war ich ein unbeschriebenes Blatt. Ich musste mir einen Namen machen, musste Verlässlichkeit an den Tag legen, ein Markenzeichen werden, an dem sich die Spieler orientieren. Die Spieler testen, wie weit sie beim Schiedsrichter gehen können, wie dieser kommuniziert. Man muss sich ein Standing erarbeiten. Das geht nur über Spiele und Erfahrung.
Hat sich im Lauf der Zeit so etwas wie Freundschaft mit dem einen oder anderen Spieler entwickelt, oder begegnen sie allen gleich mit gewisser Sachlichkeit und Unnahbarkeit?
Hartmann: Man läuft sich ja nicht zum ersten Mal über den Weg. Es geht darum, sportlich miteinander umzugehen. Das hat nichts mit unnahbar oder unfreundlich zu tun. Ich duze alle Spieler, sieze keinen. Wir sind auf dem Sportplatz. Damit bin ich in den vergangenen zehn Jahren gut gefahren. Es gehört auch mal ein Wortgefecht dazu. Ich muss mich durchsetzen, es sind aber keine ständigen Grabenkämpfe. Man muss sich ein paar Minuten später auf dem Platz wieder begegnen und in die Augen schauen können. Ab und zu gibt es von mir auch mal einen lockeren Spruch.
Sie wohnen in Wangen im württembergischen Allgäu. Wieso pfeifen Sie eigentlich für den SV Krugzell?
Hartmann: Ich bin in Krugzell aufgewachsen. Mein Vater war dort Jugendleiter und ich habe beim SV Krugzell Fußball gespielt.
Sie halten einen Rekord. Am 7. Oktober 2014 waren Sie der erste Schiedsrichter, der den Freistoß-Spray in der Bundesliga angewendet hat. Inwieweit hat sich die Schiedsrichterei in diesen zehn Jahren geändert, zumal die Profis athletischer wurden und die Schnelligkeit des Spiels zugenommen hat?
Hartmann: Der Videobeweis hat alles revolutioniert. Zudem sind viele Regeländerungen dazugekommen, wie zum Beispiel der Torabstoß innerhalb des Strafraums. Da fällt die Sache mit dem Spray nicht ins Gewicht. Damals hatte ich den Vorteil, ein Freitagabend-Spiel zu pfeifen. Das Spiel ist intensiver geworden. Nehmen wir nur mal Erling Haaland von Borussia Dortmund oder Alphonso Davies von Bayern München, die extrem schnell sind. Das Pressing hat zugenommen, es wird höher angelaufen. Daraus ergeben sich mehr Zweikämpfe im Mittelfeld, was es für die Schiedsrichter schwieriger macht.
Würden angesichts gravierender Veränderungen des Spiels Profi-Schiedsrichter Sinn machen, auch hinsichtlich der Bezahlung?
Hartmann: Momentan könnte ich davon leben, was ein Bundesliga-Schiedsrichter im Jahr erhält. Die Altersgrenze in der Bundesliga steht bei 47 Jahren. Die Verträge laufen über jeweils ein Jahr. Es ist nicht wie bei den Profis, die nach zehn Jahren ausgesorgt haben. Ich müsste mir also Gedanken machen, was ich danach mache. Ich habe ein zweites Standbein. Über kurz oder lang kann ich mir vorstellen, dass der Profi-Schiedsrichter kommt. Die Entwicklung im Fußball ist nicht aufzuhalten.
Hat Sie in dieser Zeit etwas besonders gefreut oder geärgert?
Hartmann: Ich versuche Abstand zu Superlativen zu halten. Es bringt nichts, auf einer Euphoriewelle zu schwimmen. Sicher gab es Entscheidungen, die man im Nachhinein lieber rückgespult und anders getroffen hätte. Doch Fehler gehören dazu. Damit muss man professionell umgehen und sie abhaken.
Nach zehn Jahren Bundesliga: Welche Wünsche oder Ziele haben Sie?
Hartmann: Ich wäre gerne dabei, bis ich 47 bin. Das hängt natürlich von Faktoren wie Leistung oder Gesundheit ab. Mit Letzterem hatte ich bisher viel Glück. Ich würde gerne noch das eine oder andere Derby oder Pokalspiel pfeifen und ich freue mich auf den Tag, an dem wieder mit Zuschauern gespielt wird.
Infos über Robert Hartmann:
- Geboren 8. September 1979
- Wohnort Wangen im Allgäu
- Landesverband Bayern, Gruppe Kempten/Oberallgäu
- Verein SV Krugzell
- Beruf Diplom-Betriebswirt
- Hobbys Wirtschaft, Lesen, Sport
- Größe/Gewicht 1,82 m/79 Kilo
- Bundesliga 114 Spiele
- 2. Bundesliga 100 Spiele
- Frauen-Bundesliga 1 Spiel
- Schiedsrichter Seit 1995
- DFB-Schiedsrichter Seit 2005
- 1. BL-Spiel 19. Februar 2011
- az/Stand 18. Februar 2021