Bei der Razzia am Montag in den Niederlanden hat die Polizei neun Mitglieder einer Bande festgenommen, die über 50 Geldautomaten in den vergangenen Jahren in Deutschland gesprengt haben soll - darunter auch im Allgäu. Das sagte Harald Pickert, Präsident des Landeskriminalamts Bayern bei einer Pressekonferenz am Donnerstagvormittag. "Uns ist ein wichtiger Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen."
Nach Angaben von Kriminaloberrat Jürgen Harle hatte die Bande insgesamt etwa 5,2 Millionen Euro erbeutet sowie etwa 6,5 Millionen Euro Schaden verursacht. Die Täter schlugen vor allem in Banken in Bayern und Baden-Württemberg zu. Mit Ausnahme eines Falls in Thüringen hatten sich die seit November 2021 aktiven Täter nach aktuellem Ermittlungsstand stets Geldautomaten in den beiden süddeutschen Bundesländern ausgesucht.
Seit wann sprengt die Bande Geldautomaten in Bayern und Baden-Württemberg?
Die beiden Landeskriminalämter ermittelten seit November 2021 in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Bamberg und der niederländischen Polizei sowie Behörden und Agenturen, die europaweit agieren. Am vergangenen Montag nahm die Polizei in den Provinzen Limburg und Utrecht neun von zwölf Männer im Alter zwischen 25 und 41 Jahren fest. Sie sind niederländische, marokkanische, afghanische, türkische und rumänische Staatsangehörige. Einer von ihnen soll in Belgien wohnen.
In ihren Wohnungen entdeckten die Beamten mehrere Tatwerkzeuge, Bargeld in sechsstelliger Höhe sowie neun Sprengstoffpakete, mit denen die Bande offenbar weitere Geldautomaten sprengen wollte. Die Zentrale der Bande soll in Roermond (Provinz Limburg) gewesen sein. Drei Verdächtige werden mit internationalen Haftbefehlen gesucht.

In welchen Orten im Allgäu hat die Bande zugeschlagen?
Laut dem Leitenden Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb hatten die Taten im November 2021 begonnen. Die Bande soll auch im Allgäu zugeschlagen haben, wie das LKA auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte - unter anderem in diesen Orten:
- Am 5. November 2021 in Heimertingen (Unterallgäu)
- Am 2. Februar 2022 in Memmingen
- Am 25. Mai 2022 in Woringen (Unterallgäu)
- Am 5. Juli 2022 in Wolfertschwenden (Unterallgäu)
- Am 30. September 2022 in Sontheim (Unterallgäu)
- Am 2. Dezember 2022 in Stetten (Unterallgäu)
- Am 23. Dezember 2022 in Dietmannsried (Oberallgäu)
- Am 19. Januar 2023 in Erkheim (Unterallgäu)
Eine Übersicht über alle Allgäuer Orte, in den in den vergangenen Jahren Geldautomaten gesprengt worden sind, finden Sie hier.
Welche gesprengte Geldautomaten im Allgäu ordnet das LKA der Bande nicht zu?
Der Bande aus den Niederlanden können somit nur diese beide Automaten-Sprengungen nicht zugeordnet werden - hier hatten offenbar andere Täter zugeschlagen:
Wie Oberstaatsanwalt Lieb weiter berichtete, verwendeten die mutmaßlichen Täter an ihren Fluchtfahrzeugen deutsche Kennzeichen, die sie unmittelbar vor den Raubzügen gestohlen hatten. Mehrere Kanister Reservebenzin waren außerdem immer an Bord.
Die Täter verschafften sich gewaltsam Zugang zu den Räumlichkeiten einer Bank, brachten den Sprengsatz an und sammelten schnell die Geldscheine ein. Nach drei bis vier Minuten war das Ganze vorbei. Bei den Verdächtigen wurden bei der Razzia in den Niederlanden neben der sechsstelligen Summe Bargeld, Luxusuhren und Luxuskleidung gefunden.
Was geschieht nun mit den festgenommenen Tätern?
Die Mitglieder der Bande sollen nun nach Deutschland ausgeliefert werden, damit ihnen hier der Prozess vor Gericht gemacht werden kann. In mehreren Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft Bamberg sogar wegen versuchten Mordes: Die Verdächtigen hätten teilweise keine Rücksicht darauf genommen, ob Menschen, die in unmittelbarer Nähe zu den Geldautomaten wohnen, durch die Explosion verletzt oder getötet werden könnten. In einem Fall lag über den Räumlichkeiten der Bank ein Altenheim.
Wie viele Geldautomaten wurden 2022 in Deutschland gesprengt?
Bundesweit habe es im vergangenen Jahr 493 solcher Taten gegeben, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) unter Berufung auf das Bundeskriminalamt. Von daher seien noch viele weitere Banden aktiv. Und: "Die Erfahrung zeigt, dass die durch solche Ermittlungserfolge in den Reihen der Täter gerissenen Lücken schnell aufgefüllt werden."
"Die Geldautomatensprengung gilt als Banküberfall der Moderne", ergänzte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Dabei verwendeten die Täter zuletzt oft feste Explosivstoffe, wodurch die Explosionen ein deutlich höheres Gefahrenpotenzial bekommen als bei der zuvor üblichen Methode der Sprengung durch eingeleitetes Gas.
"Die Täterinnen und Täter sprengen sich völlig rücksichtslos den Weg zum Geld frei, riskieren das Leben unbeteiligter Menschen und zerstören Gebäude", betonte deshalb auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) per Mitteilung. Der Sachschaden sei dabei regelmäßig höher als die Beute.
Das BKA hatte zuvor auf Anfrage der Deutschen Presseagentur (dpa) erläutert: "Teilweise haben sich bis zu fünf Geldautomatensprengungen in einer Nacht im gesamten Bundesgebiet ereignet." Dabei verwendeten die Täter zuletzt oft feste Explosivstoffe, wodurch die Explosionen ein deutlich höheres Gefahrenpotenzial bekommen als bei der zuvor üblichen Methode der Sprengung durch eingeleitetes Gas. Anschließend rasen sie meist mit hoch motorisierten Autos davon. Im Fall der nun aufgeflogenen Bande hatte der mit gestohlenen Kennzeichen versehene und mit Reservekanistern beladene Fluchtwagen 600 PS.
Wie viele Tote gab es durch Geldautomaten-Sprengungen in Deutschland?
Durch die Sprengung selbst ist in Deutschland noch kein Todesopfer zu beklagen gewesen. Allerdings kam es laut BKA danach bereits mehrfach zu tödlichen Verkehrsunfällen. "Die Todesopfer waren bislang ausschließlich Täter." Manche ihrer Kompagnons erlitten zudem schwerste Verletzungen. Unbeteiligte Dritte mussten den Angaben zufolge wegen Rauchvergiftungen, Schockzuständen oder Knalltraumata behandelt werden.
Aufgrund "der Skrupellosigkeit und außerordentlichen Gefährlichkeit bei der Ausführung" ermittelt die Staatsanwaltschaft deshalb nun nicht nur wegen schweren Bandendiebstahls, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Zerstörung von Bauwerken, sondern in elf Fällen auch wegen versuchter Tötungsdelikte. Oft genug lagen über den Automaten Wohnungen, einmal musste ein Altenheim evakuiert werden.
Wie geht die Polizei gegen Automaten-Sprenger vor?
Um den Tätern das Handwerk zu legen, setzen Polizei und Politik auch auf die Banken und Automatenhersteller. In gemeinsamen Gesprächen wurde Ende vergangenen Jahres festgelegt, dass nicht nur an Automaten in besonders gefährdeter Lage Maßnahmen ergriffen werden sollen. Dazu können eine nächtliche Sperrung der Selbstbedienungs-Foyers, eine Reduktion der Geldbestände, Vernebelung oder Verfärbe- und Verklebungsmechanismen gehören, die das Geld bei einer Attacke unbrauchbar machen.

Der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider beklagte jedoch just am Donnerstag, dass die Banken den Tätern oft "hinterherinvestierten". So mehrten sich im Südwesten die Attacken, bei denen die Täter mechanisches Spreizwerkzeug benutzten, das sonst die Feuerwehr bei Verkehrsunfällen im Einsatz hat.