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Gesundheitsminister Holetschek im AZ-Interview: "Ich stehe zur allgemeinen Impfpflicht"

Mit exklusivem Video

Gesundheitsminister Holetschek im AZ-Interview: "Ich stehe zur allgemeinen Impfpflicht"

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    Bayerischer Gesundheitsminister ist Klaus Holetschek seit einem Jahr. Im Interview sagt der in Memmingen lebende CSU-Politiker unter anderem, wie er sich die allgemeine Impfpflicht vorstellt.
    Bayerischer Gesundheitsminister ist Klaus Holetschek seit einem Jahr. Im Interview sagt der in Memmingen lebende CSU-Politiker unter anderem, wie er sich die allgemeine Impfpflicht vorstellt. Foto: Martina Diemand

    Frage: Der Verwaltungsgerichtshof hat die Vorgabe gekippt, dass nur Geimpfte und Genesene Zutritt zu Geschäften haben, die nicht Waren des täglichen Bedarfs verkaufen. Die Frage, was ein täglicher Bedarf ist, wurde vor Gericht auch schon anders bewertet, als die bayerische Staatsregierung entschieden hatte. Kurz gefasst haben die Richter geurteilt, die Vorgaben seien unpräzise und schlampig formuliert, dabei berührt die Frage, wer was einkaufen darf, massiv unsere Freiheitsrechte.

    Klaus Holetschek: Schlampig ist das falsche Wort. Wir haben in den verschiedenen Wellen dieser Pandemie immer wieder Regelungen gehabt für Teil-Schließungen und die Frage, was die Geschäfte des täglichen Bedarfs sind. Das kann man in einer Liste genau fixieren oder man kann es mit einer Formulierung definieren. Letzteres haben wir getan. Das war dem Gericht zu unpräzise. Wir hätten nun nachschärfen können, haben das aber bewusst nicht gemacht, weil wir mittlerweile an einer Stelle der Pandemie sind, wo wir das zumindest im Moment für verantwortbar halten.

    Viele Experten haben gesagt, dass im Herbst eine neue Corona-Welle kommt. Man hatte Zeit, sich darauf vorzubereiten. Und trotzdem wurden viele Verordnungen mit heißer Nadel gestrickt: Heute beschlossen, morgen in Kraft. Zum Beispiel, als die Unternehmen aufgefordert wurden, 3G am Arbeitsplatz umzusetzen - zu einem Zeitpunkt, als die Arbeitgeber noch gar nicht fragen durften, ob ihre Mitarbeiter geimpft oder genesen sind. Was haben die ganzen Menschen in den Ministerien den Sommer über gemacht?

    Holetschek: Also erstmal muss ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meinem Ministerium danken, ebenso jenen in den Gesundheitsämtern, die seit zwei Jahren in dieser Pandemie wirklich Herausragendes leisten. Es geht nicht um die Frage, dass da jemand versagt hat, sondern wir mussten ständig auf veränderte Dinge und Entwicklungen der Lage reagieren. Wir haben verschiedene Mutationen des Virus erlebt. Das ist ein hochkomplexes System, aus dem heraus dann die richtigen Maßnahmen zu treffen sind, immer auch kombiniert mit dem Bund.

    Im Sommer 2021 wurde entschieden, die Impfzentren herunterzufahren. Gleichzeitig haben Sie versucht, die Impfquote zu erhöhen, indem Sie die Corona-Tests kostenpflichtig gemacht haben. War das richtig?

    Holetschek: Wir haben die Impfzentren nicht geschlossen. Ich habe mich damals aber als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz mit Jens Spahn über die Frage auseinandersetzen müssen, ob man sie noch braucht, wenn sie, wie zu dem Zeitpunkt, wenig genutzt werden. Wer finanziert das? Der Bund zahlt die Hälfte für die Zentren, und ich habe gemeinsam mit Landrätinnen und Landräten sowie Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern dafür gekämpft, dass sie offenbleiben können. Die Zahl der Zentren ist verringert worden, aber wir hatten auch über 250 mobile und aktive Teams. Dieses Jahr bleiben die Zentren geöffnet, wir sprechen mit den Verantwortlichen darüber, welche Kapazitäten benötigt werden. Noch ist nicht sicher, wann es die Impfpflicht geben wird und ob wir zum Beispiel eine vierte Impfung benötigen.

    War es richtig, die Tests kostenpflichtig zu machen?

    Holetschek: Aus damaliger Sicht war es die richtige Entscheidung. Wir wollten das Thema Impfung forcieren. Aber natürlich können Sie im Rückspiegel eine andere Beurteilung haben. Und in dieser Pandemie haben wir alle auch den einen oder anderen Fehler gemacht. Auch Journalistinnen und Journalisten haben falsche Beurteilungen abgegeben.

    Sie haben als einer der ersten Politiker eine Impfpflicht gefordert. Allerdings hat man zuletzt den Eindruck gewinnen können, Sie seien zurückhaltender geworden, zum Beispiel in der Frage einer Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeberufen. Wirken da die massiven Proteste von Impfgegnern?

    Holetschek: Nein. Ich stehe nach wie vor zur allgemeinen Impfpflicht. Ich habe nur etwas differenzierter gesagt, dass man die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Zusammenhang mit einer allgemeinen Impfpflicht sehen muss, weil ich nicht möchte, dass die Beschäftigten in der Pflege den Eindruck haben (könnten), dass die Impfplicht nur für sie, die allgemeine Impfpflicht aber gar nicht kommt. Diese Menschen sind ja die wahren Heldinnen und Helden der Pandemie, sie haben unwahrscheinlich viel geleistet. Wir müssen auch schauen, wie eine Impfpflicht für diese Berufsgruppe umgesetzt werden kann. Wer spricht beispielsweise ein Tätigkeitsverbot aus, zu welchem Zeitpunkt? Und auch die Frage der Versorgungssicherheit dürfen wir nicht vergessen. Aber klipp und klar: Ich bin für die allgemeine Impfpflicht. Die schwierigen ethischen und juristischen Fragen müssen wir jetzt diskutieren, da muss die Ampelkoalition in Berlin auch liefern.

    Was bedeutet denn für Sie allgemeine Impfpflicht? Für wen soll die gelten?

    Holetschek: Das heißt für mich erst einmal, dass die Impfpflicht nicht auf Einrichtungen bezogen ist, sondern für alle gilt. Und dann kann man ausdifferenzieren, zum Beispiel für bestimmte Altersgruppen oder auch zeitliche Begrenzungen.

    Österreich hat eine Impfpflicht ab 18 Jahren, Italien hat ab 50. Wozu tendieren Sie?

    Holetschek: Dazu habe ich noch keine abschließende Meinung. Ich habe eine Meinung zum Thema Befristung und würde das auf zwei Jahre anlegen. Danach kann man prüfen, ob die Impfpflicht noch gebraucht wird. Ob jetzt ab 18 oder 50 Jahren, das müssen Infektiologen und Virologen bewerten.

    Wie oft sollen sich die Menschen innerhalb dieser zwei Jahre impfen lassen?

    Holetschek: Diese Frage können Sie heute noch nicht abschließend beurteilen. Fakt ist, dass die Impfung hilft, den Menschen schwerwiegende Erkrankungen zu ersparen.

    Welches Ziel verbinden Sie mit der Impfpflicht?

    Holetschek: Das Ziel ist, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten und dass wir in dieser Gesellschaft auch wieder ein Stück Freiheit gemeinsam erleben. Sich impfen zu lassen, ist ein Zeichen von Solidarität, eine Verantwortungsübernahme. Das ist keine einfache Diskussion und es gibt berechtigte Sorgen von Menschen. Damit muss man sich auseinandersetzen.

    Wie sollen diejenigen sanktioniert werden, die die Pflicht nicht beachten?

    Holetschek: Da gibt es verschiedene Modelle bis zum Bußgeld.

    Manche Menschen lehnen die derzeit zugelassenen Impfstoffe ab. Wann werden proteinbasierte Impfstoffe wie Novavax oder solche mit getöteten Erregern in Deutschland angewendet?

    Holetschek: Novavax wird wohl ab der achten Kalenderwoche ausgeliefert. Wir werden es vorwiegend medizinischem und pflegerischem Personal zur Verfügung stellen, weil wir am Anfang nicht die großen Mengen haben. Ich glaube, damit erreichen wir dann auch (noch) einige, die heute noch skeptisch sind.

    In Österreich nehmen alle, die sich impfen lassen, an einer Lotterie teil. Was halten Sie von solchen Anreizen?

    Holetschek: Ich glaube nicht, dass es richtig ist, Geld zu zahlen, wenn sich jemand impfen lässt. Die Impfung bringt uns allen einen Vorteil: Wir kommen aus dieser Pandemie raus. Wir schaffen es, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Und ich darf jetzt noch einmal an die Bilder vor wenigen Wochen erinnern, die überlaufende Intensivstationen zeigten. Die gab es auch in Ihrer Zeitung. Da haben Pflegekräfte aus dem Allgäu sehr plastisch ihre Situation geschildert.

    Sie hatten vorgeschlagen, Ungeimpfte an den Behandlungskosten zu beteiligen, um den Druck auf diese Menschen zu erhöhen. Dafür wurden Sie stark kritisiert. Stehen Sie weiter dazu?

    Holetschek: Ich stehe dazu, dass man Diskussionsvorschläge machen kann und sollte. Man muss auch mal über Dinge reden, die nicht so bequem sind. Während dieser Zeit habe ich auch E-Mails bekommen, die waren grenzwertig. Inzwischen gibt es sogar Morddrohungen, da hört dann die Diskussionskultur auf. Aber wir müssen doch überlegen können, wie wir diese Impfpflicht umsetzen. Ich will um Gottes Willen nicht die Solidarität der Krankenversicherung aufkündigen, sie ist ein wertvolles Gut. Ich habe auch nie gesagt, dass man das machen muss. Ich habe eine Diskussion angeregt über die Frage, ob es sinnhaft sein könnte. Und die Diskussion wurde dann zugespitzt auf diese Forderung.

    Viele, die in der Kulturbranche arbeiten, fragen, warum für sie 2G Plus gilt und eine starke Beschränkung der Besucherzahl, in der Gastronomie aber 2G. Warum ist das so?

    Holetschek: Wir haben in Bayern eine Verordnung, die 2G bei der Gastronomie vorsieht und 2G plus einen negativen Test sowie Kapazitätsbeschränkungen für die Kultur. Diese Verordnung gilt noch, obwohl die Ministerpräsidentenkonferenz zwischenzeitlich auch für die Gastronomie 2G plus Test beschlossen hat. Wir waren in Bayern aber von Anfang an mit vielen Maßnahmen konsequenter und härter als andere Länder, das betrifft auch die Gastronomie. Deswegen hat man gesagt, wir lassen das jetzt erst mal so. Ich habe Verständnis für die Kultur, auch sie ist ein Lebensmittel im wahrsten Sinne des Wortes. Aber wir müssen immer schauen, was wir zu welchem Zeitpunkt machen können. Dabei darf nicht der Eindruck entstehen, wir würden hin und her springen und hätten keine Linie. Aber diese Pandemie bringt uns auch immer wieder eine neue Herausforderung. Omikron ist hoch infektiös, verursacht aber möglicherweise eine geringere Hospitalisierung.

    Omikron geht aber auch ins Wirtshaus, nicht nur ins Museum.

    Holetschek: Aber wir haben das ja nicht gegeneinander ausgespielt, sondern wir haben einfach die Verordnung stehen lassen und möchten noch weiter Spielraum haben, um das zu beurteilen.

    Sie haben eben gesagt, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, Regierungshandeln sei sprunghaft. Es darf aber auch nicht der Eindruck entstehen, Regierungshandeln sei unlogisch.

    Holetschek: Sie versuchen jetzt, das als unlogisch hinzustellen. Wir haben aber lediglich entschieden, die Verschärfung der Regeln für die Gastronomie nicht mitzumachen. Und jetzt müssen wir einfach das Gesamtpaket noch mal beurteilen und schauen, wo wir welche Maßnahme passgenau machen können. Das wird passieren. Morgen wird sich das Kabinett sicher mit diesen Themen beschäftigen.

    Wird dann auch über den Inzidenzwert 1000 gesprochen? Dieser war bis vor kurzem eine kritische Marke. Regionen, die den Wert überschritten hatten, mussten in einen massiven Lockdown. Sie haben dann entschieden, dass die Inzidenz von 1000 jetzt nicht mehr diese Auswirkungen hat. Der Landkreis Lindau hat die Marke am Freitag überschritten, einige andere Allgäuer Regionen sind nicht mehr weit davon entfernt.

    Holetschek: Omikron lässt die Zahl der Neuinfektionen sprunghaft ansteigen. In europäischen Nachbarländern liegt die Inzidenz über 2000, teilweise bei 3000. Deswegen ist es ganz schwierig, zu sagen, die 1000 von damals sind nun die 2000 von heute. Wir müssen versuchen, die Dinge in ein Verhältnis zu setzen: Die hohe Infektionsrate und die Situation im Gesundheitswesen. Wir wissen ja, dass die Hospitalisierung nachläuft und werden erst in zwei, drei Wochen sehen, was tatsächlich im Krankenhaus passiert und wie schwer die Krankheitsverläufe sind.

    Sie haben die Beschäftigten in den Pflegeberufen gelobt und auch einen Bonus für diese Menschen angeregt. Welche Summe halten Sie für angemessen und wer soll etwas bekommen?Holetschek: Was diese Pflegekräfte und viele andere im medizinischen Bereich geleistet haben, ist unbezahlbar. Deswegen ist es wichtig, aus der Krise heraus nicht nur über Boni zu sprechen. Neben den Einmalzahlungen brauchen wir vor allem nachhaltige Verbesserungen. In der Debatte für den Bonus wurde die Summe von einer Milliarde Euro genannt, das war eine gute Ansage der Ampelkoalition in Berlin. Bei der Verteilung wäre ich großzügig und würde zum Beispiel auch die Rettungsdienste und medizinische Fachangestellte in den Arztpraxen berücksichtigen. Gleichzeitig müssen wir sagen, wie wir in der Zukunft das gesamte System stärken, die Arbeitsbedingungen verbessern und auch die Gehaltsstrukturen. Ich habe den Vorschlag gemacht, das Gehalt in der Intensivpflege zu verdoppeln, und zwar für zwölf Monate zusammen mit steuerlichen Leistungen, indem wir Zuschläge freistellen. Bei den Arbeitsbedingungen geht es um die Frage der ständigen Verfügbarkeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das müssen wir lösen.

    Dieses Interview ist die gekürzte Form eines Gesprächs, das Helmut Kustermann und Uli Hagemeier am Freitagabend mit Klaus Holetschek geführt haben. Das gesamte Interview sehen Sie als Video hier:

    Klaus Holetschek: "Ich glaube nicht, dass es richtig ist, Geld zu zahlen, wenn sich jemand impfen lässt."
    Klaus Holetschek: "Ich glaube nicht, dass es richtig ist, Geld zu zahlen, wenn sich jemand impfen lässt." Foto: Martina Diemand

    Zur Person

    Geburtstag: Klaus Holetschek kam am 21.Oktober 1964 in Landshut zur Welt.

    Familienstand: Mit Ehefrau Birgit lebt er in Memmingen; das Paar hat zwei Kinder.

    Ausbildung: Abitur 1984 am Gymnasium Türkheim (Unterallgäu), 1984 bis 1990 Jura-Studium an der Universität Augsburg mit Zulassung zum Rechtsanwalt.

    Berufsleben: 1993-1998 Referent für journalistische Nachwuchsförderung bei der Hanns-Seidel-Stiftung in München.

    Politik: Seit 1981 Mitglied der Jungen Union;

    seit 1982 Mitglied der CSU;

    1984 bis 1995 Kreisvorsitzender der Jungen Union Unterallgäu;

    1999 bis 2013 CSU-Kreisvorsitzender Unterallgäu;

    1998 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags;

    2002 bis 2013 Bürgermeister von Bad Wörishofen (Unterallgäu)

    seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags;

    seit 2014 Stadtrat in Memmingen;

    seit 2017 Kreisvorsitzender der CSU Memmingen;

    2018 bis 2020 Bürgerbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung;

    2020 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bauen und Verkehr;

    2020 bis 2021 Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege;

    seit Januar 2021 Staatsminister im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege.

    Weitere Ämter: Von 2006 bis 2020 war Holetschek Vorsitzender des Bayerischen Heilbäder-Verbandes, von 2011 bis 2021 Vorsitzender des Tourismusverbandes Allgäu/Bayerisch Schwaben.

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