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Tag der Gewalt gegen Frauen (25.11.2024): Gewalt gegen Frauen im Allgäu, Hilfsangebote

Gewalt gegen Frauen im Allgäu

Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu - wie ist die Lage im Allgäu?

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    Die meisten Taten bleiben auch im Allgäu unentdeckt: Experten gehen davon aus, dass höchstens 20 Prozent angezeigt werden.
    Die meisten Taten bleiben auch im Allgäu unentdeckt: Experten gehen davon aus, dass höchstens 20 Prozent angezeigt werden. Foto: Rolf Poss, imago (Symbolbild)

    Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen nimmt zu. Das zeigen aktuelle Zahlen: 2023 wurden rund fünf Prozent mehr Frauen Opfer häuslicher Gewalt als 2022. Wie ist die Lage im Allgäu? Das sagt die Polizei.

    Wie viele Fälle von Gewalt gegen Frauen gibt es im Allgäu?

    Im Allgäu gibt es jedes Jahr zwischen 700 und 1000 Anzeigen wegen häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt. Die Zahlen schwanken: Gab es 2018 rund 700 Anzeigen, waren es zwei Jahre später 950 (2020). Genauso viele Taten wurden 2023 angezeigt. In diesem Jahr sind es bislang mehr als 700 Stück.

    Warum die Situation so schwer zu beurteilen ist, erklärt Tanja Molocher. Sie ist die Beauftragte für Kriminalitätsopfer im Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. „Wir haben nur Sicht auf das Hellfeld und sehen damit rund 20 Prozent aller Taten, vielleicht sogar nur zwei Prozent.“

    „Zahlen sind sehr schwierig einzugrenzen“

    Denn zwei Dunkelfeldstudien des Bundes belegten: 80 bis 98 Prozent aller Gewalttaten würden nicht angezeigt. Blieben mindestens 80 Prozent aller Taten unerkannt, seien die Allgäuer Zahlen wenig belastbar. „Wenn es in einem Jahr, wie zum Beispiel 2021, weniger Anzeigen gibt, heißt das nicht, dass die häusliche Gewalt abgenommen hat.“

    Kämen im Folgejahr mehr Fälle zur Anzeige, könne das zum Beispiel daran liegen, dass eine Frau erst nach Jahren des Martyriums den Mut fände, zur Polizei zu gehen und mehrere Fälle anzeige. „Die Zahlen sind sehr schwierig einzugrenzen“, sagt Molocher.

    Wer sind im Allgäu die Täter?

    Die Täter kommen aus allen Altersklassen und sozialen Schichten. Zwischen 27 bis 43 Jahre alt sind die meisten von ihnen. Über die Jahre hat sich gezeigt, dass etwa 80 Prozent der Täter männlich sind. Die Zahl weiblicher Täter hält sich nahezu konstant bei etwa 20 Prozent. Die etwa 20 Prozent der weiblichen Täter beinhalten auch die Gegenanzeigen der Männer, die zuvor als Täter angezeigt wurden.

    Das passiere häufig dann, nachdem eine Frau ihren Mann angezeigt hat. „Oft geht dann der Mann zur Polizei, um seine Frau anzuzeigen, die ihn beleidigt habe oder handgreiflich geworden sei“, sagt Molocher.

    Femizide in der Region gehen zurück

    Für einen Bereich gibt es verlässliche Zahlen - und die gehen sogar zurück. Beim „Intimen Femizid“, also wenn ein aktueller oder ehemaliger Sexpartner eine Frau tötet, gehen die Zahlen im Allgäu zurück. Täter können hier etwa der Ehemann, Lebensgefährte oder Freund sein. Die erfassten Fälle gelten für die Region von Lindau am Bodensee über Oberstdorf und Füssen bis nach Neu-Ulm.

    • 2018: 5 ermordete Frauen, 8 versuchte Tötungen (davon: 3 versuchte Femizide und 1 vollendeter Femizid)
    • 2019: 2 ermordete Frauen, 3 versuchte Tötungen (davon: 2 versuchte Femizide)
    • 2020: 2 ermordete Frauen, 8 versuchte Tötungen (davon: 2 versuchte und 2 vollendete Femizide)
    • 2021: 4 ermordete Frauen, 9 versuchte Tötungen (davon: 5 versuchte und 2 vollendete Femizide)
    • 2022: 3 ermordete Frauen, 2 versuchte Tötungen (davon: 1 vollendeter Femizid)

    Wie finden Frauen im Allgäu Hilfe?

    Die Polizei steht in Kontakt mit Fach- und Beratungsstellen. Je nach Einzelfall vermitteln sie die passende Beratung. In der Region gibt es Frauenhäuser in Kempten, Memmingen, Kaufbeuren und Landsberg. Polizistin Molocher betont: „Alle Fach- und Beratungsstellen arbeiten anonym.“ Das bedeutet: Wendet man sich an die Fachstellen, kommt es nicht automatisch zu einer Anzeige.

    Brigitte Wastl vom Frauenhaus Kempten sagt: „Wenden sich Frauen an andere Stellen, verweisen diese an das Frauenhaus.“ Die Beratung erfolgt vor Ort oder am Telefon. So können auch Frauen und Mädchen im ländlichen Raum rasch Unterstützung bekommen.

    Hilfetelefone bieten auch Allgäuerinnen im ländlichen Raum Hilfe

    In Kempten gebe es außerdem den Frauennotruf. Dorthin können sich Frauen wenden, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Ebenso gebe es das kostenlose Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Betroffene könnten zudem die Telefonnummer 116016 wählen. „Dort werden auch Dolmetscherdienste angeboten“, sagt Wastl vom Kemptener Frauenhaus.

    „In nahezu jedem Landkreis gibt es Fachstellen für häusliche Gewalt“, sagt Molocher von der Polizei. Sie würden eine hervorragende Arbeit leisten und die Frauen individuell betreuen.

    Wohin wenden sich Männer oder queere Menschen im Allgäu?

    Molocher betont: „Selbstverständlich können sich auch Männer oder Mitglieder der queeren Community an jede Beratungsstelle wenden.“ Von häuslicher Gewalt betroffene Männer fänden Schutz und Hilfe bei Adami, die Schutzwohnungen für Männer aus Schwaben anbieten. Bei „Via - Wege aus der Gewalt“ gibt es Hilfe speziell für queere Menschen.

    Partnerschaftliche Gewalt im Fokus des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen 2024

    Im Bereich der partnerschaftlichen oder häuslichen Gewalt sind die Täter aktuelle Partner, wie zum Beispiel der Ehemann oder die Ehefrau, eingetragene Lebenspartner und -partnerinnen oder Lebensgefährten. Auch ehemalige Partner sind immer wieder Täter. Seit 2018 wurden im Allgäu jährlich zwischen 700 und 1000 Anzeigen wegen häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt erstattet.

    Körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt üben größtenteils Täter aus dem Familien- oder (engsten) Bekanntenkreis aus. Hierunter fallen auch Arbeitskollegen. Der Begriff der strukturellen Gewalt ist zu weit definiert, als dass die Polizei hierzu eine belastbare Aussage treffen kann.

    „Gewalt gehört zum Alltag vieler Frauen“

    Am Dienstag stellten Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesinnenministerin Nancy Faeser das Lagebild zu Straftaten gegen Frauen und Mädchen vor. Die Angaben zu Straftaten, denen Frauen wegen ihres Geschlechts zum Opfer fallen, veröffentlichte die Bundesregierung in der Form zum ersten Mal.

    „Die Zahlen dieses ersten Lagebilds zeigen: Gewalt gehört zum Alltag von Frauen. Das ist beschämend“, sagte Bundesfrauenministerin Lisa Paus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser forderte mehr Härte gegen die Täter und mehr Aufmerksamkeit und Hilfe für die Opfer: „Neben harten Strafen brauchen wir verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings und elektronische Fußfesseln, damit die Täter ihr Verhalten tatsächlich ändern und sich betroffenen Frauen nicht mehr unbemerkt nähern können.“

    Fast jeden Tag ein Femizid in Deutschland

    Ähnlich wie im Allgäu sind deutschlandweit Frauen und Mädchen die weitaus meisten Opfer häuslicher Gewalt, nämlich über 70 Prozent. Laut Angaben der Bundesregierung überwiegen sie mit über 80 Prozent - auch bei partnerschaftlicher Gewalt.

    Im vergangenen Jahr seien 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten geworden. Insgesamt seien 360 Mädchen und Frauen getötet worden. In Deutschland sei es im Jahr 2023 somit fast jeden Tag zu einem Femizid gekommen.

    Im Allgäu starten am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen mehrere Aktionen. Am 25. November wird seit über 30 Jahren an ein Thema erinnert, das jeden Tag aktuell ist.

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