Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Hexen auf Funkenfeuern im Allgäu: Passt das heute noch?

Allgäuer Brauchtum

Hexen auf Funkenfeuern im Allgäu: Passt das heute noch?

    • |
    • |
    Muss eine „Hexe“ auf Allgäuer Funken thronen? Nein, sagt Historikerin Veronika Heilmannseder.
    Muss eine „Hexe“ auf Allgäuer Funken thronen? Nein, sagt Historikerin Veronika Heilmannseder. Foto: Heinz Budjarek (Archiv)

    Frau Heilmannseder, werden Sie sich heuer mit Ihrer Familie ein Funkenfeuer anschauen?

    Heilmannseder: Ja, dort, wo wir zuhause sind.

    Steht auf der Spitze des Holzhaufens auch eine Funkenhexe?

    Heilmannseder: Ich weiß es nicht. Und ich bin gespannt, ob’s dieses Jahr gemacht wird.

    Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie einen Funken mit einer „Funkenhex’“ obendrauf sehen?

    Heilmannseder: Einerseits schätze ich sehr die Traditionspflege der vielen Ehrenamtlichen und Vereine. Andererseits staune ich manchmal, weil wir wissen, dass die Tradition nichts mit Hexen zu tun hat – und wir’s trotzdem so machen.

    Aber Funkenhexen auf die Feuer zu stellen, ist doch ein Jahrhunderte alter Brauch, oder?

    Heilmannseder: Ich meine, Bräuche sollen die Gesellschaft zusammenhalten und uns Orientierung geben im Jahreslauf – so wie dies über die Jahrhunderte hinweg üblich war. Wenn Bräuche Menschen ausschließen oder verletzen, muss man sich überlegen, ob man dies weiterhin machen möchte.

    Gibt es für die Tradition der Funkenfeuer mit Hexen obendrauf historische Quellen?

    Heilmannseder: Dass man Übergänge im Jahr mit Feuern begeht, hat eine recht lange Tradition. Das ist etwas Urmenschliches. Aber dass eine Figur obendrauf kommt, können wir erst seit dem 19. und 20. Jahrhundert feststellen. Da hat man gewünscht, mit solch einem Brauch Identität für eine Region oder ein Land zu stiften. Er sollte zeigen: Wir sind so. Aber was man damals festgelegt hat, ist zuvor vielleicht anders gewesen.

    Stochert man da im geschichtlichen Nebel herum?

    Heilmannseder: Ja. Um Genaueres zu erforschen, müsste man in den Dorfarchiven schauen. Wir wissen aber, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Bandbreite an Feuern zwischen Winter und Sommer gab. Sie entstanden im Zuge des aufkommenden Nationalstolzes. Damals fragten sich die Leute: Was gehört zur „teutschen“ Nation?

    Warum wurden überhaupt Feuer entzündet?

    Heilmannseder: Die Grundidee ist: Es gibt ein Freudenfeuer, weil der Winter, die Dürrezeit zu Ende ist und ein neues Jahr beginnt. Unsere heutigen Funkenfeuer erinnern an die Zeit um Lichtmess am 2. Februar, als für die Knechte und Mägde ein Dienstjahr zu Ende war. Viele Dörfern machten Feuer zu Johanni, also zur Sommersonnenwende im Juni, oder anderen christlichen Festen.

    Und wann kamen weibliche Figuren oder Hexen auf die Feuer?

    Heilmannseder: Dass es zwingend eine Hexe obendrauf geben muss, ist nicht überliefert. In einer der ältesten Beschreibungen der Allgäuer Bräuche heißt es, dass eine Stange aufgerichtet wird, die man Hexe nennt. Aber wir können nicht sagen, wie ursprünglich diese Bräuche sind und wer sie wann begann. Sicher befeuerten auch die Märchen der Brüder Grimm über „böse Hexen“ im 19. Jahrhundert den Brauch, und er hat sich dann verselbständigt. Auch dies lässt sich nicht eindeutig belegen. Wir haben in den Volksbräuchen des 19. Jahrhunderts öfter den Vorgang, dass vermeintlich dunkle Gestalten – die Fasnacht, der Winter – vernichtet werden müssen, um in einen neuen Zustand zu gelangen. In der völkischen Ideologie des 20. Jahrhunderts wird erneut verengt: Da wird der Funken zum Fruchtbarkeitsbrauch der Volksgemeinschaft, auch mal mit Runen drauf.

    Mit dem Töten und Verbrennen von sogenannten Hexen durch die kirchliche Inquisition hat das nichts zu tun?

    Heilmannseder: Überhaupt nicht. Es ging eher um einen dramaturgischen Effekt: Wenn etwas oben auf dem Feuer umfällt und verbrennt, dann ist der Funken erfolgreich – und wir können heimgehen.

    Aber warum ausgerechnet eine Frauenfigur?

    Heilmannseder: Das ist die große Frage. Das resultiert vielleicht aus dem Machtgefälle von Mann und Frau. Dass Frauen von Männern verfolgt und getötet wurden, gab es ja – historisch gesehen – immer wieder. Aber wenn heute bei uns im Allgäu eine Frauenfigur verbrannt wird, kann man sich schon fragen: Warum wird das mit Absicht gemacht?

    Wie lautet Ihre Antwort darauf?

    Heilmannseder: Geht es darum zu zeigen: Die Frau steht für das Böse, das Verführerische, das Verlockende, das Gemeine – wie halt Hexen im Märchen? Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert spielte die verführerische Frau eine große Rolle, der der Mann hilflos ausgeliefert ist wegen ihrer körperlichen Reize. Durch das Funkenfeuer wird dies wieder ins Lot gebracht. Die Frau wird entthront, entmachtet und auf ihren Platz in der Gesellschaft zurückgewiesen.

    Sie verweisen damit auf die Tradition. Aber weil das ja heute noch praktiziert wird, stellt sich die Frage: Spiegelt sich darin eine nach wie vor patriarchale Gesellschaft wider?

    Heilmannseder: Das ist das Argument von sehr vielen Engagierten aus der Frauenbewegung. Es wird auch gefragt: Was, wenn man gedanklich männliche Symbol-Figuren obendrauf setzt? Wie würden sich die Menschen dann fühlen, die ein Funkenfeuer organisieren?

    Was wäre die Konsequenz daraus?

    Heilmannseder: Wenn wir möchten, dass Frauen in der Gesellschaft gleichberechtigt sind, sollten wir überlegen: Muss denn wirklich eine weibliche Figur auf dem Feuer stehen? Muss das überhaupt eine Person sein? Das hilft vielleicht auch zu entdecken, dass dies heute nicht mehr zu uns passt.

    Wenn man die Funkenhexe abschaffen möchte, wird schnell von Cancel Culture gesprochen, nach dem Motto: Jetzt nehmen Sie uns diesen Brauch auch noch. Können Sie solche Äußerungen verstehen?

    Heilmannseder: Man soll ja nicht grundsätzlich auf den Funkenbrauch verzichten. Er wandelte sich ohnehin ständig. Wir sehen, dass sich viele verletzt fühlen, wenn eine Frauenfigur zum Verbrennen obendrauf kommt. Wir haben doch eine Vielzahl von Möglichkeiten, diesen Brauch anders zu gestalten! Und wenn man unbedingt symbolisch etwas verbrennen möchte, kann man ja auch etwas Unpersönliches wählen.

    Karl Milz, Vorsitzender des Heimatbunds Allgäu, sagte mal zum Funkenbrauch: Es sollte nicht immer den Leuten reingeschwätzt werden, die die Arbeit machen und sich fürs Brauchtum engagieren. Hat er recht?

    Heilmannseder: Es geht nicht darum, Traditionen oder Bräuche abzuschaffen. Es geht darum zu schauen: Was machen wir eigentlich? Ist dies noch gesellschaftlich breit verankert? Wer sich damit beschäftigt, möchte anderen nichts vorschreiben, er kann sogar mehr Menschen für Traditionsschätze begeistern.

    Wie ist Ihre Haltung: Sollte etwas anderes als weibliche Figuren auf den Funkenfeuern stehen?

    Heilmannseder: Ich plädiere absolut dafür. Es muss nicht das wesentliche Moment der Tradition sein, dass obendrauf was verbrannt wird. Es muss nicht unbedingt was umfallen oder knallen.

    Was raten Sie, wie man den Brauch verändern und ihn gleichzeitig erhalten kann?

    Heilmannseder: Ich stelle mir vor, die Dorfgemeinschaft sammelt Holz für ein Feuer, und alle geben was. Das ist ein alter Heische-Brauch. Zum Teil macht man das ja noch mit ausgedienten Christbäumen. Aus den Quellen argumentiert, könnte man am Feuer einen Spruch aufsagen, ein gemeinsames Lied singen, übers Feuer springen, Scheiben schlagen und vieles mehr. Auch Essen und Trinken gehört dazu – etwa in Schmalz gebackene Funkenküchle.

    Kennt sich mit den Allgäuer Bräuchen und Traditionen aus: Dr. Veronika Heilmannseder aus Wiggensbach.
    Kennt sich mit den Allgäuer Bräuchen und Traditionen aus: Dr. Veronika Heilmannseder aus Wiggensbach. Foto: Felix Ebert

    Zur Person: Veronika Heilmannseder:

    Dr. Veronika Heilmannseder ist Kulturfachfrau und Historikerin aus Wiggensbach (Oberallgäu). Sie forscht zu Regionalgeschichte und Kultur – und auch zum Funkenbrauch.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden