„Ich hab keine Angst“, tönt es durch den Raum. Doch Angst kann man durchaus bekommen, wenn man die Bilderflut eine Weile auf sich einströmen lässt, die der große TV-Bildschirm zeigt. Eine Frau steht auf einem schwarzen Felsen, der wie ein Boot im weiten Ozean zu treiben scheint. Das blaue Meer tobt, die weiße Gischt spritzt, zu allem Überfluss heult ein Kind. Aber die Frau mit dem magentafarbenen Mantel trotzt den Strudeln, spielt unbeirrt weiter auf dem bunten Akkordeon.
„Tränenmeer“ hat Raphaela Vogel dieses Video im ersten Obergeschoss des Kunsthauses Bregenz genannt. Es sei, so erklärt sie, „eine alptraumhafte Rückschau auf das eigene Schaffen“. Das wundert ein wenig, denn Raphaela Vogel ist erst 31 Jahre alt, da muss man eigentlich noch nicht zurückblicken. Aber dies zeigt zugleich, dass da eine Künstlerin nicht nur eifrig Kunst produziert, sondern sich auch intensiv mit dem Schaffensprozess auseinandersetzt, bewusst die Reflexion sucht und dabei auch ihre Zweifel und Ängste thematisiert. „Wenn ich was mache, liege ich oft tagelang im Bett und überlege“, verrät die Frau mit dem verschlossenen Gesicht, die sich im Gespräch zurückhaltend gibt.
Wobei man nicht das Gefühl hat, dass sich Raphaela Vogel von Ängsten und Zweifeln beirren oder gar auffressen lässt. Zu ironisch, zu verspielt ist das, was sie im Kunsthaus zeigt – unter dem kryptischen Titel „Bellend bin ich aufgewacht“. Und der Erfolg dürfte sie zudem in ihrem künstlerischen Tun bestärken. Immerhin hat sie schon in der Berlinischen Galerie ausgestellt, im Münchner Haus der Kunst oder in der Kunsthalle Basel – alles erste Adressen in der Szene. Wer kann fünf Jahre nach Abschluss des Studiums schon solche Stationen in der Vita auflisten?
Nun bietet ihr auch Bregenz die Möglichkeit, sich umfassend auszutoben. Im Erdgeschoss hängen zur Begrüßung zwei riesige Löwen aus Bronze von der Decke; in den drei oberen Stockwerken bespielt Vogel die Säle mit großen Objekten samt raumfüllendem Sound.
Für solche Installationen scheint das Haus am Bodensee geplant und gebaut worden zu sein. Raphaela Vogel erobert es mühelos. Und gibt den Besuchern Gelegenheit, in ihre Gefühls- und Gedankenwelten zu reisen. Auf den vier Stockwerken unternimmt die aus Nürnberg stammende und in Berlin lebende Künstlerin eine abenteuerliche Fahrt mit eigenartigen Szenerien – sinnlich und bildgewaltig. Eine sehenswerte Ausstellung nicht nur für die Augen, sondern auch für die Ohren.
Raphaela Vogels Kunst will keine Botschaften verbreiten, verzichtet weitgehend auf gesellschaftskritische oder politische Positionen. Es geht ihr ein Stück weit um Gefühle und Emotionen, echten wie falschen. Vieles ist aber einfach nur ein – meist überwältigendes – audio-visuelles Spiel. Was die junge Künstlerin am meisten bei ihren zwei- und dreidimensionalen Arbeiten zu interessieren scheint, sind kuriose Konfrontationen, krude Kombinationen, Spiegelungen, Verzerrungen, Brüche. Immer wieder konterkariert das eine das andere. Vogel will sich nicht festlegen, lässt sich nicht festlegen.
Die Künstlerin transportiert ihre Intentionen vor allem mittels Videos, oft gedreht mit 360-Grad-Kameras, die verwirrend verzerrte Bilder liefern. Sie agiert als Hauptdarstellerin, Kamerafrau und Cutterin in einer Person. Im Fall der Frau auf dem meerumtosten Felsen hat sie eine Kamera-Drohne programmiert, um aus der Vogelperspektive die Künstlerin Vogel ins Visier zu nehmen. Wenn das Wort nicht so belastet wäre, könnte man sie als künstlerische Ego-Shooterin bezeichnen.
Ein kleines politisches Statement gibt es aber doch. Im dritten Obergeschoss stehen große Miniaturmodelle von Sehenswürdigkeiten europäischer Metropolen. Sie haben allerdings Patina angesetzt, wirken morbide. Vogel hat sie aus dem Nachlass eines Miniaturparks erworben. Die in den Status von Readymades erhobenen Objekte sind mit verchromten Stahlstangen verbunden, die in einer Art „Atomium“ mit silberfarbenen Kugellautsprechern zusammenlaufen, was wohl auf Brüssel, die Hauptstadt Europas, hindeutet. Wenn man so will, ist diese Europäische Union ein ziemlich saft- und kraftloses Gebilde geworden. Man kann aus dieser Modell-Landschaft, in der auch noch ein entgleister ICE-Zug steckt, durchaus einen Abgesang auf das einstmals so idealistische Projekt herauslesen.